16. Jahrgang
April 1994
Medizin
Auflage 7000 Stück
und Ideologie
Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion
Editorial W i
Das Jahr 1994 - das Jahr der Familie
Die Generalversammlung der Vereinten Nationen
hat das Jahr 1994 zum "Internationalen Jahr der
Familie" erklärt. Aus diesem Grunde brachte auch
die Deutsche Bundespost die Sonderbriefmarke
"Internationales Jahr der Familie - Vereinte Natio-
nen" in Umlauf. Diese Intensionen der Vereinten
Nationen und auch der Deutschen Bundespost
sind nur zu begrüßen. Denn die Familie ist die
Grundlage eines jeden Staates und ihre Integrität
die Voraussetzung einer gesunden und geordne-
ten Gesellschaft.
Die bewußt geplante Zerstörung der
Familie •
Gerade die Zerstörung der Familie und damit die
Vernichtung des Staates waren die erklärten Ziele
der von langer Hand vorbereiteten Kulturrevolution
der 68er-Protestbewegung. Diese Bewegung, aus-
gehend von dem Freud-Schüler Wilhelm Reich und
dem Heidegger-Schüler Herbert Marcuse, prokla-
mierte den kollektiven Geschlechtsverkehr. Sie
forderte die gesellschaftliche Anerkennung der
Homosexualität, die Gleichstellung nichtehelicher
Beziehungen mit der Ehe, die Freigabe der Abtrei-
bung, die Emanzipation der Frau vom "Gebär-
zwang", die Abschiebung von Kleinst- und Klein-
kindern in Ganztags-Kinderhorte, die Ablehnung
jedweder staatlichen, kirchlichen und elterlichen
Autorität. Man wußte, daß man mit der Zerstörung
und Auflösung der Familie auch den Staat zerstört.
Und eben dies war und ist auch heute noch das
offen bekannte Ziel der Kulturrevolution der 68er-
Bewegung. Man will einen anderen Staat und eine
andere Gesellschaft. Trotz des Zusammenbruches
des Sozialismus ist dieses Ziel für die Anhänger
der 68er-Bewegung noch lange nicht aufgegeben.
Im Gegenteil, die Kulturrevolution breitet sich noch
weiter aus. Viele ihrer Gedanken und Forderungen
sind mittlerweile eingedrungen sogar in die Kirchen
und in deren Jugend- und Frauenorganisationen.
Auch der Sexualunterricht in den Schulen dient ei-
nem der Ziele der 68er-Kulturrevolution, nämlich:
Die heranwachsende Jugend zu verderben, sie mit
allen nur möglichen Sexualpraktiken zu verführen
und sie so dem Elternhaus und auch der Religion
zu entfremden. Welchen Erfolg man damit hatte,
sieht man in dem Rückgang des Gottesdienstbe-
suches schulpflichtiger Kinder, der auch in ländli-
chen Gemeinden auf 0,5-1% der Jahrgangsstärken
zurückgegangen ist. Dies ist eine sehr ernst zu
nehmende negative Zukunftsperspektive für die
christlichen Kirchen in diesem Land, dessen sich
die Kirchen noch kaum bewußt geworden sind, da
bisher fast keine Reaktion auf diese ihre eigene
Inhaltsverzeichnis:
Editorial
Dr. Alfred Häußler 1
Zum traditionellen Selbstverständnis des
Geistes Prof.Dr. Horst Seidl 5
Christliche Aufklärung Prof.Dr.G. Rohrmoser 13
Zum Thema Homosexualität Dipl.Ing.P.Pioch 20
Prof. Thürkauf t 23
Friedensgesinnung und Abtreibung
Prof.Dr. Wuermeling 25
In Deutschland Abtreibung auf Wunsch
Prof. P.Marx 27
Wer ist eigentlich andersrum? Ch Meves 30
Die Notwendigkeit der ethischen Reflektion...
Prof. Dr. G. Roth 31
Abtreibung in der Antike Dr. Th. Schirrmacher 34
Das Alte Testament contra Abtreibung ' 41
Euthanasie durch Entzug von Nahrung
Dr. P. Norris 49
Existenz bedrohende Entwicklung festgestellt wer-
den konnte. Zu welchen Entartungen sich der Se-
xualunterricht in Schulen entwickelt hat, zeigt die
"Aufklärungsbroschüre" der Rheinland-Pfälzischen
Landeszentrale für Gesundheitsförderung, die zum
"Internationalen Jahr der Familie" das von ihr
selbst so bezeichnete "Sexheft" für Vierzehn - bis
Achtzehnjährige jetzt erst herausgegeben hat, und
in dem ausgerechnet unter dem Vorwand der Aids-
Prävention zu sexueller Freizügigkeit animiert wird.
Die schon weitgehend erfolgte
Auflösung der Familie
Die bewußt gewollte Zerstörung der Familie zeigt
sich besonders daran, daß in einer Stadt wie Stutt-
gart 60% der erwachsenen Einwohner in Single -
Haushalten leben. Im Bundesland Baden-Würt-
temberg sind nach den neuesten Mitteilungen des
baden-württembergischen Sozialministeriums vom
11.2.1994 36% der Haushalte Ein-Personen-
Haushalte. Die Ehe als Lebensform auf Bestand
und auf Lebenszeit und mit Kindern als Familie mit
Zukunft wird in diesen Single-Haushalten ganz
betont abgelehnt. Man pflegt in den Single-Haus-
halten nur vorübergehende und ständig wech-
selnde Beziehungen. Denn man will ein selbstbe-
stimmtes, egozentrisches und autonomes Leben
führen. Die Sorge für das Alter, für Krankheit und
Arbeitsunfähigkeit überläßt man denen, die noch
eine Ehe eingehen, eine Familie gründen und Kin-
der aufziehen. Die Kinder aus geordneten Ehe-
und Familienverhältnissen dürfen dann, ja müssen
die Renten aufbringen für diejenigen, die in Single-
Haushalten und in der heute üblichen "Beliebigkeit"
ihr Leben genossen haben. Es gilt heute als erwie-
sen, daß die "Pille" diese unheilvollen gesellschaft-
lichen Entwicklungen und Veränderungen erst er-
möglicht hat.
Die Ehescheidungs- und
Abtreibungsseuche
Die Pille und in ihrem Gefolge die massenhaften
Tötungen ungeborener Kinder in ganz Europa und
Nordamerika haben aber noch mehr verschuldet,
nämlich: Den ungeheuren Anstieg der Eheschei-
dungen. Jede dritte Ehe wird in Mitteleuropa ge-
schieden, darunter viele Mehrfachscheidungen,
und dies mit steigender Tendenz. In der englisch
sprechenden Welt wird sogar jede zweite Ehe ge-
schieden. Die Ehescheidungswellen machen sogar
vor den Familien keinen Halt, die früher als beson-
ders vorbildlich galten und in denen Ehescheidun-
gen undenkbar gewesen wären. Daß gerade auch
in diesen Familien Ehescheidungen zu einer
"privaten Angelegenheit" geworden sind, ist den
unheilvollen Möglichkeiten und Auswirkungen der
von Vielen immer noch hochgejubelten Pille anzu-
lasten. Ihr ganz besonders verderblicher Anteil an
der Zerstörung der Heiligkeit der Ehe und am Aus-
einanderbrechen der Familien ist unbestreitbar. So
diente die Pille in einer Art Schlitten- und Schritt-
macherfunktion auch zur Durchsetzung der Ziele
der 68er-Protestbewegung: Der Auflösung und Ab-
schaffung von Ehe und Familie. Und gerade die
Pille ist es auch, welche die Kulturrevolution in der
wir uns immer noch befinden, auf den Höhepunkt
gebracht hat und auf diesem Höhepunkt immer
noch hält.
Die Krise der Familie ist eine Krise
der Ehe
Der moderne Mensch scheut - in den Großstädten
in über der Hälfte der erwachsenen Einwohner, auf
dem flachen Lande in über einem Drittel des Er-
wachsenenanteiles - die Ehe als Lebensform zwi-
schen Mann und Frau. Die Kulturrevolution der
68er-Bewegung hat gerade in der kleinsten Zelle
der menschlichen Gemeinschaft vieles verändert.
In dieser kleinsten Zelle fand die Kulturrevolution
am nachhaltigsten statt. Der Mensch im Lebens-
gefühl der letzten Jahrzehnte will sich nicht mehr
binden, sondern in der Bindungslosigkeit "sich
selbst verwirklichen". Er ist nicht bereit zu teilen,
sich ein- und unterzuordnen, er bevorzugt den
"Egotrip" und pflegt nur gelegentliche, oft gleich-
zeitig sogar mehrere, aber doch ständig wech-
selnde Beziehungen. Schon das Wort Ehe wird
gemieden. Man spricht von Partnerschaft und vom
Partner. In den Partnerschaften kann man jedoch
keine Kinder brauchen. Sie stören die Lebenspla-
nung und stehen dieser, wie man meint, nur im
Weg. Man will keine Treue, keine Beständigkeit,
man will den Wechsel, den Partner je nach Bedarf ^
und Lust. Daß eine solche Lebensführung nur mit ^-/
Hilfe der Pille möglich ist, dürfte einsichtig sein,
wird aber immer noch von denen bestritten, die die
Pille als einen Fortschritt in der Empfängnisrege-
lung betrachten. Daß mit der Pille keine Empfäng-
nis geregelt wird, sondern die Frau durch den
Raub ihrer Empfängnismöglichkeit der brutalen
Willkür des Mannes ausgeliefert ist, der in seiner
Rücksichtslosigkeit die Frau als Lustobjekt, wann
immer er will, zu mißbrauchen vermag, wird in der
Gesellschaft von heute einfach nicht gesehen,
sondern verdrängt und oft genug ohne jede Sach-
kenntnis und ausreichende Kompetenz für nicht
möglich erklärt. Doch so zerstört man die Authenti-
zität der Ehe als die grundlegende, familienstif-
tende und daher für Staat und Gesellschaft unver-
zichtbare Institution.
Wenn man bedenkt, daß von den verheirateten
und in einer Ehe lebenden Menschen mittlerweile
etwa 20% ungewollt kinderlos bleiben, weil die i
menschliche Fruchtbarkeit seit Jahren fortschrei-
tend zurückgeht, dann weiß man, daß man sich
Sorgen machen muß um die Zukunft Europas und
die der gesamten westlichen Welt. Dies um so
mehr, wenn gerade bei noch erhaltener Fruchtbar-
keit von Ehen heute alles nur erdenklich Mögliche
unternommen wird, um die im ganzen schon allzu
weitgehend reduzierte Fruchtbarkeit so zu begren-
zen, damit es nur noch Ein-Kind-Ehen oder
höchstens Zwei-Kinder-Ehen gibt. Familien mit drei
oder gar vier Kindern gelten heute als asozial. Sie
leben am Rande des Existenzminimums, obwohl
gerade deren Kinder den Generationenvertrag un-
serer Sozialordnung vorläufig noch einigermaßen
garantieren. Ist dies eine gerechte Gesellschafts-
ordnung? So fragen sich die Mütter und Väter grö- •
ßerer Familien. Diese fühlen sich als Bürger zwei-
ter Klasse, die unter finanziellen Benachteiligungen
leiden und die zu alledem von Seiten des Staates
und der ihn tragenden Parteien keinerlei Verständ-
nis, geschweige denn Unterstützung erfahren.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Die kalte Rücksichtslosigkeit gegen
Kinder ^ ^ ' -:--;>;< ?^ ■ -^
Keine Personengruppe ist in der modernen Gesell-
schaft, die durch die Kulturrevolution der letzten
drei Jahrzehnte sich so verändert hat, in einem
solchen Ausmaße benachteiligt und geschädigt
worden wie die Kinder. Sie haben in der neuen
Gesellschaft keine Stimme, keine Lobby, keine
Vertretung in den Parlamenten. Man geht über die
Rechte der Kinder und Ciber ihre berechtigten In-
teressen hinweg, als ob sie nicht am Leben wären.
Hierbei rächt es sich, daß Kinder kein Wahlrecht
besitzen und daß auch stellvertretend für sie ihre
Eltern kein zusätzliches Wahlrecht ausüben dür-
fen. Wäre dies der Fall, so würde sich für die Stel-
lung der Kinder in der Gesellschaft und für den po-
litischen Einfluß von Familien mit Kindern, beson-
ders für kinderreiche Familien vieles zum Besseren
ändern lassen. . ., , „ .
Die Not der Scheidungswaisen
Während früher Ehescheidungen in manchen ge-
sellschaftlichen Stellungen durch einen unge-
schriebenen Ehrenkodex einfach nicht hingenom-
men und nicht geduldet wurden, während Ehe-
scheidungen zum Verlust gesellschaftlichen Anse-
hens und oft auch zum Verlust einer beruflich er-
worbenen Stellung führten, spielen heute Ehe-
scheidungen gesellschaftlich keine Rolle mehr. Sie
sind so häufig geworden, daß man sich an sie ge-
wöhnt hat. Drei - oder gar viermal geschieden zu
sein, ist heute durchaus nicht ehrenrührig. Ehe-
scheidungen gelten als Privatsache und werden in
der modernen Gesellschaft nicht mehr als verwerf-
lich angesehen. Daher wird auch die Not der
Scheidungswaisen nicht gesehen, obwohl die
Scheidung von Eltern für deren Kinder ein
schweres psychisches Trauma ist. Dieses Trauma,
führt in so vielen Fällen zur Neurotisierung von
Kindern mit Leistungsinsuffizienz, oft sogar Lei-
stungsverweigerung, auf alle Fälle aber mit ver-
minderten Schulleistungen. So kosten die immer
zahlreicher notwendig werdenden Sonderschulen
für lernbehinderte Kinder den Staat eine Unsumme
Geld. Die Sozialversicherung wird zusätzlich auch
noch belastet, denn die psychisch krank gemach-
ten Kinder bedürfen meist langjähriger psycho-the-
rapeutische Behandlung, die oft nicht einmal mög-
lich ist, weil die Zahl der erfahrenen Kinder- und
Jugendpsychotherapeuten mit ihrer langjährigen
Spezialausbildung viel zu gering ist für den not-
wendigen Bedarf. Daß die durch die Ehescheidung
ihrer Eltern traumatisierten Kinder oft lebenslang
am Verlust der Liebesfähigkeit leiden, wird eben-
falls nicht zur Kenntnis genommen, geschweige
denn die Tatsache, daß all diese psychischen
Verletzungen der Kinder die eigentliche Ursache
der bedrohlich angewachsenen Kriminalität in ganz
Europa und Nordamerika ist.
Wir wissen heute, daß seit der Auflösung der
Großfamilie mit dem nicht mehr prägenden Einfluß
einer solchen Familie und dem eines geordneten
Elternhauses, mit den nur noch locker aufrecht er-
haltenen Verwandtschaftsbeziehungen ohne On-
keln und Tanten, alle psychisch bedingten Erkran-
kungen ungeheuer zugenommen haben. Wenn
heute jeder Dritte, der eine allgemeine ärztliche
Sprechstunde aufsucht, ein psychosomatischer
Fall ist, und jeder Zehnte an einer Depression lei-
det, wenn die Hälfte aller Alkoholiker durch eine
depressive Stimmungslage in den Alkoholismus
oder gar in den Drogenkonsum abgleitet, so sind
dies alles doch Alarmzeichen, die von der Gesell-
schaft nicht nur wahrgenommen werden sollten,
sondern die alle Menschen in unserem Land alar-
mieren sollten, ganz besonders aber die Organe
des Staates, die Parteien und nicht zuletzt auch
die Kirchen. Alle ohne jede Ausnahme sollten er-
kennen und auch sofort danach handeln, endlich
und ernsthaft alles erdenklich Mögliche zu tun, um
die Stellung von Ehe und Familie zu stärken und
um die sie störenden und sie bedrängenden Ein-
flüsse zu beseitigen.
Die Rettung von Ehe und Familie
aus ihrem Niedergang in der
Kulturrevolution
Niemand kann und darf sich bei'dem Niedergang
von Ehe und Familie, die wir seit drei Jahrzehnten
so dramatisch wie kaum einmal zuvor in der
Menschheitsgeschichte erleben, von der Ver-
pflichtung befreien, alles zu tun, um Ehe und Fami-
lie als gesellschaftliche Institutionen nicht nur zu
erhalten, sondern sie auch wieder aufzuwerten zu
der ihr angemessenen Reputation. All die Miß-
stände, welche die Kulturrevolution seit nunmehr
drei Jahrzehnten in unserer modernen Gesell-
schaft verschuldet und sogar in die Gesetzgebung
fortgeschrieben hat, gilt es zu beseitigen. Umkehr
ist notwendig und Abwendung vor allem von den
beiden hervorstechendsten Erscheinungsformen
der Kulturrevolution in der gesamten westlichen
Welt: Von den hunderttausendfachen Tötungen
ungeborener Kinder, vom feministischen Selbstbe-
stimmungsrecht der Frau über das Lebensrecht
des Kindes und auch von den lebensverneinenden
Kontrazeptionsmöglichkeiten mit Hormonpräpara-
ten, die -wie wir heute wissen- nicht nur Leben
verhindern, sondern oft genug auch schon begon-
nenes menschliches Leben im Frühstadium wieder
abtöten.
Es wird sehr schwer sein, eine breite Meinungsän-
derung in der Gesellschaft gegen die vorgeburtli-
chen Kindestötungen und die hormonale, mecha-
nische und chirurgische Kontrazeption herbeizu-
führen. Viel zu viel ist in den letzten drei Jahr-
zehnten durch Leichtfertigkeit, Gleichgültigkeit und
Fehlinformation versäumt und sogar selbst von
kirchlichen Stellen durch falsche Rücksichtnahme
verschuldet worden, als daß man mit einer raschen
Besserung rechnen könnte. Dennoch ist diese un-
erläßlich notwendig mit einer breit angelegten Un-
terrichtung in der natürlichen Empfängnisregelung,
mit Einbeziehung kirchlicher Jugend- und -und
Frauenverbänden in diese Aufgabe und mit der
unerschrockenen Ablehnung von Kindestötungen
vor der Geburt sowie der nicht natürlichen Emp-
fängnisregelung. Es ist zu hoffen, daß zu dieser
unverzichtbar notwendigen Aufgabe zum Schutz
und zum Erhalten menschlichen Lebens auch die
deutschen Bischöfe einmütig bereit sind. Die Un-
auflösbarkeit der Ehe, die Treue in der Ehe und die
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Offenheit in der Ehe für Fruchtbarl^eit waren bis
zum Beginn der 60er Jahre dieses Jahrhunderts
die allgemein anerkannten Grundvoraussetzungen
für das Gelingen der Ehe und für die Gründung
intakter und gesunder Familien. Doch darauf
wurde auch von Seiten der Kirchen in den vergan-
genen Jahrzehnten zu wenig hingewiesen. Man
verzichtete auf Beeinflussung der öffentlichen Mei-
nung und überließ dieses Feld den Medien, die in
bekannter Weise von der Möglichkeit der Mei-
nungsbeeinflussung im Sinne der Kulturrevolution
nur zu gerne Gebrauch machten. Die Ergebnisse
dieser Einflußnahme sind nur allzu bekannt. Sie
sind erschreckend, ja verheerend. Hier gilt es, viel
verlorengegangenes Terrain wieder zurück zu ge-
winnen.
Die Pflicht des Staates, zur
Sicherung seiner eigenen Existenz
und seiner Zukunft, Ehe und Familie
zu schützen und noch mehr zu
fördern als bisher
Niemand ist in der modernen Gesellschaft so sehr
benachteiligt wie kindereiche Familien und die
Mütter mehrerer Kinder. Angesehen ist heute - und
dies seit dreißig Jahren immer mehr - die Karriere-
frau. Diese hat in der Regel keine Kinder oder
höchstens ein Kind, verdient meist ein gutes Geld
und kann sich alles leisten. Am Ende ihrer Lauf-
bahn bezieht sie eine ansehnliche Rente. Durch
immer kürzere Arbeitszeit, frühere Berentung und
einen immer längeren Urlaub genießt sie ihr Leben
und macht sich wenig Sorgen um ihre Zukunft.
Diese ist ja gesichert, vor allem von den Kindern
kinderreicher Familien und die selbstlose Arbeit
der Mütter dieser Familien. Ihre Arbeit wird nicht
entlohnt, sie ist nur mit Verzicht, mit Opfern und
heute auch noch mit gesellschaftlichen Benachtei-
lungen verbunden. Dies darf nicht sein und muß in
Zukunft geändert werden. Nicht die Karrierefrau,
sondern die Mütter verdienen den Dank und die
Anerkennung durch die Gesellschaft. Es ist daher
dringend erforderlich, daß zur Zukunftsicherung
der Renten und zur Standortsicherung unserer
Wirtschaft wie überhaupt zum Überleben der Völ-
ker Europas und damit der europäischen Gemein-
schaft der politische und damit gesellschaftliche
Einfluß der Mütter viel mehr als bisher verstärkt
wird.
Kein geringerer als der Europaabgeordnete Dr.
Otto von Habsburg und auch andere fordern daher
immer wieder mit Nachdruck eine Änderung des
Wahlrechtes in dem Sinne, daß Eltern bis zur
Volljährigkeit ihrer Kinder für diese das Wahlrecht
bei allen Wahlen ausüben dürfen. Da die Femini-
stinnen immerzu von der Benachteiligung der Frau
sprechen, von ihrer zu geringen politischen Ein-
flußmöglichkeit wäre es sogar zu überlegen, ob
man nicht den Müttern für jedes Kind vom Beginn
der ärztlich festgestellten Schwangerschaft ab das
alleinige zusätzliche Wahlrecht zubilligen sollte.
Eine Mutter mit 4 Kindern hätte dann bei jeder
Wahl die Möglichkeit, nicht nur ihre eigene
Stimme, sondern zusätzlich noch vier weitere, also
insgesamt fünf Stimmen abzugeben. Dies wäre
eine ungeheure Aufwertung der Frauen, insbeson-
dere der Mütter, und würde den politischen Einfluß
der Frauen weit mehr heben als alle Ouotenrege-
lungen. Wie sehr wären dann die männlichen Ab-
geordneten bestrebt, trauen- und familienfreundli-
che Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen.
Dann ließe sich auch ein gerechter Ausgleich
schaffen zwischen der berufstätigen Frau mit kei-
nem oder nur einem Kind und den Müttern, die
wegen der Versorgung ihrer Kinder bisher nur auf
den Verdienst des Ehemannes und auch später
nur auf seine Rente allein angewiesen waren.
Diese Ungerechtigkeiten müssen beseitigt werden,
und da in einer Demokratie nur über die Stimmab-
gabe bei Wahlen mitentschieden werden kann, ist
die Stimmabgabe - Möglichkeit der Mütter für jedes
ihrer noch nicht volljährigen Kinder eine Notwen-
digkeit, mit der sich Vieles in der Familien-, Frauen
-und Sozialpolitik ändern ließe. Daß dies notwen-
dig ist, dessen sind sich die Mütter in unserem
Lande, aber auch viele Sozialpolitiker bewußt.
Handeln wir deshalb solange sich noch mit Aus-
sicht auf Erfolg für die Familien, die Kinder und ihre
Mütter etwas erreichen läßt. Denn selbst Max
Horkheimer, der Begründer der "Kritischen Theorie
und der "Frankfurter Schule" hat in einer späteren
Studie (1949) sein ursprünglich vorwiegend
negatives Urteil über die Familie geradezu umge-
kehrt und sich zum Anwalt der "Familie im echten
Sinn" gemacht, die er als die "verläßlichste und er-
folgreichste Gegeninstanz gegen den Rückfall in
die Barbarei bezeichnet." (Zitiert aus Wolfgang
Brezinka "Die Pädagogik der Neuen Linken" Seite
124, Ernst Reinhardt Verlag München, Basel).
Alfred Häußler
Hinweis:
Zu dem Artikel: Mitschuldig! von E. Backhaus '
Im Dezemberheft 1993 hätten die beiden letzten Fußnoten statt statt 41 und 42, 44 und 45 heißen sollen.
Auch wurde versehentlich eine Fortsetzung angekündigt. Dies ist aber nicht richtig, der Artikel ist vollständig.
Die gesamte Arbeit von E. Backhaus kann als Broschüre bezogen werden, s. Medien
Wir bitten das Versehen zu entschuldigen (Die Redaktion) :: , J. ■.'...
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Prof. Dr. Horst Seid I se. s^.r ^^
Professor für allgemeine Ethik an der Lateran-Universität, Rom ,! .imI^: i.^i
Zum traditionellen Selbstverständnis des Geistes
■^nrr
l-:
Philosophisch-anthropologische
Erörterungen
Ein Grundkurs Philosophie: Philosophie des 20.
Jahrhunderts, zusammengestellt in unseren Ta-
gen\ beginnt mit der Feststellung: «Die Philoso-
phie des 20. Jahrhunderts ist gekennzeichnet
durch die Krise ihres Selbstverständnisses». Wer
dann diesen Grundkurs oder andere Darstellungen
der Philosophie der Gegenwart durchstudiert, wird
weiter feststellen können, daß der Krise im Selbst-
verständnis der Philosophie eine Krise im Selbst-
verständnis des menschlichen Geistes zugrunde
liegt. In der Tat erweist es sich in den verschie-
denen Gegenwartsströmungen mehr denn je pro-
blematisch: Die Phänomenologie reduziert ihre
Gegenstände auf Phänomene, die dem Bewußt-
sein/dem Erleben «leibhaft erscheinen». Und dies
kann der Geist nicht. In Heideggers Existenzphi-
losophie ist das Subjekt nicht der Geist, sondern
das Denken, in dem das Sein selbst sich als frag-
würdig denkt und sich in immer neuen ge-
schichtlichen Ereignissen zur Sprache bringen will.
In der Bioanthropologie Gehlens wie auch in der
hermeneutisch-geschichtlichen Richtung ist das
unmittelbare Selbstverständnis des Geistes wie-
derum verlegt; er lernt sich nur indirekt über seine
kulturellen, sozialen, geschichtlichen u.a. Leistun-
gen kennen. In der materialistischen Richtung soll
er sich als Produkt materieller Energien verstehen.
Wenn wir dann bei der Analytischen Richtung nach
dem Geist fragen, so erhalten wir z.B. in dem Ka-
pitel über B. Russell die Antwort: «In der Phase
des logischen Atomismus werden das Selbst und
der Geist ebenso wie die Materie durch Konstruk-
tionen aus Ereignissen ersetzt. Geist und Materie
unterscheiden sich lediglich in den Relationen, die
die Ereignisse miteinander verbinden. Geist und
Gehirn sind nicht real voneinander verschieden»
(a.a.O. ,135). G. Ryle ist sehr bedacht darauf, den
Geist nicht als Substanz zu verstehen, sondern auf
«Dispositionen zu beobachtbaren Verhaltenswei-
sen» zu reduzieren (a.a.O., 159). Da all diese
«philosophischen» Aussagen der Menschengeist
macht, kann man feststellen, daß er sich in ihnen
systematisch selbst aufhebt. Damit gerät auch die
Philosophie selbst in die Krise, die ja ursprünglich
ein Streben nach Weisheit und Glückseligkeit des
Menschengeistes war, worin sich sein Selbststand
und seine Überlegenheit über Materie und Natur
ausdrückte.
Die vorliegende Studie möchte im folgenden
zunächst von heute einflußreichen Auffassungen
über den Menschen ausgehen, deren Geist-
verständnis problematisch ist, um dann das der
klassischen, besonders der aristotelisch-thomisti-
schen Tradition wiederaufzunehmen, die ein
höchst positives Selbstverständnis des Geistes
aufweist. Wenn dieses den heutigen Auffassungen
abhanden gekommen ist, so heißt das nicht, daß
die Menschen der Gegenwart zu keinem positiven
Selbstverständnis des Geistes mehr fähig wären.
Vielmehr besitzen sie ein solches ebenso wie die
früheren, doch wird es ihnen heute durch gewisse
Theorien verwehrt, während sie es in der genann-
ten Tradition - die auch mit der christlichen Glau-
benslehre übereinstimmt - bestätigt finden können.
I) Moderne problematische Auffas-
sungen vom Menschen
1) bei Imm. Kant
Aus Kant interessiert uns hier der Begriff der intel-
ligiblen Person. Damit verbindet sich ein Problem,
das mit seiner Metaphysik-Kritik zusammenhängt.
Gegen den Englischen Empirismus versucht Kant
die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis (vor
allem der Newtonschen Physik) von der sinnlichen
Erfahrungswelt zu verteidigen, verwirft aber
zugleich die rationalistische Metaphysik von Leib-
niz, Wolff und Baumgarten und übernimmt vom
Empirismus zwei Voraussetzungen: erstens, daß
die Dinge bloß sich wandelnde Erscheinungen in
Raum und Zeit seien, denen wir das Ansichsein
nur problematisch zudenken könnten, und zwei-
tens, daß der Mensch keine intellektuale Anschau-
ung vom Wesen der Dinge habe, sondern nur die
Sinnesanschauung von ihnen als Erscheinungen.
Den Dingen kommen also nicht an sich substanti-
elles Sein, Wesen, konstitutive Formursachen zu,
stattdessen werden sie als Gegenstände der Er-
scheinungswelt vom Subjekt konstituiert, genauer:
von der Raum-Zeitform der Sinnesanschauung
und gewissen Verstandeskategorien. ^
Daraus ergibt sich bei Kant für den Menschen dies,
daß er sich als Geistwesen, als «intelligible Per-
son» nicht real seiend gegeben ist, sondern nur
gedacht wird, obwohl wir doch ein reales Bewußt-
sein davon haben. Kant unterscheidet aber hin-
sichtlich des Bewußtseins zwischen dem «trans-
zendentalen Bewußtsein», das die Form des «Ich
denke» hat und alle Erkenntnisse als oberste Be-
dingung begleitet, und dem «empirischen Be-
wußtsein», in dem uns die Dinge zwar gegeben
sind, aber nur als Erscheinungen in Raum und
Zeit. So ist auch der Mensch sich selbst nur als Er-
scheinung, als «empirische Person», im inneren
Zeitsinn gegeben. Dies ist jedoch unhaltbar; denn
das Bewußtsein ist immer ein Akt der Vernunft,
und somit kein «empirisches». Ein «sinnliches Be-
wußtsein» ist in sich widersprüchlich. Wenn aber
das transzendentale Bewußtsein das Auge des
Geistes ist, vor dem die Dinge, und wir uns selbst
gegeben sind, dann kann es kein diskursives Ich-
denke sein, das in Reflexion auf das Ich, die Ver-
nunft oder den Geist zurückkommt, sondern muß
ein intuitiver Blick sein, vor dem wir uns selber als
Geistwesen gegeben sind, uns selber real seiend
bewußt sind.
Kants Position hat Einfluß sowohl auf die empiri-
sche Psychologie und Anthropologie, als auch auf
den gegenwärtigen Existenzialismus und Persona-
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
lismus ausgeübt. Sie haben alle keine metaphysi-
sche Einstellung mehr, wenn sie auch zum An-
sichsein des Realen zurückgekehrt sind. Doch liegt
nunmehr die substantielle Realität des Menschen
nur noch in der Leib- und Triebnatur. Der Geist re-
duziert sich auf diskursive Funktionen der berech-
nenden Ratio, die sich auf das technisch Machbare
und die Manipulation von Macht richtet, ohne Ein-
sicht in sich selbst und den transzendenten Gott.
Tiefe und Intuition werden mehr im Unbewußten
oder in existentiellen Gefühlen, Gestimmtheiten
angesiedelt.
2) bei M. Scheler
Max Scheler anerkennt zwar in seiner Anthropolo-
gie, daß der Geist im Menschen als ein neues
Prinzip auftritt^, das die Triebnatur übersteigt. Er
macht aber kein neues Wesensprinzip aus und
kommt nicht als höheres Lebensprinzip zum sinnli-
chen hinzu, sondern beschränkt sich auftriebsteu-
ernde Funktionen. Scheler spricht von der
«Ohnmacht des Geistes», der selbst ohne sub-
stantielles Sein nur von Gnaden der Triebenergien
existiert, die er sublimieren muß. Und je mehr er
dies leistet und Kulturwerke schafft, desto lebens-
bedrohender wird er.* Wie man sieht, ist Leben
hier vitalistisch auf das triebhafte beschränkt, der
Geist bildet kein neues Lebensprinzip. Vielmehr
werden nach Scheler auch seine geistigsten Akte
von Sinnesenergie und dem «Dampf des Instink-
tes» genährt. - Dieselbe Auffassung findet sich
auch in der Tiefenpsychologie, auf die wir hier
nicht mehr näher eingehen können.
3) bei A. Gelilen
Nach der Bioanthropologie von A. Gehlen ist der
Mensch «das noch nicht festgestellte Tier»^ weil
er biologisch ein «Mängelwesen» ist, ohne biologi-
sche Spezialisierung, wie sie die Tiere aufweisen.
Die Vernunft wird als natürliches Vermögen ange-
sehen, das zur Tiernatur des Menschen gehört und
versucht, den biologischen Mangel durch Kul-
turleistungen zu kompensieren. Der Eigenwert und
Selbstzweck der Verunft des Geistes und der ihm
eigentümlichen Tätigkeiten in den Kulturwerken,
die den bloßen Zweck, einen biologischen Mangel
wettzumachen, unendlich übersteigen, kommt
nicht in den Blick, wiewohl an sich die Beobach-
tung der Unspezialisiertheit des Menschen durch-
aus richtig ist, und auch unter diesem negativen
Aspekt Gehlen Einsichten für die Entstehung und
Entwicklung der Kulturleistungen gewinnt.
4) bei IVI. IHeidegger
Im Existentialismus Heideggers ist weniger vom
Geist, als vielmehr vom Denken die Rede. In der
Schrift "Über den Humanismus"^ versucht er, den
traditionellen, metaphysisch begründeten Huma-
nitätsbegriff zu überwinden, weil Sein/Existenz und
Wesen des Menschen (als vernunftbegabten Le-
bewesens), sowie auch das Sein selbst als Wirk-
lichkeitsgrund objektiv feststellbare substantielle
Gegebenheiten sind. Stattdessen ist nach Heideg-
ger der Substanzbegriff einer «phänomenologisch-
en Destruktion» zu unterziehen. Des Menschen
Wesen wird nun phänomenologisch als Daseins-
vollzug ausgelegt, als «Ek-sistenz», Ausstehen ins
Nichts, alles in Frage stellend, in existentiellen
Stimmungen oder Befindlichkeiten der Daseins-
sorge und Angst. Die Welt «west» nur als Verste-
henshorizont solcher Befindlichkeiten. Das Sein ist
die Zeitlichkeit oder Geschichtlichkeit der men-
schlichen Eksistenz, das Geschick der Menschen,
das immer wieder neu «im Wort der wesentlichen
Denker zur Sprache» kommt. Geschichte wird
zugleich zum Kultur- und Sprachgeschehen. So
wird der existentiell denkende Mensch «der Hirt
des Seins», der Ort, die Lichtung, in der nicht er
selbst, sondern das Sein sich zur Sprache bringt,
zur geschichtlichen Sinnfrage wird, die alles in
Frage stellt.
Ohne auf Heideggers Position hier näher einzuge-
hen, ist festzustellen, daß sie den traditionellen
Person-Begriff durch den der «Ek-sistenz des
Menschen» ersetzt; denn, wie er selbst sagt, «das
Personhafte verfehlt und verbaut zugleich das We-
sende der seinsgeschichtlichen Eksistenz». Damit
wird jedoch der Mensch depersonalisiert. Das
Subjekt des wesentlichen Denkens ist nicht mehr
die Person mit der Geist- oder Vernunftnatur, son-
dern wird nun ein anonymes Es oder Geschick, für
das die Chiffre Sein steht.
Indem der Mensch sich als Platzhalter des Seins
denkt, bleibt er das Subjekt dieses Denkens und
Sprechens. In Wahrheit jedoch kann nur vom tran-
szendenten Gott der Mensch etwas vernehmen.
Heideggers existentielles Denken erreicht aber
nicht mehr die transzendente Wirklichkeit (die reli-
giös gesprochen Gott ist), sondern verbleibt in sich
endlos transzendierenden Denkakten.
Die Depersonalisierung des Menschen und die
Vernachlässigung der Geistnatur hängt damit zu-
sammen, daß dem Menschen das substantielle
Sein und Wesen abgesprochen und das Sein
überhaupt in Geschehen, Prozeß, Ereignisse und
Aktivitäten aufgelöst wird. Das Wesen des Men-
schen wird aktivistisch in Existenz umgedeutet,
und diese in ein entschlossenes geschichtsbe-
wußtes Handeln, verbunden mit einem weltverän-
dernden Denk- und Sprachgeschehen.
Dazu läßt sich folgendes sagen: Wenn es ver-
schiedene Erkenntnisstufen gibt, von der Sinnes-
wahrnehmung bis zur wissenschaftlichen Ver-
nunfterkenntnis, dann ist das Erleben, Erfahren,
auch das existentielle, in seinem wandelbaren Be-
wegungscharakter, eine Zwischenstufe, der auf
Seiten des Realen auch etwas Wandelbares, Pro-
zeßhaftes entspricht. Auf dieser Stufe ist jedoch
das Sein der Dinge, sofern sie einfachhin sind,
noch gar nicht thematisch, wenn es auch randhaft
unthematisch immer schon bewußt ist, sondern
erst auf der höheren Stufe der abstrakt-allgemei-
nen, metaphysischen Betrachtung, die sich auf alle
Dinge richtet, einfach insofern sie sind, das Sei-
ende als solches. Daher besteht auf der Ebene
des Existentialismus noch überhaupt kein Recht,
von Sein und Seiendem zu sprechen, oder die
Frage nach dem (Sinn von) Sein zu stellen. Der
existentiell Gestimmte hat praktische Interessen,
Ängste, geschichtliche Erwartungen usw., die an
sich durchaus berechtigt sind, aber er ist in ihnen
gar nicht disponiert, alle Dinge, schlicht insofern
sie sind, «das Seiende als solches» zu betrachten;
denn dazu ist eine praktisch desinteressierte, theo-
retische Haltung erforderlich. Theoretische,
begriffliche Erkenntnisse interessieren ihn gar
nicht. Begriffe wie Sein, Existenz, Wesen, Wahr-
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
heit, Wissenschaft u.a.m. kann er gar nicht mehr in
ihrer traditionellen Bedeutung, d.h. auf der hohen
Ebene theoretischer Reflexion, verstehen, sondern
nur noch in einem gänzlich anderen, praktisch
existentiellen Sinn: Sein als geschichtliches Ereig-
nis im existentiellen Erleben, das Wesen des Men-
schen als Existenz, die Existenz als entschlos-
senes Ausstehen des Lebens zum Tode hin,
Wahrheit als Freiheit dieser Ek-sistenz, und die
theoretischen Wissenschaften, ja selbst die Meta-
physik, nur als Herrschaftswissen. Dagegen ver-
stand die Tradition gerade die theoretischen
Wissenschaften als die «freien», weil befreit von
praktischen Interessen. Bei Heidegger werden all-
gemein die kognitiven Akte in volitive umgedeutet.
Da sich bei ihm das Sein im Menschen als Vermö-
gen, Macht, manifestiert, tritt hier eine schicksal-
hafte Herrschaftsmacht auf. Bekanntlich meinte
Heidegger eine Zeitlang, in Hitler den Platzhalter
des Seins zu sehen. Bei dieser existentialistischen
Auffassung vom Menschen geht dann auch, wie
oben dargelegt, seine Personalität verloren (s.o.).
5) bei E. Mounier
Schließlich ist noch die personalistische Auffas-
sung vom Menschen zu erwähnen. Bei einem ihrer
Hauptvertreter, E. Mounier^, erscheint die Person
zunächst als ein Gesamt von Phänomenen in ei-
nem «personalen Universum» und wird so um-
schrieben: «Die Person ist kein Objekt» (9), son-
dern nur Subjekt, das ihm in jeder Hinsicht entge-
gengesetzt ist. Das Objekt ist für Mounier das
Materielle, das äußerlich Gegebene, das, was
sinnlich empirisch feststellbar, katalogisierbar und
naturwissenschaftlich analysierbar ist, beobacht-
bar, technokratisch manipulierbar, dem Experiment
unterziehbar ist. Dagegen stellt sich das Subjekt
als Geist dar, als personale Existenz, sich nicht
gegeben, sondern nur in selbstschöpferischer Akti-
vität sich setzend, in je individueller Einzigartigkeit,
sich jeder Definition entziehend... Die Beschrei-
bung kommt schließlich zu der Feststellung: «Die
Person ist eine als Selbstschöpfung erlebte Aktivi-
tät, ist Kommunikation und Anhänglichkeit
(Adhäsion), die sich sammelt und in ihrem Akt er-
kennt, als Bewegung der Personalisierung» (11).
Ausgehend vom Individualismus als natürlichem
Egoismus (46 ff.), der alles besitzen und sich alles
unterwerfen will, vom Instinkt der Selbstbehaup-
tung, beschreibt dann Mounier die Personalisie-
rung der Natur. Sie geschieht in den Akten des
Menschen, die ihn über das rein natürliche Dasein,
über das bloß leibliche Wohlergehen hinausheben,
die Natur zu personalen Werken umgestalten, den
Dingen ihre Würde geben (Berufung auf Marx und
das Christentum, 39). In diesem Prozeß gelangen
die Menschen zu einem kommunikativen Verhalten
und öffnen sich auf das Sein, das als Mitsein mit
anderen verstanden wird, als Engagement.
Mouniers Personalismus hat das Verdienst, in ei-
ner konfliktreichen historischen Stunde gegen den
Materialismus, wie auch gegen Szientismus und
Technokratie, für eine spirituelle, personale Auffas
sung vom Menschen eingetreten zu sein, die zur
Entfaltung der geistigen Tätigkeiten führen will.
Doch sind auch die Nachteile deutlich: Das perso-
nale Sein und Wesen des Menschen löst sich in
geistige Aktivitäten auf. Der Geist erlangt nicht
mehr seine Stellung als substantielles Wesens-
prinzip des Menschen, die er einmal in der traditio-
nellen (aristotelisch-thomasischen) Auffassung in-
negehabt hat. Das Personsein verkürzt sich aktivi-
stisch auf die personalen Akte (die traditionell ge-
sprochen zweite Akte sind) und verliert das sub-
stantielle Sein (den ersten Akt)^ Substantiell ist
der Mensch nur noch in seiner Leiblichkeit^
Die Auffassung von der Selbstkreation der Person
bedeutet, daß diese sich vor ihren personalen Ak-
ten noch nicht selbst gegeben ist, was aber unse-
rer Selbsterfahrung widerspricht.
Mit der Aufhebung der Substantialität des Mensch-
bzw. Personseins werden auch die klassischen
Definitionen vom Menschen als «rationalem Lebe-
wesen» und von der Person «als individueller Sub-
stanz von rationaler Natur» verworfen. Die Be-
schreibung jedoch, die Mounier selbst von der
Person gibt, ist in sich zirkulär; denn die Person ist
hiernach nur im Prozeß der Personalisierung, die
aber doch schon voraussetzen muß, daß und was
eine Person sei.
II) Ein ethisches Problem
Mit dem dargelegten anthropologischen Problem,
d.h. mit dem Verlust des Geistes als Substanz,
hängt ein ethisches zusammen. Seit Kants Kritik
der praktischen Vernunft scheint das sittliche Gute
nicht mehr a priori bestimmbar, d.h. von vornherein
durch Vernunft einsichtig zu sein, sondern nur
noch a posteriori empirisch immer wieder neu aus
den Handlungserfolgen festgestellt zu werden. A
priori einsichtig und normativ verbindlich ist bei
Kant nur der sog. kategorische Imperativ: «Handle
so, daß die Maxime deines Willens jederzeit
zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzge-
bung gelten könne»'". Der Imperativ stellt zwar
richtig die Allgemeinheit und Vernünftigkeit jedes
sittlichen Gebotes oder Gesetzes als solchen her-
aus, ist aber darüber hinaus formalistisch, weil er
sich auf kein sittliches Gutes bezieht, noch auch
dieses definiert. Stattdessen tritt das Gute und
Schlechte erst als Ergebnis von Handlungen, als
Qualität an ihnen auf, je nachdem ob sie gemäß
oder nicht gemäß dem Imperativ erfolgt sind ' . Die
formalistische und die empiristische Seite von
Kants Ethik haben sich bis in die Gegenwart fort-
gesetzt in zwei gegensätzlichen Richtungen, dem
sog. Deontologismus und Teleologismus. Beiden
ist es nicht möglich, a priori zu bestimmen, was
das sittliche Gute ist. Für den Teleologismus und
alle Arten von Utilitarismus oder Pragmatismus ist
es immer neu aus den Handlungserfolgen zu er-
mitteln. Der Deontologismus dagegen läßt das
Gute von dem formal(istisch)en Sollensgebot ab-
hängen: Wann immer sich jemand bewußt ist, eine
Handlung tun zu sollen, muß sie ethisch als gut
beurteilt werden. Dabei bleibt bis heute das be-
kannte Problem offen, welches das Kriterium dafür
ist, daß eine Handlung gesollt werde.
In der Tradition ist das Gute das Kriterium für das
Sollen: Dadurch daß eine Handlung als sittlich gut
erkannt wird, soll sie auch getan werden. Das sittli-
che Gute macht hier nicht nur eine Oualität des
Handelns aus, sondern auch des menschlichen
Seins/Lebens und hat eine natürliche Vorausset-
zung in jenem Guten, das in der Geistnatur des
Menschen liegt. Wenn sich moderne Ethiken auf
Handlungstheorien beschränken und das sittliche
Gute, als normatives Kriterium des Handelns, nicht
MEDIZIN & IDEOLOGIE APRIL 94
mehr im Blick liaben, so deslialb, weil auch die
Sicht auf die Geistnatur des Menschen verloren
gegangen ist und das Selbstverständnis des Gei-
stes, daß er zum Wesen oder zur Natur des Men-
schen gehört.
III) Rückbesinnung auf das Selbst-
verständnis des Geistes in der Tra-
dition
Der kleine Durchblick durch moderne Menschen-
Auffassungen dürfte schon gezeigt haben, wie
problematisch in ihnen der menschliche Geist sich
selber geworden ist, ferner auch das sittliche Gute.
Daher lohnt es sich, wieder in die Tradition zurück-
zugehen, die vor allem von Piaton, Aristoteles,
Stoa, Neuplatonismus, Kirchenvätern und mit-
telalterlicher Scholastik ausgebildet worden ist,
aber sich in mancherlei Brechungen bei Denkern
der Neuzeit und Gegenwart fortentwickelt hat, und
sich zu fragen, welches Selbstverständnis des
Geistes sie hat.
1) Geistnatur und Person
Beginnen wir mit der klassischen Definition des
Menschen als «vernunftbegabten Lebewesens»,
die sich aus der Betrachtung seiner konstitutiven
Ursachen ergibt; denn die Definition geht auf das
Wesen des jeweiligen Gegenstandes, und das
Wesen ist das Gesamt der Ursachen, die seine Art
(Spezies) konstituieren. Beim Menschen sind diese
Ursachen der Leib und die Seele, sowie in der
Seele, der Lebensursache, drei konstitutive Le-
bensprinzipien: das vegetative, das sensitive und
das intellektive. Das letztgenannte Prinzip ist das
höchste und daher artbildende. Dies bringt die
Defintion durch die spezifische Differenz «ver-
nunft-begabt» zum Ausdruck, wodurch sich der
Mensch vor allen übrigen Lebewesen auszeichnet.
Zugrunde liegt ein Selbstverständnis des Geistes
von seiner Überlegenheit über den Leib und den
Trieb, das die Tradition philosophisch zuerst in der
Ethik artikuliert hat, worauf wir sogleich näher ein-
gehen werden.
Die Definition der Person (erstmals von Boethius
aufgestellt^^), wonach sie «individuelle Substanz
von vernünftiger Natur» ist, setzt die Definition des
Menschen voraus und schließt sie ein, betrachtet
nun aber den Menschen nicht mehr als Vertreter
einer Spezies, sondern als Individuum. In der Tat
ist die Person nichts anderes als der individuelle
Mensch, in welchem sich, als Person betrachtet,
die Vernunftnatur als Form-/Lebensursache bis in
die konkrete Existenz hinein auswirkt.
Die klassische Person-Definition ist heute einer
Kritik ausgesetzt, die das Wesen der Person auf
die Individualität verkürzt. Sie sieht in der «ver-
nünftigen Natur» nur eine vage allgemeine Mög-
lichkeit des Menschseins, die sich von der kon-
kreten individuellen Existenz entfernt. Doch liegt
hier ein Mißverständnis vor, welches letztlich das
Verhältnis zwischem dem Allgemeinen und dem
Einzelnen betrifft (das sog. Universalienproblem).
Wenn auch die Ausdrücke in der Definition allge-
meine sind: das «Vernunftbegabte», wie auch das
«Lebewesen», und das Allgemeine als Abstraktes
zum Einzelnem als Konkretem in Gegensatz steht,
so entfernt es sich doch nicht vom Einzelnen; denn
das definitorisch Allgemeine bezieht sich gerade
auf das Wesentliche in den ein-zelnen Individuen,
das ihnen immanent gemeinsam ist. Die
spezifische Differenz «vernunftbegabt» bezeichnet
die Vernunft in jedem individu-ellen Menschen als
zu seinem Wesen gehöriges Lebensprinzip, das
für ihn artbildend ist, d.h. das Menschsein
bestimmt. Die Vernunft wirkt sich durch ihre
Intentionen und Entscheidungen bis ins konkrete
Leben und Handeln hinein aus und verleiht ihm
den Charakter des spezifisch Menschlichen.
2) Natürliches Sittengesetz und Gewissen
Aus der Ordnung im Menschen mit der Vorrang-
stellung des Geistes erwächst diesem die sittliche
Aufgabe, sie auch durchzusetzen, d.h. ihr gemäß
das menschliche Handeln und Leben zu gestalten
und in Tugenden zu vollenden, um so das Gute zu
verwirklichen.
Das natürliche Sittengesetz ist der Weg zum sittli-
chen Guten'\ gemäß jener Wesensordnung, mit
der Herrschaft des Geistes im Menschen zu leben,
der eine natürliche Ausrichtung auf Gott hat. (Die
Zehn Gebote sind Lebensgesetze des Menschen.
Wo sie nicht befolgt werden, richtet sich das men-
schliche Leben zugrunde.)
Das Sittengesetz steht nicht im Gegensatz zum
menschlichen Geist und dessen Entscheidungs-
freiheit zum Handeln, da dieser in das Gute, zu
dem das Sittengesetz anleitet, eingeschlossen ist.
Es ist sein Gesetz, ohne daß der Geist es sich
selbst erschüfe; denn es ist ihm mit seiner Herr-
scherstellung vorgegeben, in der er auch sich
selbst gegeben ist *.
Nach traditioneller Auffassung liegt in der Wesens-
natur des Menschen schon eine natürliche Anlage
zum sittlich Guten, ein erster «Keim» (nach stoi-
schem Ausdruck) oder «Anfang», «Prinzip» zu
natürlicher Sittlichkeit, «natürlichen Tugenden». In
der Tat ist die Sinnlichkeit dazu angelegt, um des
Geistes willen tätig zu sein (z.B. die Sinneswahr-
nehmungen um der geistigen Erkenntnisse willen),
der Geist hingegen dazu, um seiner selbst willen
tätig zu sein, die Sinnlichkeit zu überformen und in
seinen Dienst zu nehmen.
Wenn Ethiktheorien heute nicht mehr wissen, was
das sittliche Gute ist, obwohl es doch mit der
Geistnatur des Menschen zusammenhängt, so
enthüllt sich hier eine Selbstentfremdung des Gei-
stes.
Das Gewissen ist seiner eigentlichen Bedeutung
nach, - die Thomas v. Aqu., der Tradition folgend,
besonders klar herausgestellt hat'* -, das prakti-
sche Mitwissen oder Bewußtsein vom sittlichen
Guten, wie auch von dessen Fehlform, dem Bö-
sen, in einem allgemeinen, prinzipiellen Sinne, das
schon in der natürlichen Sittlichkeit im Wesen des
Menschen angelegt ist und sich hin zu einem
guten Leben, nach den Tugenden der Gerechtig-
keit, Selbstbeherrschung, Weisheit usw. vollenden
soll. Das Gewissen ist sodann, über dieses natürli-
che Wissen vom Guten hinaus, auch die Urteils-
kraft, die allgemeinen Prinzipien des Guten auf das
konkrete Handeln und Leben anzuwenden. Dazu
bedarf es der Bildung und Unterweisung, und es
kann zu Fehlformen und Irrtum kommen.
Die traditionelle Ethik will zur Schärfung des Ge-
wissens beitragen, nimmt aber auch selber bei der
Bestimmung des Guten, bzw. der Tugenden, das
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
s
Gewissen guter Menschen zur Richtschnur,, in
denen das Gute maximal verwirl^licht ist, und deren
Gewissen bezeugt (wie schon Aristoteles be-
merkt), daß das tugendvolle Leben das erstre-
benswerteste, beste und freudvollste ist, in innerer
Übereinstimmung und Frieden. Diese Lehre geht
von der Erfahrung gelebter Tugenden aus, nicht
von bloß gedachten Idealen.
Wenn der Geist seiner Aufgabe, den Trieb zu be-
herrschen, nicht nachkommt, gerät er unter einen
ungeordneten Einfluß des ungehemmten Triebes,
was zu seelischen Konflikten führt und vom Ge-
wissen als sittlich schlecht beurteilt wird.
Wenige Begriffe sind heute in der Ethik so unklar
wie der des Gewissens. Man sucht es entweder
als moralisches Gefühl oder als Sollensbewußtsein
zu bestimmen oder als existentielle Entschei-
dungsinstanz oder als Produkt von Erziehung und
Anpassung oder als Ort sozialer Konflikte, wäh-
rend es doch das Wissen vom sittlichen Guten und
damit auch von der Vernunft selbst ist, sofern in
dieses eingeschlossen. Jene genannten Bestim-
mungen hingegen halten sich an der Peripherie
der Vernunft oder des Geistes und zeigen Flucht-
bewegungen von ihm weg, eine Selbstentfrem-
dung des Geistes an^®.
3) Das sittliche Gute als Wirklichkeit
im Menschen: Tugenden und
Geistesherrschaft
Das Leben und Handeln des Einzelnen steht in
verschiedenen Bezügen zu sich, zum Nächsten
und zu Gott und hat Aufgaben zu erfüllen, die zur
Gemeinschaft mit den anderen und mit Gott bei-
tragen. Der Sinn des Ganzen bleibt uns verborgen,
wenn nicht erhellt durch Gottes Offenbarung. Die
Ethik befaßt sich mit der sittlichen Gutheit als einer
gewissen Oualität des Handelns und Lebens, wo-
bei sie sich auf die schon in den Menschen vor-
handene Sittlichkeit und das damit verbundene Be-
wußtsein, das Gewissen, bezieht, um sie näher zu
untersuchen und ihre Prinzipien abzuklären.
In der traditionellen Ethik wird seit Aristoteles das
sittliche Gute (Tccv^pw^nvov dya^ov) als eine
seelische Wirklichkeit (evcpycia ^i/iJ^^iC) im Men-
schen bestimmt' ^ gemäß ihrem besten Vermö-
gen, der Vernunft. Sie entfaltet sich, in gewissen
Tugenden, «Bestformen» (dpexai), Haltungen der
Seele, unter der Herrschaft des Geistes, d.h. des
Willens und der Vernunft. In ihnen kommen alle
Kräfte des Menschen, die leiblichen und seeli-
schen, die sinnlichen, affektiven und geistigen, zur
Wirksamkeit und möglicherweise zur Vollendung,
wenn sie vom Geist geführt werden, worin das
Kriterium der Sittlichkeit liegt. Die Tugenden sind
erworbene seelische, entscheidungsfähige Haltun-
gen auf den verschiedenen Lebensgebieten - so
z.B. die Tapferkeit auf dem des Gefahrvollen, die
Gerechtigkeit auf dem der zu verteilenden Güter,
die Frömmigkeit auf dem religiösen Gebiet -, wobei
das Sinnliche und Affektive durch gute Gewöh-
nung, unter der Leitung der Vernunft so geformt
sind, daß sie die Vernunft bzw. den Geist nicht
behindern, sondern wirksam unterstützen bei der
Erfüllung seiner Aufgaben. Die ganze Ethik dreht
sich, wie schon Piaton und Aristoteles feststellen,
um die Bildung der Affekte, so daß wir Freude an
dem haben, was die Vernunft als sittlich gut er-
kennt, und Schmerz an dem, was sie als schlecht
beurteilt, nicht jedoch umgekehrt.
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben in dieser Welt muß
die Vernunft Sachkenntnisse erwerben, aber auch
Weisheit, in der sie am besten, wie wir Christen
wissen, durch. Gottes Offenbarung unterwiesen
wird: alles im individuellen und gemeinschaftlichen
Leben letztlich auf Weniges oder das Eine, das not
tut, zu beziehen, auf die Bestimmung des men-
schlichen Geistes und seine Gemeinschaft mit
Gott. Was nützt es dem Menschen, wenn er die
ganze Welt gewönne, aber dabei Schaden an sei-
ner Seele nähme... Die Ethik kann dies nur bestä-
tigen und die Weisheit als höchste Tugend aner-
kennen. Diese wird traditionell in den «theo-
retischen» (kontemplativen), d.h. betrachtenden
Tätigkeiten der Geistseele gesehen, die (im Ge-
gensatz zu den praktischen) ihren Zweck in sich
selbst haben, worin sich wiederum der Geist als
Selbstzweck offenbart. Zu ihnen gehören nicht nur
die theoretischen Wissenschaften, sondern auch
die religiösen und künstlerischen, die sich auf uni-
versale Prinzipien der Wirklichkeit richten, letztlich
auf den menschlichen Geist, seine Wirksamkeit in
dieser Welt und seine ewige Bestimmung bei Gott.
Die traditionelle Ethik hat, wie schon angedeutet,
anthropologische und metaphysische Vorausset-
zungen: Die anthropologische wurde oben schon
angegeben. Die metaphysische ist die, daß der
Geist, mit Vernunft und Willen, eine natürliche Aus-
richtung auf das absolute Gute hat, religiös ge-
sprochen: auf Gott".
4) Das Selbstverständnis
des Geistes
Nach dem Dargelegten läßt sich nun auch näher
bestimmen, welches Selbstverständnis des Gei-
stes in der traditionellen Ethik beschlossen liegt.
a) Beisichsein, Selbstidentität
Als Erstes erweist sich, daß der Geist des Men-
schen sich unmittelbar seiner selbst bewußt ist,
d.h. bei sich selber ist. Wir hatten schon erwähnt,
daß er im Gewissen ein Mitwissen von Gutheit und
Schlechtheit seines eigenen Handelns hat. Dem
Gewissen als Bewußtsein im praktischen Bereich,
entspricht das Bewußtsein von Seiendem oder
Realem überhaupt im theoretischen Bereich, mit
dem uns das Reale, die Objekte, wie auch wir, die
Subjekte, gegeben ist, ohne vermittelnde Reflexion
des Ich-denke, die auf die Subjekt-Objekt-Bezie-
hung reflektiert, oder auf die Geschichtlichkeit und
Existentialität des eigenen Daseins oder auf die
Sprachgestalt seines eigenen Denkens.
Im unmittelbaren Beisischsein des Geistes hat der
Mensch seine bleibende Selbstidentität, Einheit
und Innerlichkeit, die durch kein soziales Mitsein
ersetzt werden kann, sondern vielmehr in diesem
vorausgesetzt werden muß. Der eine kann in die
Beziehung zum anderen nur etwas einbringen,
wenn jeder der beiden seine Innerlichkeit hat. Das
Beisichsein ist die Voraussetzung der Selbstfin-
dung und der Gemeinschaft mit den anderen,
wenn auch in der Entwicklung des Einzelnen die
Gemeinschaft notwendige Vorbedingung ist.
Wenn man das Menschsein von vornherein als
Mitsein und das Gewissen (mit falscher Etymologie
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
von con-scientia) als kollektives «Mitwissen mit
anderen» versteht, dann wird die Einheit des Men-
schen zum Problem. B. Häring bezeichnet das so
verstandene Gewissen als den «Schrei nach
Ganzheit»^^. Darin drückt sich doch wohl die seeli-
sche Not des exzentrisch in sozialen Aktionen auf-
gehenden Menschen aus, mit dem Verlust der
Einheit und Innerlichkeit des Menschen, die tradi-
tionell gerade das Gewissen gewährt.
Der Auflösung des personalen Seins in Mitsein und
soziale Beziehungen liegt, philosophisch gesehen,
ein Strukturalismus und Phänomenismus zu-
grunde, der das Reale auf Phänomene verkürzt
und die Substanz in Strukturen, Relationen perso-
naler Aktivitäten auflöst. Als wohl schwer vermeid-
bare Folge ergibt sich dann übrigens, dem Embryo
das Menschsein abzusprechen, damit auch den
Status eines schützenswerten Rechtsgutes; denn
es übt noch keine personalen Aktivitäten aus.
b) Ubergeschichtlichkeit des Geistes
Die genannte Selbstidentität des menschlichen
Geistes hält sich durch alle individuellen und so-
zialen Wandlungen hindurch, die sich einzelbio-
graphisch, wie auch gemeinschaftlich, kulturell, po-
litisch und geschichtlich vollziehen, und darf über-
geschichtlich genannt werden. Thomas v. Aqu. hat,
einer schon antiken Tradition folgend, festgestellt,
daß die Vernunft über der Zeit steht (intellectus est
supra tempus). Die geschichtliche Dimension des
menschlichen Daseins in dieser Welt ist zwar
wichtig, aber sie in den Blick zu nehmen, erfordert
einen übergeschichtlichen Standpunkt.
Anmerkung: Wenn auch der Mensch im Gang der
Evolution paläontologisch und biologisch-morpho-
logisch Glied einer Entwicklung ist, so konnte doch
der Geist nicht erst aus einer allmählichen Ent-
wicklung - etwa aus der Sinnlichkeit - hervorge-
gangen sein, sondern mußte sogleich ganz gege-
ben und sich seiner bewußt gewesen sein, in Le-
bewesen, die sogleich ganz Menschen (die ersten
Menschen) waren, und konnte davor überhaupt
noch nicht gegeben sein. Eine allmähliche Ent-
wicklung des Gegebenseins gibt es nicht: zuerst
ein wenig, dann immer mehr gegeben zu sein.
Dasselbe wäre auch vom Bewußtsein zu sagen.
Wohl gibt es eine allmählich sich entwickelnde
Selbsterfahrung des Menschen, aber sie setzt
schon den Geist als gegeben - und im Bewußtsein
■ sich selbst gegeben - voraus.
c) Selbstwertbewußtsein und IVIenscIienwürde
Indem der menschliche Geist sich selbst gegeben
und bei sich ist, weiß er sich wesentlich und sub-
stantiell verschieden von Leib und Sinnlichkeit oder
Trieb, wenn er auch mit ihnen zur Einheit des gan-
zen Menschen verbunden ist. Er weiß sich Leib
und Trieb überlegen, frei und fähig, sie führen zu
können, weiß aber auch von der Aufgabe, sie füh-
ren zu sollen. Gerade in Erfüllung dieser Aufgabe
wird er sich seines Wertes und seiner Würde be-
wußt, die nach christlicher Offenbarung sogar eine
Ebenbildlichkeit mit Gott, dem allherrscherlichen
Geist bedeutet. Die Herrschaft über die Natur, wie
auch die politischen Herrschaftsformen setzen
letztlich die Herrschaft des Geistes im Menschen
selbst voraus.
Schon Piaton bemerkt ironisch gegenüber dem
Sophisten Kallikles, der für die Herrschaft des un-
gehemmten Machttriebes eintritt, daß er über an-
dere herrschen wolle, ohne über sich selbst herr-
schen zu können. Ebenso bei Piaton ist zu lesen,
wie der Machtpolitiker Alkibiades gesteht, den Blick
des rechtschaffenen Sokrates zu fliehen, weil er
sein Gewissen anklage. Im ungerechten Menschen
ist der Geist mit sich selbst entzweit und so kann
er weder mit sich selbst, noch mit den anderen in
Frieden leben.
Man beachte, daß der Konflikt zwischen Trieb und
Geist seinen Ursprung in einem Konflikt des Gei-
stes mit sich selbst hat, wenn er nämlich der Füh-
rungsaufgabe nicht nachkommt, sondern sich vom
Trieb zu zügellosem und ungerechten Tun verlei-
ten läßt; denn an sich ist der Trieb gut und auf
Führung durch den Geist angelegt sowie spezifisch
offen (und in diesem Sinne unbestimmt, wie Piaton
sagt). Es ist ein Irrtum moderner Psychologie, die
Triebnatur des Menschen, wie die des Tieres, als
in sich geschlossen zu verstehen, den Geist zur
Triebnatur in Gegnerschaft zu sehen und über-
haupt den Menschen als Konfliktwesen aufzufas-
sen. Nach traditioneller Auffassung stehen Trieb
und Geist in harmonischer Zuordnung und verhal-
ten sich zueinander wie das bestimmbare zum be-
stimmenden Prinzip.
Wo sich tugendhaftes Leben und Handeln verwirk-
licht, und der Geist zur Entfaltung seiner eigenen
Tätigkeiten, mit Vernunft und Einsicht, kommt, ist
er sich der Gutheit, Schönheit und der Freude, die
sie begleitet, bewußt, die durch keine Lust aus
dem triebhaften Leben und Tun aufgewogen wer-
den kann. Daher kann von bloßem Triebverzicht
keine Rede sein. Das Wissen vom Wert der Tu-
genden im Gewissen ist ein intuitives. Die Tradition
spricht von der Vernunft als dem «Auge der
Seele», die das Gute gleichsam schauhaft erfaßt.
Freilich, ohne Erfahrung im tugendhaften Leben
und Handeln wird die Vernunft blind für die darin
liegenden Werte und das Gute. Es bedarf der Er-
ziehung und Umwandlung vom triebhaften zum
geistvollen Leben, um dessen ansichtig zu werden.
Ein aktuelles Thema angesichts des Ergebnisses
einer Umfrage aus jüngerer Zeit, die bei Jugendli-
chen einen Schwund des Selbstwertbewußtseins
festgestellt hat. Piaton hat die Umwendung des
geistigen Blickes von Scheingütern des triebhaften
Lebens zum wahren Guten im Höhlengleichnis er-
läutert. Er bemerkt dort, daß es nicht darum geht,
der Seele erst ein Auge einzupflanzen, um das
Gute für ein geistgeführtes Leben zu sehen, son-
dern nur darum, eine Umwendung (irrpiaYtuyi),
Revolution) der Blickrichtung des schon
vorhandenen geistigen Auges, der Vernunft, zu
erreichen.^"
d) Selbst- und Nächstenliebe
Das Bewußtsein der sittlichen Werte und des
Guten hat der Geist jedes Menschen ebenso bei
sich wie beim Nächsten. Gerade dadurch kann je-
der auch im anderen den Menschen und das tu-
gendhafte Gutsein lieben und schätzen; denn er
erkennt darin etwas mit dem eigenen Menschsein
Gemeinsames: Dies drückt auch das bekannte
Wort des Aristoteles aus, daß der gute Freund ein
zweites Selbst ist. Ferner liegt darin auch eine
nicht-egoistische Selbstliebe begründet; denn was
ich am anderen in seinem Menschsein und Gut-
10
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
sein liebe, das liebe ich auch in mir und darf da-
durch teilnehmen an der Liebe Gottes, mit welcher
Erden anderen und mich geschaffen hat. Daher ist
diese Selbstliebe auch im Liebesgebot vorausge-
setzt: Liebe den Nächsten wie dich selbst!
e) Religiöses Bewußtsein von Gott, Sinnerfül-
lung und Glückseligkeit
Im Bewußtsein, mit dem der Geist sich selbst ge-
geben ist, hat er implizit auch schon ein Wissen
von Gott als seinem Schöpfer.
Thomas sagt sehr schön \ daß die Seele immer
sich selbst und Gott gegenwärtig habe, schon im
schlichten Grundakt der Vernunft, den sie immer
tätigt, modern gesprochen: im Bewußtsein: anima
semper sibi praesens est et Deus.
Man darf dieses das religiöse Bewußtsein nennen,
im Unterschied zum profanen Realitätsbewußtsein,
da ihm primär eine religiöse, nicht eine Erkenntnis-
haltung zugrunde liegt. Für die Erkenntnis wird je-
nes Wissen erst in der Metaphysik expliziert, in
Beweisgängen, die zur transzendenten, ersten Ur-
sache führen. Diese läßt sich dann mit Gott gleich-
setzen. Dagegen weiß sich im religiösen Bewußt-
sein der Menschengeist unmittelbar vor Gottes
Angesicht. Und darin wird auch schon etwas von
unendlicher Erfüllung und Glückseligkeit vorweg-
genommen und geahnt.
IV) Abschließende erkenntnistheore-
tische und metaphysisch- anthro-
pologische Bestimmung des Gei-
stes
Aus dem soweit dargelegten traditionellen Selbst-
verständnis des Geistes lassen sich abschließend
folgende Wesensbestimmungen des Geistes ge-
winnen.
1) Der Geist bestimmt sich wohl zuvörderst als
dasjenige Seiende, das Bewußtsein hat, womit ihm
das Sein der Objekte, wie auch das des Subjekts,
das Menschsein selbst, einschließlich des geisti-
gen Seins, bewußt ist.
Alle Seinsaspekte der Dinge sind intelligibel, auch
schon ihr schlichtes Dasein; denn es bedeutet ihre
Gegenwart vor dem Menschengeist und eine Aus-
wirkung des göttlichen Schöpfergeistes. Daher die
Freude, mit welcher der Menschengeist das Da-
sein aller Dinge und auch seiner selbst genießt.
Es ist ein Irrtum, das Dasein der Dinge auf die
Seite des Sinnlichen zu bringen, oder, wie im Exi-
stentialismus, zu einem bloßen Zuhandensein zu
degradieren, und das menschliche Dasein zu einer
Sache existentialer Gefühle, Gestimmtheiten, der
Angstund Lebenssorge zu machen.
Anmerkung: Man darf den Tieren zwar sinnliche
Kenntnisse, aber kein Bewußtsein zuschreiben,
weil dieses immer ein Akt der Vernunft ist, des gei-
stigen Blickes, vor dem die Dinge als «Gegenstän-
de» stehen. Das Tier ist mit Instinktmechanismen
in Umwelt eingebunden, ohne ihnen frei gegen-
überzustehen. Nur der Mensch hat diese Freiheit
und Distanz zu den Dingen, was sich dann auch in
der Namengebung und Sprache ausdrückt.
Bewußtsein ist kein Erkenntnisakt, sondern jene
Weise der Intensität, mit der die menschlichen Er-
kenntnisse bei sich selber sind und von sich wis-
sen.
Die primäre Form des Bewußtseins ist nicht die
des Ich-Bewußtseins, sondern die des Bewußt-
seins von Sein überhaupt, sowohl der Objekte, als
auch des Subjekts/des Ichs, je nachdem, ob es
Objekt- oder Subjekt-ZSelbsterkenntnisse begleitet.
Das Ich-denke ist kein Bewußtsein, sondern eine
Form der SelbsterkenntnisZ-reflexion. Dies sei ge-
gen Descartes' und Kants Bewußtseinsbegriff fest-
gestellt. Was aber Descartes' universalen Zweifel
betrifft, so erweist sich durch ihn zwar evident, daß
ich bin (wie auch schon Augustinus- argumentiert
hat), aber fälschlich wird das so evident erwiesene
Sein des Ich-Subjekts mit dem Bewußtsein, und
dies mit dem Ich-denke, gleichgesetzt. In Wahrheit
jedoch ist das Sein des Ich-Subjekts mehr als nur
Bewußtsein (Thomas: esse hominis est plus quam
intelligere), es ist substantielles Sein, und das ihm
entsprechende Bewußtsein ist das von Sein. Das
Subjekt ist sich ursprünglicher als seiend bewußt,
als es sich als denkendes Ich bewußt wird.
2)ln der Tradition wird der Geist auch als «das Ver-
mögen der Prinzipien» (voii^ eotiv tS>v dp%S>v,
intellectus est principiorum) bestimmt^^ nämlich in
Vernunfterkenntnis und Willensstreben (der Liebe),
im Gegensatz zu Sinneserkenntnis und Trieb, die
auf das Sinnliche gerichtet sind. Vernunft und Wille
dagegen sind auf das Intelligible gerichtet, das in
und über den Sinnesdingen liegt, auf die dem Intel-
lekt eigenen Gegenstände, die sich als Prinzipien
und Ursachen zu allem sinnlich Erfahrbaren ver-
halten.
Alle Vernunfterkenntnis ist allgemein (universal)
und abstrakt, weil vom Materiellen, Sinnlichen ab-
sehend, aber deshalb nicht leer, weil auf Prinzipien
in und über den Sinnesdingen bezogen (vor allem
auf die Form- und Zweckursachen, wie in den Le-
bewesen die seelischen Prinzipien). Aristoteles
und Thomas v. Aqu. haben gerade aus der
Abstraktheit der Vernunfterkenntnis auf die imma-
terielle Natur der Vernunft geschlossen.
Die Verachtung, die heute häufig gegen die ab-
strakte, allgemeine Erkenntnis der traditionellen
Philosophie geäußert wird, beruht auf einem Empi-
rismus und Phänomenismus, der die Wirklichkeit
auf die Phänomene verkürzt, die Dinge ihrer ur-
sächlichen Tiefendimension, ihrer intelligiblen Prin-
zipien beraubt und damit der Vernunft gerade die
ihr eigentümlichen Gegenstände abspricht, worin
sich wieder eine Selbstverfremdung der Vernunft
anzeigt; denn solches Absprechen geschieht ja im
Namen der Vernunft.
3) Schließlich läßt sich der Geist als oberstes Le-
bensprinzip im Menschen definieren, der sich sei-
ner Vorrangstellung und seines substantiellen Ei-
genseins über Trieb und Leib bewußt ist.
W. Wundt, der Begründer der empirischen Psy-
chologie, hat freilich die traditionelle Lehre von der
menschlichen Seele als Substanz abgelehnt und
aus der Psychologie eliminiert, weil sie der Subjek-
tivität des Seelischen abträglich sei und zu seiner
falschen Objektivierung und Verdinglichung führe.
Doch wohl zu Unrecht; denn Sein, Substanz, Ur-
sache und alle ontologischen Bestimmungen des
Seienden sind transzendentale Begriffe, die glei-
cherweise Objekte und Subjekte umfassen. Um-
gekehrt weist die Rede vom substantiellen Sein
der menschlichen Seele und ihrer Teilprinzipien,
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
11
der Sinnlichkeit und des Geistes, darauf hin, daß
die psychische Realität sich nicht in empirisch be-
obachtbaren Phänomenen erschöpft, sondern
auch, ja noch mehr, den Geist als das oberste
seelische Prinzip einschließt. Die Personmitte liegt
nicht in der Anima unterhalb des Geistes, sondern
in ihm selbst.
Auf dieses metaphysisch anthropologische Fun-
dament stützt sich auch die traditionelle Ethik, wie
oben dargelegt, mit ihrer Lehre vom sittlichen
Guten und der aus ihm herfließenden normativen
Kraft.
Literatur:
von E. Coreth, P. Ehien, G. Haeffner, Fr. Ricken, in der
Reihe Urban-TB (Kohlhammer), Stuttgart 1986.
Zu diesem Thema vgl. meinen Aufsatz: Zur formalen
Begründung der Sittlichkeit aus dem Guten, dem Objel<t
des Willens. Auflösung eines Dilemmas zwischen empi-
ristischer und transzendentalistischer Ethik, in: Prinzip
und Applikation in der praktischen Philosophie (Akten d.
Engeren Kreises d. Allg. Ges. f. Philos. i. Dtschld.,
Mainz 1990, hrsg. v. Th. Seebohm [= Akad. Wiss. u.
Liter. 8, Mainz, 1990]), Stuttgart 1991, 169-187.
M. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos,
Bonn 11 1988, 37 ff,
a.a.O., 57 ff.
A. Gehlen, Der Mensch, Frankfurt/M. '"1974, 31 ff.
M. Heidegger, Über den Humanismus, Brief an J.
Beaufret von 1947, als gesonderte Schrift veröffentlicht
bei Klostermann, Frankft./M. 1949.
Le personalisme, Paris 1 964.
Übrigens wäre es bei der personalistischen Verkürzung
des menschlichen Seins und Wesens auf die geistigen
Akte oder Handlungen nicht mehr möglich, die Erhal-
tung des Seins/Lebens des menschlichen Embryos
ethisch zu rechtfertigen und den Embryo juridisch als
Rechtsgut zu schützen, da er ja noch keine geistigen
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
Akte vollzielit.
Ohne sie würde sich das Ich im bloßen Denken des
Denkens verflüchtigen. Der Leib «wirft» die Person
«nach außen», er ist «die Grundlage jeder Bewußt-
seinsform und jedes spirituellen Lebens» (36-37),
Kritik d. prakt. Vern., Erster Teil, I. Buch, 1. Hptst. §7.
a.a.O., 2. Hptst.
MS. Boethius, Contra hutychen et Nestorium, cap. 2.
Thomas, Summa theol. I-Il, qu. 90, definiert das Sitten-
gesetz als regula et mensura actuum, als dictamen ra-
tionis und als ordo adbonum commune.
Auf dieses Thema geht näher meine Untersuchung ein:
Sittengesetz und Freiheit, in: Schriftenreihe d. Gustav-
Siewerth-Akademie, Bd.7, Weilheim 1993.
Summa theol .\, qu. 79, art. 12-13.
Siehe z.B. den Sammelband Das Gewissen in der Dis-
kussion, hrsg. von J. Blühdorn, in: Wege der For-
schung, Bd. 37, Darmstadt 1976, auf deren Beiträge
mein Artikel eingeht: Problem! attuali intorno alla giusti-
ficazione della coscienza morale, in: Crisi e risveglio
della coscienza morale nel nostro tempo, ed. A. Lobato,
Bologna 1989, 81-110.
Aristoteles, Ethica Nicomachea, Buch I, Kap. 6. Vgl.
meinen Artikel: Das sittliche Gute (Glückseligkeit) nach
Aristoteles. Formale Bestimmung und metaphysische
Voraussetzung, in: Philos. Jahrb. (1975) 82, 31-53.
Thomas v. Aquin, Summa theol. I-Il, qu. 1 ff., bestimmt
den letzten Zweck des menschlichen Lebens, das sittli-
che Gute, unter dem zweifachen Aspekt, dem ehtischen
und dem metaphysischen, als Glückseligkeit (beatitudo)
und Gott (Deus).
B. Häring, Frei in Christus, Bd. I, 6. Kap., Freiburg i.Br,
1979/1989.
Piaton, Respublica, Buch VII Anfang. Vgl. zu diesem
Thema meinen Artikel: Zur Natürlichkeit des menschli-
chen Geistes bei Piaton, in: Communicatio Fidel
(Festschr. Biser), Regensburg 1983,305-311.
in Sentent., I dist.3, qu.4, art. 5.
Der Ouellentext ist Aristoteles, Analytica poster. II 19.
Vgl. meinen Kommentar in: Aristoteles' Zweite Analyti-
ken, mit Einleitung Übersetzung und Kommentar, Am-
sterdam-Würzburg, 1984, M987 (Elementa-Texte
Bd.1).
Buchhinweis:
Kongreßband zum Kongreß: Mut zur Ethik
Eine Besinnung auf gesellschaftliche Grundnor-
men und moralische Grundhaltungen im Indivi-
duum
Kongress vom 24. bis 26. September 1993 in Bre-
genz
15 Jahre nach der Tagung «Mut zur Erziehung»
fand in Bregenz der Kongress «Mut zur Ethik»
statt. Insgesamt zwölf Organisationen aus fünf
verschiedenen Ländern hatten dazu aufgerufen,
Perspektiven einer allgemeinen Ethik zu entwik-
keln, die Grundlage für ein friedliches Zusammen-
leben in einer demokratischen Gesellschaftsord-
nung sein könnten. Drei Tage lang suchten 64
hochangesehene Wissenschaftler und Experten
verschiedener Disziplinen sowie Vertreter der
christlichen Kirchen im gemeinsamen Gespräch
nach Auswegen aus der derzeitigen Wertekrise
unserer Kultur. Unter dem Ehrenvorsitz von Frau
Professor Alma von Stockhausen, Professor Gün-
ter Rohrmoser, Gerhard Löwenthal, Professor
Anatolij Frenkin und Frau Professor Nora Volkow
wurde das Kongressthema «Besinnung auf gesell-
schaftliche Grundnormen und moralische Grund-
haltungen im Individuum» in Referaten und Ex-
pertengesprächen ausgelotet.
Unter dem Titel «Ja zur Ethik - Nein zum Nihilis-
mus» verabschiedeten weit über 1000 Teilnehmer
des Kongresses zehn Thesen, in denen zu so-
zialethischen Grundfragen des menschlichen Zu-
sammenlebens Stellung genommen wird auf der
Basis der «universal gültigen (<self evident>)
Grundwerte des christlichen Abendlandes, wie sie
in den Verfassungen der europäischen Staaten
verankert sind».
Es war wohl der herausragendste Eindruck, den
dieser Kongress hinterliess, daß sich zahlreiche
Persönlichkeiten unterschiedlichster Provenienz an
einen Tisch gesetzt haben, um in vielschichtiger
Kooperation grundlegende Wertfragen zu durch-
denken und einen für den Bestand des sozialen
Lebens tragfähigen ethischen Konsens zu errei-
chen. Die Tatsache, dass in unserer Gesellschaft
vieles im argen liegt, hat es notwendig gemacht,
Toleranz zu beweisen und Brücken zu bauen. Die
Beteiligten unterstützten die Auffassung, in den
gemeinsamen Anliegen zu kooperieren, in den
Unterschieden aber sich gegenseitig leben zu las-
sen.
Der Kongressband enthält die Vorträge und Dis-
kussionsbeiträge der 64 Wissenschaftler und Ex-
perten.
Preis siehe Medienliste
u
12
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Prof. Dr. Günter Rohrmoser
Universität Stuttgart - Hohenheim
Christliche Aufklärung
Eine Strategie geistiger Erneuerung^
Vortrag auf der Bundesversammlung der CDL am
6. November 93. Nachdrucl< mit freundlicher Ge-
nehmigung des Verfassers und der Gesellschaft
für Kulturwissenschaft e.V., Bietigheim, Baden
Es tut von Herzen gut, wenn auch nicht von der
CDU, so doch von einem Verband der CDU so
herzlich willkommen geheißen zu werden, wie Sie,
Herr Vorsitzender, dies eben getan haben. Ich bin
heute auf Bitten der Gräfin von Westphalen und
von Frau Schätzte gekommen. Der Einsatz dieser
beiden Frauen, mit dem sie gegen die inneren und
äußeren Feinde Ihres gemeinsamen Anliegens ge-
kämpft haben, verdient große Anerkennung. Sie
haben recht, Herr Vorsitzender, daß die Vereini-
gung "Christdemokraten für das Leben", daß aber
auch die CDU, die Bundesrepublik Deutschland,
der Rechtsstaat, die Demokratie sich nicht nur in
einer Krise befinden, sondern jetzt innerhalb dieser
Krise den bekannten Punkt der Entscheidung er-
reicht haben. Wie Sie wissen, gibt es in jedem
Krankheitsverlauf einen Punkt, an dem sich ent-
scheidet, ob der Weg zur Gesundung oder zum
Exitus führt. Wir haben heute in der zweiten deut-
schen Demokratie diesen Punkt erreicht. Wenn wir
diese Lage verstehen und verdeutlichen wollen, ist
der Ausgang des Kampfes um die Verhinderung
einer Fristenlösung im Abtreibungsrecht von
größter repräsentativer und symbolischer Bedeu-
tung.
Das traurige Fazit lautet, daß Sie mit diesem
Kampf in der CDU selber gescheitert sind. Frau
Würfel hat im Zusammenhang mit dem Entwurf,
den die Fraktionen von FDP und CDU gemeinsam
im Bundestag vorlegen wollten, erklärt, nun hätten
wir in der deutschen Geschichte den bedeutungs-
vollen Zeitpunkt erreicht, an dem zum erstenmal
die Frau eigenständig, eigenverantwortlich über
Leben und Tod ihres ungeborenen Kindes - sie hat
natürlich eine etwas andere Formulierung gewählt
- entscheiden dürfe. Sie verkündete das mit den
Zügen unverhohlenen Triumphes als einen großen
Sieg Es ist eine Manifestation des Liberalismus
nicht nur in dieser Partei, sondern in Deutschland
überhaupt, daß das Zur-Disposition-Stellen von
Hunderttausenden von Menschenleben als ein
Sieg gefeiert wird. Wer hätte das, wenn wir uns die
Ausgangslage von 1945 in Erinnerung rufen, für
möglich gehalten?
Nicht nur die "Christdemokraten für das Leben",
sondern die CDU selbst müßte den Ausgang die-
ses Kampfes, wenn sie die Prinzipien, nach denen
sie 1945 angetreten ist, noch ernst nähme, als eine
schwere Niederlage betrachten. Selbst wenn un-
veränderbare, objektive Gegebenheiten vorgele-
gen haben sollten, die ein solches Ergebnis als
unvermeidlich erscheinen ließen, müßte das eine
Stunde der Trauer der ganzen Partei sein. Bedau-
erlicher als das Ereignis selbst ist für die CDU, daß
sie sich mehr oder weniger befördernd dazu ver-
i:v
halten hat.
Wie kann man sich eine Zukunft für diese Arbeits-
gemeinschaft "CDL" innerhalb der CDU vorstellen?
In der gegenwärtigen Situation darf die Entschei-
dung keinesfalls nur aufgrund von noch so berech-
tigten ethischen und theologischen Erwägungen,
sondern muß aufgrund der konkret vorliegenden
politischen Situation gefällt werden. Erstens ist ge-
genwärtig der Einfluß der Konservativen in der
CDU im Wachsen begriffen und erscheint zumin-
dest als so groß wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Dieser Bundeskanzler versteht etwas von Wahl-
kämpfen, und viele haben seine enormen Fähig-
keiten als Wahlkämpfer unterschätzt. Er weiß na-
türlich, daß die nächsten Wahlen weder von ihm
noch von der CDU gewonnen werden können,
wenn nicht ein erheblicher Teil der Konservativen,
die inzwischen aus der Partei hinausstreben oder
sie nicht mehr wählen, wenigstens zu dieser Wahl
zurückgeholt werden. Die Position der Konservati-
ven in der CDU ist unter dieser Kanzlerschaft noch
nie so stark gewesen wie gegenwärtig. Natürlich
wissen wir alle, daß dies nur ein Phänomen der
Vorwahl ist und die Dinge sich nach den Wahlen
völlig anders und neu darstellen werden. Die Kon-
servativen haben es zu ihrem Leidwesen oft genug
erfahren, daß sie in der bedrohlichen Wahlkampf-
situation gewünschte und geduldete Freunde wa-
ren und nach der gewonnenen Wahl mit dem Hin-
weis auf die Unveränderbarkeit des Koalitionspart-
ners wieder bis zur nächsten Wahl verabschiedet
wurden. Wenn ich es recht einschätze, würde sich
dieses Manöver auch in diesem Fall wiederholen.
Es gibt aber einen zweiten und neuen Umstand,
der Beachtung verdient. Dieser Umstand ist der,
daß die CDU, wie alle Umfrageergebnisse unab-
hängig voneinander bezeugen, zum erstenmal ge-
gen die Dreißig-Prozent-Marke tendiert. Noch sind
es um die vierunddreißig oder fünfunddreißig, aber
jeder weiß, wie schnell die dreißig Prozent erreicht
oder unterschritten werden können. Man kann sich
auch nicht ewig darauf verlassen, daß sich die
SPD als der beste Wahlhelfer der CDU nützlich
machen wird. Auch dort könnten mit der Zeit se-
riöse politische Einsichten reifen. Der entschei-
dende Zeitpunkt für die Zukunft der CDU und damit
auch für den Weg der Demokratie in Deutschland
wird eintreten, wenn die Dreißig-Prozent-Marke
unübersehbar erreicht ist. Das war seit zwanzig
Jahren meine feste Überzeugung, denn ehe dieser
dramatische Punkt nicht erreicht ist, wird keine
eingreifende Veränderung der Partei möglich sein.
Man würde die ehernen Mechanismen einer mo-
dernen Volkspartei idealistisch unterschätzen,
wenn man glaubte, eine für marginal gehaltene
Gruppe hätte in der Partei die Chance, den Kurs
mitzubestimmen, ehe wirklich die Existenzfrage
gestellt ist. Die Existenzfrage stellt sich erst, wenn,
wie der steinerne Gast in der Mozartoper, die
Dreißig-Prozent-Grenze an der Wand erscheint.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
13
Für diesen Fall müssen Sie sich vorbereiten,
meine Damen und Herren. Erst dann werden die
prinzipiellen Fragen neu gestellt werden. In der
Partei muß es dann eine Gruppe geben, die nach-
gedacht und sich auf den Tag vorbereitet hat, die
eine neue Konzeption, eine neue Philosophie aus-
gearbeitet hat. Wenn es diese Gruppe nicht geben
wird, dann wird jenes Konzept wieder aus der Ta-
sche gezogen werden, von dem ich überzeugt bin,
daß es diese Partei auf dreißig Prozent herunter-
gebracht hat.
Ich empfinde es immer als eines der allermerkwür-
digsten Argumente, wenn bisher ständig auf die
Unentbehrlichkeit einer anderen, hier nicht näher
zu bezeichnenden Gruppe innerhalb der CDU hin-
gewiesen wird. Seitdem jene Gruppe einen dispro-
portionalen Einfluß auf den Kurs der Partei gewon-
nen hat, ist der Stimmenanteil um 16 bis 18 Pro-
zent zurückgegangen. Man muß nun die Frage
stellen, worin der grandiose Beitrag dieser Gruppe
für die Zustimmungsfähigkeit der CDU bestehen
soll. Sie haben fast eineinhalb Jahrzehnte den
Kurs dieser Partei fast unumschränkt bestimmen
können, und das Ergebnis ist nicht ermutigend.
Der zweite zu beachtende Aspekt führt also zu
dem Ergebnis, daß man sich auf den kommenden
Tag X vorbereiten muß. Vorbereiten bedeutet zu-
erst Nachdenken. Wir kommen nicht an der Frage
vorbei, welches die tieferen Ursachen sind, die zur
Niederlage Ihrer Vereinigung im Kampf für das Le-
ben innerhalb Ihrer Partei und damit in Deutsch-
land geführt haben. Nur vordergründig ist es die
Uneinigkeit in der Partei oder das Faktum, daß Sie
in der Bundestagsfraktion keine Mehrheit fanden.
Der tiefere Grund ist, daß die Partei meinte, insge-
samt der veränderten geistigen und moralischen
Konstellation in Deutschland Rechnung tragen zu
müssen. Tatsächlich ist eine tiefgreifende geistige
und moralische Veränderung in der Gesellschaft
als ganzer vor sich gegangen. Das konnte natür-
lich die Argumentations- und Sprachmöglichkeiten
innerhalb der CDU nicht unverändert und unbeein-
flußt lassen, denn eine Partei hat immer, und leider
fast ausschließlich, zwei Fragen im Sinn: "Wie
komme ich an die Macht?" und, wenn die Macht
errungen ist: "Wie halte ich mich an der Macht?"
Machtgewinn und Machterhalt setzen in der De-
mokratie die Mehrheitsbeschaffung voraus. Die
Partei paßt sich deshalb dem an, wovon sie meint,
daß die Mehrheit es will.
Wer entscheidet aber darüber, was die Mehrheit
will? Keinesfalls entscheidet darüber die Mehrheit
selbst, denn sie ist in diesen Grundsatzfragen we-
der befragt worden noch überhaupt befragbar. Es
entscheiden die Medien. Sie entscheiden damit
über die geistig-moralische Entwicklung der Bun-
desrepublik Deutschland. Sie sind die eigentlichen
Träger der Macht, weil sie über die Möglichkeiten
und Bedingungen der Machtbildung entscheiden.
In den Medien erscheint der Verband für das Le-
ben innerhalb der CDU als ein Kreis von etwas zu-
rückgebliebenen und altväterlichen Leuten, die den
Anschluß an die moderne Zeit noch nicht geschafft
haben, die im Grunde antimodern sind und mit ih-
ren überholten Vorstellungen dem großen Fort-
schrittsdrang zur endgültigen Befreiung der Ge-
sellschaft im Wege stehen. Man kann sie zwar aus
dieser Sicht nicht ganz unterdrücken, da ja in un-
serer pluralistischen Gesellschaft auch ganz kleine
Gruppen das Recht zur Äußerung haben müssen.
aber man darf ihrer Meinung höchstens die Be-
deutung eines Taubenzüchtervereins zubilligen,
keinesfalls mehr.
Viel wichtiger als das Ergebnis erscheint mir die
Art der Diskussion, die man einige Monate lang um
die Frage des Rechtes auf Tötung menschlichen
Lebens geführt hat. Es wurde völlig eindeutig so
dargestellt, als ob es eine klare Mehrheitsmeinung
gäbe, die in einer inneren, unumkehrbaren Logik
der modernen Gesellschaft selber begründet sei.
Demgegenüber gebe es Meinungen, die sich aus
Uneinsichtigkeit, aus Borniertheit oder manchmal
aus schlechtem, unaufgeklärtem Willen diesem
angeblichen Trend entgegenstellten. Natürlich
durften auch Sie Ihre Meinung sagen. Das ist so-
gar willkommen, um den pluralistischen Charakter
unserer Gesellschaft zu demonstrieren. Sie hatten
die Funktion eines Alibis, denn unter den konkre-
ten Machtverhältnissen im öffentlichen Kampf um
die Bewußtseins- und Meinungsbildung war der
Kampf verloren, ehe er begonnen hatte. Für die
Zukunft wird entscheidend sein, welche Konse-
quenzen Sie daraus ziehen.
Die erste mögliche Konsequenz wäre, daß Sie sich
das Urteil, das sich die Meinungsmacher über die
große Logik des geschichtlichen Prozesses gebil-
det haben, zu eigen machen. Sie müßten dann
schiedlich und friedlich auseinandergehen, sich
damit trösten, daß Sie doch eine gute Absicht ge-
habt hätten und den anderen Ihre so störende
Stimme im allgemeinen Meinungskonzert künftig
ersparen.
Die zweite Möglichkeit ist, daß Sie sich mit akzi-
dentellen Fragen beschäftigen, beispielsweise ob
Sie aus der CDU hinausgehen oder halb hinaus-
gehen oder in ihr bleiben sollen. Diese Frage ist
deshalb völlig akzidentell, weil sie erst an dem ge-
nannten Tage X politisch sinnvoll beantwortet wer-
den kann. Sich jetzt in dieses Problem untergeord-
neter Bedeutung zu verstricken, ist also falsch.
Die dritte Möglichkeit ist die, daß Sie zusammen-
bleiben, nüchtern die Lage analysieren und versu-
chen, daraus Konsequenzen zu ziehen. Mein Vor-
schlag, den ich auch der verehrten Gräfin von
Westphalen schon gemacht habe, lautet, nicht zu
resignieren, nicht zu kapitulieren, sich nicht selbst
zu zerfleischen, sich nicht zu trennen oder aufzulö- )
sen, sondern unter veränderten Bedingungen und
in veränderter Schlachtordnung in eine neue
Phase des Kampfes um dasselbe Ziel einzutreten.
Wenn man den Kampf erfolgreich führen will, muß
man den Dingen auf den Grund gehen. Wir müs-
sen das vorliegende Ergebnis der Entwicklung auf
seine Ursache zurückführen, und da handelt es
sich nicht um vordergründige Meinungsunter-
schiede und Entwicklungen von Parteien, sondern
um die Veränderung unserer Demokratie und Ge-
sellschaft im Ganzen. Die Konsequenz kann nur
eine Strategie sein, die die Bewußtseinsentwick-
lungen voraussetzt und selbst zu einer Bewußt-
seinsveränderung führt. Dabei sind die faktischen
Machtpositionen und die Beherrschung der Appa-
rate von völlig untergeordneter und im gegenwärti-
gen Stadium von gar keiner Bedeutung. Es kommt
alles auf die Konzeption an.
Welche Bedeutung hat die Entwicklung, die seit
über anderthalb Jahrzehnten für unsere Gesell-
schaft bestimmend ist? Was ist das Grundphäno-
men, auf das alle die besonderen vielfältigen Er-
scheinungen zurückgeführt werden können? Es
ij
i
14
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
#
handelt sich um einen Prozeß der Entchristlichung
nicht nur der Gesellschaft, sondern des deutschen
Volkes, wie ertrotz aller Anstrengungen selbst von
den Nationalsozialisten noch nicht erreicht werden
konnte. In dieser Situation müssen wir die Gesell-
schaft darüber aufklären, welche Konsequenzen
aus diesem Grunde bereits eingetreten sind und
welche weiteren Konsequenzen zu entstehen im
Begriff sind. In diesem als vermeintlich fort-
schrittsförderlich begrüßten Prozeß der Entchristli-
chung Deutschlands brauchen wir eine christliche
Aufklärung. Christliche Aufklärung hat es gegeben,
seit es das Christentum gibt. Christliche Aufklärung
heute bedeutet, über die dramatischen, teilweise
schon eingetretenen, sich verstärkenden und wei-
ter absehbaren Konsequenzen einer unveränder-
ten Fortführung der Entchristlichung Deutschlands
aufzuklären. Wenn heute eine Gruppe in Deutsch-
land bereit ist, sich dieser zugegebenermaßen au-
ßerordentlich schwierigen und mit intellektueller
Anstrengung verbundenen Aufgabe zu stellen,
nimmt sie nicht ein partikulares Interesse von Alt-
christen wahr, sondern setzt sich für das Interesse
der Gesellschaft im Ganzen ein. Es geht dabei
nicht um die Rettung einiger fossilartiger Restbe-
stände des Christentums, sondern um die Bewah-
rung der Demokratie und des Rechtsstaates.
Wenn man diesen Prozeß der Entchristlichung der
Menschen anspricht, hat man es, wie bei allen
Phänomenen der Postmoderne, mit einem Phä-
nomen von tiefster Zweideutigkeit zu tun. Einer-
seits ist dieses Phänomen die Folge der nunmehr
in ihre Endphase eingetretenen neuzeitlichen Auf-
klärung, die seit dem achtzehnten Jahrhundert im
Gange ist und deren Folgen den etwas tiefer Den-
kenden bereits Mitte des neunzehnten Jahrhun-
derts vollständig vor Augen standen, die jetzt aber
erst einen massenhaften Erscheinungscharakter
angenommen haben. Eine der zentralen Prämis-
sen der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts
war die Absicht, im Kampf gegen das Christentum
die Funktion aufzulösen, die es bis dahin für die
europäische Kultur wahrgenommen hatte. Es
dürfte gegenwärtig kein Land auf der Welt geben,
in dem diese Ausgangskonstellation eines
Kampfes der Aufklärung gegen das Christentum so
wiederhergestellt ist wie in Deutschland. Nirgends
ist auch das Ziel, die vermutete Macht des Chri-
stentums über das Bewußtsein der Massen zu
brechen, in so kurzer Zeit so weitgehend vorange-
trieben worden.
Das Neue ist, daß dieser Kampf heute nicht von
identifizierbaren Feinden von außen geführt wird,
denn wenn wir den offiziellen Sprachregelungen
vertrauen, gibt es in unserer Gesellschaft keinen
Feind des Christentums. Ganz im Gegenteil, alle
sind affirmativ dafür, wenn sie es vielleicht auch in
einer etwas reduzierten Form sehen wollen. Offen
auftretende Gegner, die erklären, daß sie als das
letzte Hindernis voller Emanzipation des Menschen
die Beseitigung des Christentums wollen, gibt es
nicht. Zugespitzt formuliert macht das heute den
Kampf so schwer, daß wir in der Öffentlichkeit
keine anständigen und redlichen Atheisten sich ar-
tikulieren sehen. Der Kampf des Christentums um
seine Substanz war eindeutig und möglich, so-
lange es Leute gab, die sich auch öffentlich zum
Atheismus bekannten. Das Neue ist, daß es zu ei-
ner Symbiose zwischen der ihrem Ende entgegen-
drängenden Liberalisierung in der Gesellschaft und
starken Teilen der Kirchen kam, die sich als Mit-
kämpfer dieser Liberalisierung erwiesen. Die radi-
kalsten Angriffe auf das Christentum werden nicht
von Atheisten von außen geführt, sondern gehen
aus den christlichen Kirchen und Gemeinschaften
selber hervor. Häufig marschieren an der Spitze
hoch renommierte, mit großer öffentlicher und
amtlicher Autorität versehene Theologen, die die-
sen Kampf natürlich nicht gegen die Kirche als sol-
che, sondern nur für ihre beabsichtigten Reformen
führen, beispielsweise für strukturelle Demokrati-
sierung, für Abbau von Erbe aus unseliger Ver-
gangenheit, für die Befreiung von Autorität, für
denjenigen Liberalismus, wie wir ihn heute prakti-
zieren. Das ist allerdings keinesfalls jener großar-
tige klassische Liberalismus, zu dem auch ich mich
vehement bekenne. Es ist vielmehr die heute prak-
tizierte Form, wonach jeder einzelne das absolute
Recht haben sollte, sich in allen ihn direkt und indi-
rekt betreffenden Fragen autonom selbst zu be-
stimmen. Dieses absolut gesetzte individuelle
Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich also nicht
nur auf alle Fragen der Moral und der Ethik, alle
Grundfragen menschlichen Zusammenlebens,
sondern auch auf alle Fragen des christlichen
Glaubens, auf alles, was man einmal unter christli-
cher Wahrheit verstanden hat. Hier treffen sich,
wie wir überall feststellen können, beide Bewegun-
gen.
Die Kernfrage ist, was geschieht, wenn dieser Pro-
zeß fortgesetzt werden sollte, und es gibt keinen
Zweifel daran, daß er fortgesetzt wird. Ihre Nie-
derlage ist nur ein Symptom dafür, wie stark die
Kräfte sind, die ihn vorantreiben. Wenn diese
Kräfte sich vollends durchgesetzt haben, wird die
totale Privatisierung des Christentums erreicht
sein. Diese vollständige Privatisierung, die man
auch Liberalisierung oder Individualisierung nen-
nen kann, bedeutet nicht nur das individuelle Ent-
scheidungsrecht über christliche Wahrheiten, son-
dern es wäre auch das Ende der freiheitlichen,
rechtsstaatlich gebundenen Gesellschaft.
Diese Perspektive stammt nicht aus einem parti-
kulären Interesse, sondern betrifft die Existenz-
frage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
Deutschlands im Ganzen. Ich kann es eigentlich
nicht glauben, Frau Gräfin von Westphalen, daß es
nicht möglich ist, das den verantwortlichen Man-
datsträgern der CDU einleuchtend zu machen. Sie
liquidieren sich selbst, wenn sie diesen Kurs wei-
terfahren, anstatt mit den wenigen, die noch dafür
übrig sind, dagegen anzugehen.
Diese Entwicklung betrifft ja nicht nur die Partei,
sondern die Gesellschaft selbst. In dem Maße, wie
die hypertrophe Absolutsetzung des individuellen
willkürlichen Rechts des Individuums über sich,
seine Umgebung und über die Wahrheit fort-
schreitet, zerfällt die Gesellschaft. Das ist keine
weit hergeholte These, sondern entspricht der
überall zu hörenden Klage gerade der Vorkämpfer
der Emanzipation über die Zustände in unserem
Lande. Die mit Erschrecken festgestellte Auflösung
der Erziehungssysteme ist ein Aspekt davon. Sie
ist mit einem Abbruch der Kontinuität in der Ge-
schichte des Christentums verbunden. Nach dem
Ausfall der Erziehungssysteme einschließlich der
christlich-bürgerlichen Familie ist es unmöglich,
selbst das elementarste Wissen um das Christen-
tum von einer zur nächsten Generation zu übertra-
gen.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
15
Mit der Zerstörung der christlichen Familie, mit
dem Verlust der Bereitschaft und Fähigkeit von
Eltern, ihre Kinder noch im Geist christlicher Sitten
und Ordnungen zu erziehen, ist das Christentum in
Europa in seine tiefste Krise geraten. Es gibt keine
gesellschaftliche Institution, die an die Stelle treten
und einen Ersatz bilden könnte, wenn die elterliche
Traditionsübermittlung ausgefallen ist. Das ist
keine Anklage gegen die Familie, denn es sind
mächtige gesellschaftliche Tendenzen, die zur
Untergrabung der Erziehungskraft der Familie,
selbst da, wo noch Erziehungswilligkeit unterstellt
werden kann, beigetragen haben.
Man stellt heute fest, daß das gesamte Schul- und
Bildungssystem von einem Geist der sittlichen
Verödung ergriffen ist. Niemand sollte sich jetzt
darüber wundern, daß an einigen brisanten Stellen
die irrationale Bereitschaft zur Gewalt in einer
Form ausbricht, die wenig mit einer Wiederkehr
des Nationalsozialismus, aber sehr viel mit dem
Umkippen unserer Gesellschaft in eine neue Form
der Barbarei zu tun hat. Es ist auch kein Zufall,
daß die Kriminalität astronomische Höhen erreicht
hat. Wir haben jetzt jährlich sechs Millionen Delikte
mit steigender Tendenz. Es werden bereits mehr
Sicherheitskräfte privat angestellt und finanziert,
als der Staat noch zu unterhalten in der Lage ist.
Die Polizei in Frankfurt hat in diesen Tagen der
Öffentlichkeit signalisiert, daß sie vor der Auswei-
tung des Verbrechens kapituliert habe. Was be-
deutet das? Michail Gorbatschow sagte in seiner
Zeit als Reformer, die Entwicklung des Sozialismus
in der Sowjetunion sei an der moralischen Krise
des Landes gescheitert und die wichtigsten Aus-
wirkungen dieser Krise seien Alkoholismus und
Kriminalität.
Was sind die Hintergründe des unheimlichen Pro-
zesses, der sich in unserer Gesellschaft vollzieht?
In den großen Städten Deutschlands leben, bei-
spielsweise in Stuttgart, in fünfzig Prozent der
Haushalte nur noch Singles. Nach elf Jahren einer
maßgeblich von der CDU geführten Bundesregie-
rung, die 1982 mit der Erklärung angetreten war,
daß sie in der Erhaltung und Förderung der Familie
ihr wichtigstes gesellschaftspolitisches Ziel über-
haupt sehe, erleben wir eine bereits weit fortge-
schrittene und tendenziell weiter fortschreitende
Aufhebung der Familie. Man kann auch über den
Feminismus mit vielen schlechten und guten Ar-
gumenten diskutieren, aber es ist natürlich
Schwachsinn, den Kandidaten für das Amt des
Bundespräsidenten Heitmann deshalb zu schmä-
hen, weil er das Wort Mutter in den Mund genom-
men hat. Es mag Leute geben, die mit der Mütter-
lichkeit Probleme haben, aber sie vergessen ein
zentrales Faktum: Es gibt Kinder! Die Zukunft die-
ses Landes sind seine Kinder, und bestimmte
Emanzipationsbewegungen werden, wenn sie
weiterhin Erfolg haben, zu dem Ergebnis führen,
das die Gesellschaftswissenschaftler bereits er-
rechnet und interpretiert haben. Der Direktor des
von Professor Biedenkopf gegründeten Kölner
IWG-Instituts, Meinhard Miegel, hat in einem Buch
mit dem Titel "Das Ende des Individualismus" fest-
gestellt, wir müßten aufgrund des Geburtenrück-
gangs in Zukunft bis zu fünfzehn Millionen Auslän-
der in Deutschland aufnehmen, um unseren Sozi-
alstandard einigermaßen zu halten. Wenn dies
aber eintrete, gebe es keine Chance für die Deut-
schen, ihre Identität zu behaupten. Die Deutschen
seien im Begriffe, sich selbst biologisch und geistig
abzuschaffen. Dies ist nicht die Aussage eines fin-
steren Konservativen, sondern eines liberalen
Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftlers.
Die Steigerung des ungehemmten und unbe-
grenzten Individualismus führt nirgends mehr hin.
Das ist das Hauptmerkmal der inneren Situation
Deutschlands. Man fragt sich angesichts dessen,
welche Gedanken die Verantwortlichen der CDU
hegen. Gerade für sie müßte dies ja eine unge-
heuere Herausforderung darstellen, weil die CDU
seit 1945 immer als ein Garant bürgerlicher und
christlicher Wertehaltungen angetreten war. Sie
versprach und verspricht immer wieder, die Familie
zu verteidigen, sie beschwört die sogenannten
"Werte" und spricht in jedem zweiten Satz vom
christlichen Menschenbild. Diese Partei müßte in
der jetzigen Lage auf das Höchste alarmiert sein.
Lesen wir aber das letzte große Interview, das der
ehemalige Generalsekretär der Partei gegeben
hat, und fragen wir uns, welche Zukunftsperspekti-
ven aus diesen Ausführungen hervorleuchten. Wir
sehen dort eine Verkündigung des Pazifismus - nur
in gewissen Ausnahmefällen seien noch militäri-
sche Mittel angebracht- einen unbegrenzten Inter-
nationalismus, eine vehemente Parteinahme für ,,jj
den Feminismus, bis hin zur Aufforderung an die
Frauen, sie mögen sich zur Abschüttelung ihrer
Knechtschaft den sie verknechtenden Männern
verweigern. Ich erwähne Herrn Geißler nicht immer
deshalb, weil ich etwas gegen ihn hätte, sondern
Herr Geißler ist ein hochbegabter und intelligenter
Mann, der den Vorzug hat, offenbar der einzige zu
sein, der mit der CDU Inhalte verwirklichen will.
Dafür kann man ihm ja keinen Vorwurf machen.
Zu diesen Inhalten gehört auch diese faszinierende
Vision der "Multikulturellen Gesellschaft". Da wird
die Vorstellung zwar nicht formuliert, aber doch
suggeriert, alle Armen, Unterdrückten und Ent-
rechteten dieser Erde hätten einen Anspruch, ja
ein Recht, in den Genuß der Wohltaten des deut-
schen Sozialstaats zu kommen. Die große Gefahr,
die dieser Mann sieht, ist die Renationalisierung
Deutschlands. Die potentiellen Träger dieser dü-
steren Wiederkehr der schlimmsten Vergangenheit
Deutschlands, meint er, seien die Konservativen.
Auf einem Landesparteikongreß der Jungen Union t^
hat er erst kürzlich dazu aufgefordert, Strategien
zu entwerfen, um diese Gruppe zu marginalisieren,
am Hochkommen zu hindern. Sie sei gewisserma-
ßen das letzte Hindernis, das den großen Marsch
in die multikulturelle, pazifistische Zukunft der
Menschheit politisch aufhalte, eine Zukunft, in der
alle sich nur wie Brüder und Schwestern im großen
Menschheitsbund auf dem Boden der universalen
Republik vereinigen würden. Das ist, nur wenig
zugespitzt, seine Vorstellung.
Dem gegenüber steht die Wirklichkeit, daß
Deutschland insgesamt und die Basis der CDU
und selbst Teile der Jungen Union seit drei Jahren
deutlich nach rechts rutschen. Der Sozialismus als
Gegenmodell ist zusammengebrochen, und die
Hoffnungen, daß die Nationalstaaten sich in Eu-
ropa auflösen würden, schwinden dahin. Politisch
ist Deutschland heute aufgrund der weltgeschicht-
lichen Ereignisse ein immer mehr auf sich selbst
zurückgeworfener Nationalstaat. Was würde unter
diesen Bedingungen die Folge sein, wenn dieses
hier nur kurz angesprochene Konzept für die CDU
zukunftsverbindlich würde? Ein anderes Konzept
16
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
von vergleichbarer prinzipieller Bedeutung gibt es
in der CDU überhaupt nicht.
Es ist völlig klar, daß sich in der genannten Stunde
X diejenigen durchsetzen werden, die ein Konzept
haben. In solchen Entscheidungssituationen setzt
sich erfahrungsgemäß immer der durch, der genau
weiß, was er will. Daher halte ich es für das Wich-
tigste, sich darüber klar zu werden, was man will.
Das vom ehemaligen Generalsekretär vertretene
Programm ist an der Vollstreckung der Grundten-
denz der Aufklärung orientiert, die seit zweihundert
Jahren auf der Tagesordnung der Geschichte steht
und auf die Vollendung des liberalen Programms
einer Befreiung des Menschen abzielt. Hier stellt
sich die entscheidende Frage. Natürlich kann man
ein solches Programm haben, zumal es von den
Medien gefeiert und gefördert wird. Mit diesem
Programm haben Sie die Chance, in jede Talks-
how zu kommen. Aber wie ist das denkbar, daß
nach einer der größten weltgeschichtlichen Kata-
strophen, dem Zusammenbruch des Sozialismus,
der ja auch nichts anderes wollte als die Verwirkli-
chung dieses Programms, diese Ziele so undisku-
tiert und selbstverständlich hingenommen werden?
Auch der Sozialismus wollte nichts anderes als
eine weltrevolutionäre Strategie, um die Mensch-
heit am Ende im Namen des Pazifismus, der Brü-
derlichkeit und Schwesterlichkeit, der Aufhebung
aller kulturellen und nationalen Unterschiede, der
Herstellung von Freiheit und Gleichheit zu vereini-
gen.
Es ist eines der merkwürdigsten Dinge, daß dieser
Zusammenbruch eines der größten Experimente
der Weltgeschichte von uns in seiner geistigen Di-
mension überhaupt nicht diskutiert wird. Wir reden
vulgärmaterialistisch nur von der Transformation
sozioökonomischer Bedingungen und von Geld-
transfers. Keiner fragt nach der geistigen Zieldi-
mension. Aber wer sollte das tun, wenn nicht die
CDU? Ist der Zusammenbruch der Utopie eine Sa-
che, die nur Rußland oder Osteuropa betrifft? Of-
fenbar ist das ein großer Irrtum! Deutschland wird
von den Vorgängen in Ost- und Mitteleuropa mehr
betroffen sein als während der ganzen vierzig
Jahre der Blockkonfrontation. Der Ausgang der
gegenwärtigen Entwicklung in Rußland wird von
schicksalhafter Bedeutung für uns sein. Wir trans-
ferieren 80 Milliarden DM für den Aufbau eines
neuen ökonomischen Systems, und ein geistiger
Dialog findet nicht statt. Haben wir den Menschen
in Rußland oder auch in der ehemaligen DDR
nichts anderes anzubieten als die Verheißungen,
die an die Marktwirtschaft gebunden sind? Das ist
die Herausforderung.
Was die CDU bisher über das ökonomische Modell
hinaus programmatisch anzubieten hatte, bewegte
sich um den Begriff des sogenannten "christlichen
Menschenbildes". Aber gibt es das "christliche
Menschenbild ? Wenn wir hinsehen, stellen wir
fest, daß die Bilder, die die Christen vom Men-
schen haben, so unterschiedlich sind wie die
Ideologien, die in der Gesellschaft herrschen. Die
Frage, nach welchem christlichen Menschenbild
man sich orientiert, bleibt deshalb der subjektiven,
ganz willkürlichen Entscheidung des einzelnen,
eventuell auch bestimmter Demagogen, überlas-
sen.
Da fragt es sich, wo das "christliche Menschenbild"
seine Begründung hat. Zur Antwort wird immer
wieder die These von der Gottesebenbildlichkeit
des Menschen angeführt. Auch die Grundsätze
universaler Gleichheit werden mit der Gotteseben-
bildlichkeit begründet. Aber haben wir denn unse-
ren christlichen Konfirmanden- oder Religionsun-
terricht vergessen? Wir müßten doch wissen, daß
die Gottesebenbildlichkeit durch das Ereignis der
Sünde, "peccatum", zerstört worden ist! Das Fak-
tum, das uns von der Ebenbildlichkeit Gottes
trennt, haben die Christen seit zweitausend Jah-
ren, ohne zu erröten, Sünde, Schuld oder
"peccatum" genannt. Wir können dieses Faktum
nicht beiseite schieben und uns auf einen paradie-
sischen Urzustand beziehen. Die Kernursache der
unbegrenzten Modernisierung des Christentums
bis hin zu seiner Auflösung ist die Eliminierung von
Sünde und Schuld.
Was bedeutet die christliche Rede von der Schuld?
Es ist die realistische Wahrnehmung des Men-
schen als eines seinen Trieben und Süchten ver-
fallenen, in sich gebrochenen und immer wieder
schuldhaft verhafteten Wesens. Das Großartige,
das die Menschheit dem Christentum zu verdan-
ken hat, gründet in dieser realistischen Sicht des
Menschen, wie_ er ist. Dieses Bild verschwindet,
wenn ich unter Überspringung all dessen, was eine
zweitausendjährige Tradition unter "peccatum"
verstand, meine, unmittelbar auf die Ebenbildlich-
keit rekurrieren zu können. Wenn ich das tue, folge
ich der Vision der Aufklärung, daß der Mensch von
Natur gut sei und es nur die Verhältnisse oder In-
stitutionen seien, die ihn hindern, seine Güte un-
eingeschränkt zu entfalten. Hegel sagte einmal, die
Lehre, daß der Mensch gut sei, sei eine Lehre
neuerer Zeiten und mit ihr sei das ganze Chri-
stentum abgeschafft.
Wenn ich die Lehre von Sünde und Schuld strei-
che, ist es nicht mehr einsichtig zu machen, wes-
halb das Christentum keine soziale Befreiungs-
oder Emanzipationsreligion sein soll, sondern, wie
die Christen seit zweitausend Jahren glaubten,
eine Erlösungsreligion ist. Wenn die Theologen
nicht mehr wissen, wovon erlöst werden soll und
muß, ist die Verwandlung des Christentums in eine
sozialemanzipatorische oder kollektiv-sozialisti-
sche Befreiungsreligion unaufhaltsam.
Wenn wir auf dem Boden dieser Fiktion von der
Güte des Menschen argumentieren, hat das unge-
borene Leben gar keine Chance. Ich muß dann nur
noch behaupten, daß die Frau in ihrem Gewissen
eigenständig und verantwortlich handeln wird,
dann kann das Leben des Kindes bei dieser Frau
ja nur in den besten Händen sein und jeder Eingriff
von außen, etwa seitens des Staates, kann dann
nur noch als Repression und Unterdrückung der
Frau gedeutet werden. Wenn der christliche theo-
logische Hintergrund verloren geht und ideologi-
sche Fiktionen an seine Stelle treten, können Sie
Ihre Schlacht um die Bewahrung des Lebens nur
verlieren.
Wie tritt man gegen ideologische Fiktionen an?
Wenn Sie nicht die politische Realität dieses Jahr-
hunderts zur Sprache bringen, haben Sie keine
Chance. Die Sprache unseres Jahrhunderts ist die,
daß die beiden bisherigen großen Versuche einer
zwangsmäßigen Entchristlichung der Gesellschaft,
sowohl im Kommunismus wie im Faschismus und
Nationalsozialismus, nicht nur zur Barbarei geführt
haben, sondern auch zu einem Zustand, in dem
Verbrecher sich des Staates bemächtigen und
seine modernsten Mittel anwenden, um bestimmte
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
17
Kategorien der Gesellschaft auszurotten wie Un-
geziefer.
Niemand wagt heute, die Frage zu stellen, ob die-
ses Ergebnis nicht auch auf anderem als dem
staatstotalitären Wege eintreten könnte. Das ist
der reale Kern der Entchristlichung der Gesell-
schaft. Wenn ich es heute fCir sozial gerechtfertigt
halte, ungeborenes Leben zu töten, warum dann
morgen nicht auch altes und krankes Leben?
Wenn der Sozialstaat ohnehin nicht mehr zu be-
zahlen ist und die Versorgung von Alten und Kran-
ken aufgrund der unausgeglichenen Altersstruktur
morgen zusätzliche Milliardensummen verschlin-
gen wird, sollte dann nicht das Argument, man
solle diese Menschen aus wohl erwogenen huma-
nitären Gründen von ihren Leiden befreien - natür-
lich nach einer ergebnisoffenen Beratung -, nicht
auf Zustimmung stoßen?
Wer gegen die Tötung ungeborenen Lebens
kämpft, kämpft deshalb nicht nur für eine Kategorie
von Menschen, sondern potentiell für alle. Nach
dem, was in unserem Jahrhundert möglich war,
sollten wir wissen, daß morgen jeder zur Disposi-
tion stehen kann, wenn er nur gewisse Bedingun-
gen erfüllt, die dem grenzenlosen Liberalisierungs-
zug der Gesellschaft im Wege stehen. Wo ist die
absolute, das heißt unüberschreitbare Grenze, die
uns davor bewahren sollte? So konnte man in
jüngster Zeit beobachten, daß konservative Chri-
sten in die Nähe einer Sekte gerückt wurden. Die
Abqualifizierung und Kriminalisierung von enga-
gierten Bürgern als Sekte ist ein für die Demokratie
außerordentlich gefährliches Ereignis. Inzwischen
hat nämlich Herr Warnfried Dettling, einer der eng-
sten Mitarbeiter von Herrn Geißler, im öffentlich-
rechtlichen Fernsehen erklärt, daß die CDU eine
"Mammutsekte" sei. Der Sektenvorwurf kann also
zum Damoklesschwert werden, denn als Sekte
kann man alle die bezeichnen, die im Verdacht
stehen zu dissentieren, also von einem vorherr-
schenden Trend abzuweichen. Morgen kann die
ganze CDU, wenn sie sich nicht auf dem von den
Medien vorgeschriebenen Pfad bewegt, zur Sekte
erklärt und kriminalisiert werden.
Das "christliche Menschenbild" ist also eine
schwierige Sache. Selbst wenn es das gäbe, wäre
die entscheidende Frage, ob die dadurch vermit-
telte Form von Aufklärung legitimierbar und be-
gründbar sei. Hier stehen wir am Konvergenzpunkt
aller unserer Überlegungen. Es bedarf einer Auf-
klärung über das Verhältnis von Aufklärung und
Christentum. Bisher hat die Aufklärung so erfolg-
reich über das Christentum und im Christentum
aufgeklärt, daß sie im Begriff ist, nicht nur das
Christentum, sondern auch sich selber abzu-
schaffen. Der erste, der die Selbstdestruktion der
Aufklärung durch ihre Emanzipation vom Chri-
stentum und von der antiken Philosophie radikal
verkündet hat, war kein anderer als Nietzsche.
Eine Aufklärung, die nicht substantielle Güter - die
sogenannten "Werte" - festhalten kann, die also
alle Kulturinhalte zur Disposition stellt, schafft sich
in letzter Konsequenz selbst ab.
Das größte Gebot und höchste Gut der Aufklärung
war die Humanität, die Vervollkommnung und Ver-
besserung des Menschen, der Glaube an seine
Vernunft. Wenn die Aufklärung diese Kernsätze
um willen einer exzessiv gewordenen Liberalität
zerstört, zerstört sie sich selbst. Es gibt heute
nichts mehr, worüber aufgeklärt werden könnte.
Nur ein einziges Tabu, das noch gebrochen wer-
den könnte, gibt es in dieser Gesellschaft. Es ist
das Tabu, Embleme zu zeigen oder Sätze zu wie-
derholen, die aus der Zeit des Nationalsozialismus
stammen. Sie dürfen heute jede Schweinerei auf
die Bühne bringen, Sie können ganz hemmungslos
Pornographie und Unzucht zum höheren Abend-
vergnügen des liberalen Bürgertums über die
Fernsehkanäle schicken, das wird alles als hoher
Grad liberaler Reife gefeiert. Nur, wer das nicht für
die Humanität als förderlich ansieht, gilt schon als
halber Faschist. Die Folgen der prinzipiellen Hem-
mungslosigkeit lassen aber nicht auf sich warten.
Kleine Kinder ermorden andere und antworten auf
die Frage, was sie bewegt habe, sie hätten einmal
erfahren wollen, wie das ist, wenn man einen Men-
schen tötet.
In dieser Situation ist nicht nur eine Aufklärung
über, sondern durch das Christentum notwendig.
Wir brauchen eine christliche Aufklärung. Ich
meine nicht eine missionarische Verbreitung des
christlichen Glaubens, die zwar dringend notwen-
dig, aber nicht die Aufgabe einer politischen Partei
oder Gruppierung ist. Worüber aufgeklärt werden
muß, ist die schlichte Tatsache, daß eine Kultur,
die aus dem Erbe des Christentums lebt und auch
von den säkularisierten Formen des Christentums
zehrt, mit dem Christentum sich selber abschafft.
Nachdem uns heute alle Religionen der Welt ab-
wechselnd als zukunftsverheißende Gestalten der
Menschheitskultur empfohlen werden, muß es er-
laubt sein, an das zu erinnern, was unsere ge-
samte Kultur und wir selbst dem Christentum ver-
danken. Es muß daran erinnert werden, daß ge-
rade die ganze moderne Kultur von jenem säkula-
risierten Christentum gelebt hat, das jetzt in ein
letales Stadium eingetreten ist. Es muß gesagt
werden, daß es angesichts dieses Verschwindens
für uns zur Substanz des Christentums keine Al-
ternative gibt. Wir können weder eine asiatische
Religion noch den Mohammedanismus noch ir-
gendwelche Naturreligionen an die Stelle des Chri-
stentums setzen, ohne die Form der vernünftigen
Humanität, aus der auch die Aufklärung noch ge-
lebt hat, zu verlieren.
Wenn uns die multikulturelle Gesellschaft als eine
großartige Sache anempfohlen wird, weil dann
junge Menschen in einen interkulturellen Aus-
tausch eintreten und sich wechselseitig bereichern
könnten, so mag das sein. Aber was soll denn ein
deutscher junger Mensch einem jungen Türken
noch mitzuteilen haben, wenn er kein Vaterland,
keinen Glauben, keine sittlichen Überzeugungen
hat, während der prachtvolle junge Türke dies alles
hat, es selbstbewußt vertritt und nicht im Traume
daran denkt, es im Diskurs zur Disposition zu stel-
len? Wir entziehen also mit der Zerstörung unserer
kulturellen Identität auch einer möglichen multikul-
turellen Gesellschaft die Grundlagen. Nur
Schwachsinnige oder solche, die eigentlich etwas
anderes wollen als die multikulturelle Gesellschaft,
können nationale Identität und multikulturelle Ge-
sellschaft gegeneinander ausspielen.
Diese Aufklärung durch das Christentum ist aus
einem zweiten Grund notwendig. Alle auf dem Bo-
den der Aufklärung gewachsenen Ideologien sind
in das Stadium des politisch-geistigen Siechtums
übergegangen. Andre Malraux sagte einmal, die
große Frage des 21 . Jahrhunderts werde nicht die
Ökonomie, sondern die Religion sein. Wir müssen
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
zur Kenntnis nehmen, daß die Religion auf die Ta-
gesordnung der Geschichte zurijcl<gel<ehrt ist. In
diesem weltgeschichtlichen Augenblick treibt die
CDU entschlossen ihre christlich bewußtesten An-
hänger an den Rand. Wie wollen wir in den Welt-
dialog der Religionen und ihrer Kulturen eintreten,
wenn wir selbst nichts einzubringen haben? Im
Gegenteil, wir verbreiten selbst jeden abartigen
Unsinn, den irgendjemand Ciber das Christentum
behauptet. Führen wir nicht eine gespenstische
Diskussion in den Medien, indem der Papst immer
nur als der Experte für besondere Sexualpraktiken
zitiert und stilisiert wird, während die Gegenseite
behauptet, daß sie in diesen Praktiken nicht ihr se-
xuelles Glück finden könne? Kann denn das Chri-
stentum tiefer herunterkommen als dadurch, daß
es sich auf die Ebene dieser Fragestellung ein-
läßt?
Der dritte Grund, der eine christliche Aufklärung
notwendig macht, ist der gegenwärtige krisenhafte
Zustand der Bundesrepublik. Der Bundeskanzler
sagt, in den Köpfen der Menschen müsse sich et-
was ändern. Er hat recht und er müßte vor allen
Dingen sagen, was sich in den Köpfen zu ändern
hat, um in der gegenwärtigen Krise zu bestehen.
Beispielsweise sind die Chancen, unser Verständ-
nis des Sozialstaates zu erneuern, ohne Christen-
tum und ohne die Weckung neuer Formen des
christlichen Ethos äußerst gering. Wir erleben, daß
alle für alle möglichen Einsparungen eintreten, so-
lange andere betroffen sind. Sobald sie selbst be-
troffen sind, verteidigen sie mit Zähnen und Klauen
ihre Besitzstände. Die Gesellschaft verteidigt sich
damit gegen die Realität, sie verteidigt ihre Ver-
gangenheit gegen die Zukunft. Wir stehen vor ei-
ner vergleichbar großen sozialpolitischen Konver-
sion wie nach 1945. Der Bundeskanzler hat ge-
sagt, daß uns eine große Anstrengung abverlangt
werden wird. Es wird aber nicht nur eine Konver-
sion der Sozialordnung und der Tarifverträge sein
können. Wenn nicht die Herzen der Menschen,
wenn nicht ihre innersten Erwartungen verändert
werden und ihnen nicht die Kraft vermittelt wird,
eine neue, häufig harte und grausame Realität an-
zunehmen, ohne daß die Barmherzigkeit in unse-
rem Lande dabei stirbt, darf man über die Zukunft
der Deutschen nicht allzu optimistisch denken. Aus
diesen Gründen brauchen wir eine christliche Auf-
klärung.
Literaturhinweis:
1 Religion und Politik in der Krise der Moderne,
Styria, Köln
Bei der Gesellschaft für Kulturwissenschaft e.V.,
Ahornweg 5a, 76467 Bietigheim/Baden. Tel.:
07245-89015, kann dieser Vortrag als Broschüre
bezogen werden.
l-iinweis: Kongress in Sion/Sitten (Scliweiz) IVlai
1994
Sciiwangersciiaft, Geburt, das Kind —
Wo sind etiiisciie Überlegungen gefragt?
Am 26. - 28. Mai 1994 organisieren die Vereinigung
der Katholischen Ärzte der Schweiz VKAS und die
Internationale Ärztevereinigung für Natürliche Fa-
milienplanung lANFP einen Kongress zum obigen
Thema. Der Kongress steht unter dem Patronat
seiner Eminenz Heinrich Cardinal Schwery und ist
ein Beitrag zum Internationalen Jahr der Familie.
Die Thematik betrifft in ganz besonderer Weise die
Familie, und damit die menschliche Gesellschaft.
S.E.Heinrich Cardinal Schwery und S.D.Prinz Ni-
kolaus von und zu Liechtenstein sprechen zum
Thema "Familie". Prof.O'Rahilly, Freiburg iUe gibt
eine Einführung über die Entwicklung des men-
schlichen Lebens vor der Geburt, Prof.Kayser,
Bern spricht über diejenige der pränatalen Diagno-
stik, welche ein allenfalls krankes Kind möglichst
rasch einer Behandlung zuführen kann,
Prof.Avanzini, Inverigo und Dr.Michele Guy,
Grenoble berichten über verschiedene Aspekte
des Stillens.
Ein Schwerpunktsthema der Tagung ist das "Post-
Abortion-Syndrom". Bei diesem Syndrom handelt
es sich um die Gesamtheit von Krankheiten, die
die Abtreibung nach sich zieht. Obwohl die Exi-
stenz eines solchen Post-Abortion-Syndroms oft
verleugnet wird, ist sie dennoch eine Wirklichkeit,
die unsere Aufmerksamkeit verdient. Dazu spre-
chen Dr.Scheppens, Ostend, Dr.Maria Simon,
Würzburg, Dr.Marie Peeters, Paris, Dr.Wanda
Poltawska, Krakau (im 2. Weltkrieg Insassin eines
Konzentrationslagers!) und Frau Karin Struck,
Hamburg, Autorin des Buches "Ich sehe mein Kind
im Traum".
Prof.Lejeune, Paris, Pater (Prof.) Cottier OP, Rom,
Pater (Prof.) Laun, Wien und Msgr.Sgreccia spre-
chen über theologische, philosophische und ethi-
sche Grundsatzfragen.
Die natürliche Empfängnisregelung wird auch vor-
gestellt, nicht so sehr ihre praktische Durchfüh-
rung, als viel mehr ihr Beitrag zu einer Lebens-
weise, die u.a. wesentlich zum Vermeiden von Ab-
treibungen beitragen kann. Dazu sprechen
Dr.Elisabetta Meier-Vismara, Breganzona,
Prof.Rötzer, Vöcklabruck und Dr.Catherine Vier-
ung, Paris. Zusätzlich finden Workshops in
Sprachgruppen zum Thema "Natürliche Empfäng-
nisregelung" statt.
Dr. Neuer, Tübingen äussert sich zur Bedeutung
der Gebote Gottes für die staatliche Gesetzgebung
unter besonderer Berücksichtigung der Abtrei-
bungsproblematik.
Kongressprachen: Deutsch, Französisch und Ita-
lienisch; nach Möglichkeit werden schriftliche
Übersetzungen oder zumindest Zusammenfassun-
gen in den je anderen Sprachen angeboten. Der
Kongress richtet sich nicht nur an Ärzte, sondern
an alle an diesen Themen Interessierten. Damit
möglichst viele vom breitgefächerten Angebot pro-
fitieren können, sind die Kongressgebühren be-
wusst nicht kostendeckend angesetzt.
Für das Gelingen dieser Veranstaltung sind wir auf
Ihre Mithilfe angewiesen. Der Kongress soll ja
auch Früchte tragen. Dabei zählen wir in erster Li-
nie auf Ihr Gebet. Wir bitten Sie auch, Ihre Be-
kannten auf den Kongress aufmerksam zu ma-
chen.
Das definitive Programm ist Anfang März 1994 er-
hältlich. Auskunft durch Dr.med.N.Zwicky-Aeber-
hard. Untere Hauptgasse 14, CH-3600 Thun, Te-
lefon 033/22 22 56 oder 43 32 45, FAX 033/22 01
56. (Vorwahl von Deutschland jeweils statt 033
bitte 0041/33...) Die Veranstalter
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
19
Dipl.Ing. Peter Pioch ;;■ f ;;
Grundsätzliche und anthropologische Gesichtspunkte zum Thema
"Homosexualität" -^
Zum Begriff Sexualität:
Zu Anfang muß der Begriff "Sexualität" etwas ge-
nauer betrachtet werden. Im allgemeinen wird der
Begriff "Sexualität" als das lat. Wort für
"Geschlechtlichkeit" erklärt. Das ist aber bei ge-
nauer Betrachtung so nicht richtig. Der Mensch
wurde geschaffen als Mann und Frau, männlich
und weiblich. D.h. spricht man von dem Ge-
schlecht des Menschen, so meint man die Tatsa-
che, daß dieser Mensch entweder als Mädchen
oder als Junge geboren wurde.
Wäre das Wort "Sexualität" die exakte Überset-
zung des Wortes "Geschlechtlichkeit", so könnte
die Bezeichnung "asexuell" nicht gebraucht wer-
den. Als "asexuell" werden Menschen bezeichnet
die ihren Geschlechtstrieb nicht ausleben können.
Z.B. kleine Kinder. "Asexuell", wörtlich verstanden,
würde aber einen Menschen als geschlechtsloses
Wesen bezeichnen, was es nicht gibt.
Ein Kind ist kein geschlechtsloses Wesen. Es ist
entweder Junge oder Mädchen. Daher muß fest-
gestellt werden, daß der Gebrauch des Begriffes
"Sexualität" sich verselbständigt hat. Mit "Sexuali-
tät" wird nicht nur die Bedeutung "Geschlechtlich-
keit" gemeint, sondern die Ausübung des Ge-
schlechtstriebes.
Unter "homosexuell" wird im allgemeinen jemand
verstanden, der eine geschlechtliche Beziehung zu
jemand des gleichen Geschlechtes hat. Es wird die
Praktizierung der Beziehung stillschweigend vor-
ausgesetzt. Wenn es tatsächlich eine homosexu-
elle "Veranlagung" gäbe, im folgenden werde ich
zeigen, daß es diese nicht gibt, dürfte ein Homo-
sexueller keine größeren Probleme haben als jeder
unverheiratete Mensch. Warum sollte er nicht in
der Lage sein, sich der Beziehungen zu enthalten?
Gängige These ist jedoch, jeder Mensch habe das
Recht auf freie Entfaltung seiner Sexualität. Was
wird darunter verstanden? Mit "Entfaltung der Se-
xualität" wird die geschlechtliche Betätigung ge-
meint. Wer sich dieser enthält, gilt als asexuell, je-
mand, der geschlechtslos ist. Ist somit eine Diako-
nisse, ein kath. Priester geschlechtslos? Hier zeigt
sich der eigentliche Widerspruch. Geschlechtlich-
keit des Menschen hat weit größere Formen als
die geschlechtliche Beziehung. Es ist durchaus
nicht unweiblich, wenn eine Frau sich der Ehe ent-
hält und Gott ganz dienen will im Dienst am Men-
schen. Durch ihren Dienst wird sie "Mutter" von
weit mehr Menschen als sie je als Ehefrau Kinder
haben könnte.
Der Begriff "Sexualität" verkürzt also die wahre
Dimension menschlicher Geschlechtlichkeit. Leider
ist es aber unmöglich, den Begriff zu vermeiden,
da er sich viel zu sehr eingebürgert hat.
Wir leben in einer übersexualisier-
ten Gesellschaft.
Vor einigen Jahren wurde Arbeitgeberpräsident
Hans Martin Schleyer und sein Fahrer umgebracht.
Sie fielen einem Terrorakt zum Opfer. Die Täter
näherten sich auf einem Motorrad seinem Aulo
Der Beifahrer erschoß während der Fahrt die bei-
den Männer. Einige Tage darauf erschien in einer
Illustrierten eine Werbeanzeige über ein Motorrad
gerade der Marke, auf dem die beiden Terroristen
gesessen hatten. Der Werbetext lautete: "Das
Motorrad für Scharfschützen". Nun war die Zeitung
schon vor dem Attentat gedruckt. Also entschul-
digte sich der Motorradkonzern in einigen Fernseh-
spots für diese unpassende Werbung. Man mag
darüber denken, was man will. Die Anzeige: "Das
Motorrad für Scharfschützen" appelliert an den
Machttrieb im Menschen. Wenn Du dieses Motor-
rad fährst, bist Du stärker als der Rest der Welt.
Erst der zufällige, tragische Zusammenhang be-
leuchtet, wie unverantwortlich diese Werbung ist.
Ein Appell an den Machttrieb angesichts von üba
10.000 Todesopfern auf bundesdeutschen Stra-
ßen. Im Prinzip ist der Machttrieb nichts Negatives,
wenn er kontrolliert wird. Denn dieser Trieb sorgt
dafür, daß wir für unsere Familie und Volk das
notwendige tun, um sie zu erhalten. Dieser Macht-
trieb ist gekoppelt mit einer Lust. Wenn wir alles
uns mögliche getan haben, um die unsrigen zu
schützen, ist dies für uns mit dem guten Gefühl der
Geborgenheit gekoppelt.
Löst man aber den eigentlichen Triebgrund (die
Vorsorge für die anvertrauten Menschen) von der
Lust (das Gefühl der Machtausübung) ab, perver-
tiert ihn also, wird der Trieb zur Sucht. Die Anzeige
spricht den Machttrieb an, nur um etwas zu ver-
kaufen. Über die Anzeige hätte sich wahrscheinlich
keiner aufgeregt, wenn nicht das Attentat diesen
unverantwortlichen Zusammenhang aufgedeckt
hätte.
Der Geschlechtstrieb hat einen Triebgrund (die
Weitergabe des menschlichen Lebens) und eine
damit verbundene Lust. Trennen wir die Lust von
dem Triebgrund, wird der Trieb zur Sucht. Gerade
diese Trennung ist aber ein gebräuchliches Mittel,
um bestimmte Ziele zu erreichen. In der Werbung
wird der Geschlechtstrieb immer wieder angespro-
chen, um eine Ware zu verkaufen. Eine Dar-
stellung, die gezielt den Geschlechtstrieb anspricht
(Pornographie), wird immer wieder gebraucht, um
Menschen dazu zu bringen, eine Ware zu kaufen.
Im Prinzip ist dies genau das gleiche wie die An-
zeige für das Motorrad. 10.000 Todesopfer pro
Jahr sollten eigentlich genügen, um die Motor-
radanzeige abzulehnen. Die Tatsache, daß immer
mehr Menschen geradezu sexsüchig sind, sollte
eigentlich Grund genug sein, um die Verwendung
und Verbreitung von entsprechenden Darstellun-
gen zu verbieten. Die spezifischen geschlecht-
lichen Vorgänge beim Menschen sind nur ein klei-
^
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
nerTeil des ganzen Menschen. Dennoch findet ge-
rade dieser Teil den größten Raum in der Erzie-
hung. IVlit fächerübergreifender Sexuall^unde wird
heute in vielen Schulen unseren Kindern immer
wieder eingetrichtert, ein Mensch ohne aktives Se-
xualleben sei kein vollwertiges Wesen.
Das Problem der praktizierten Homosexualität darf
nicht isoliert gesehen werden, sondern ist ein Teil
der Tatsache, daß unsere Gesellschaft "übersex-
ualisiert" ist. Die Ausübung des Geschlechtstriebes
ist das goldene Kalb. Dies zeigt sich in der Be-
deutungsverschiebung des Wortes "Sexualität".
Aber auch in der Verwendung manch anderer Be-
griffe. Z.B. wird von "Versagerquoten" bei Verhü-
tungsmitteln gesprochen. Sind Kinder denn "Ver-
sager", wenn sie unter Verhütungsmitteln empfan-
gen werden? Es wird von "Schwangerschafts-
abbruch" gesprochen, obwohl die Beendigung der
Schwangerschaft wohl weniger gravierend ist als
die Beendigung des Lebens des ungeborenen
Menschen.
Wodurch ist Homosexualität be-
dingt?
* Ist sie angeboren, genetisch verankert?
* Ist sie eine Spielart der Sexualität, die mit
prozentualer Wahrscheinlichkeit vorkommt?
* Ist sie im Laufe des Lebens erworben?
Wenn Homosexualität genetisch verankert ist,
dürfte sie längst ausgestorben sein. Da sich Ho-
mosexuelle nicht fortpflanzen, bestünde für die
Gene keine Möglichkeit der Reproduktion. Inner-
halb weniger Generationen wäre diese Erbanlage
verschwunden. Dazu trifft auch folgende Überle-
gung. Ein Homosexueller hätte keine Möglichkeit
zu einem normalen Verhalten zu kommen, da die
genetische Verankerung sich nicht ändern läßt.
Dies widerspricht der Tatsache, daß viele ehemals
Homosexuelle heute glücklich verheiratet sind. Zu-
dem gibt es aus der Zwillingsforschung den Fall
eines eineiigen männlichen Zwillingspaares (mit
fast identischer genetischer Erbinformation) bei
dem einer später homosexuell war, während der
andere es nicht war.
Die gängigste Auffassung ist heute, daß Homose-
xualität eine Spielart ist, die mit prozentualer Wahr-
scheinlichkeit vorkommt. Dagegen spricht die Tat-
sache, daß auch dies den Gesetzen der Vererbung
unterliegen muß, damit müsste sich der Prozent-
satz verringern. Deutlich wird dies z.B. bei der
Hundezucht. Mit prozentualer Wahrscheinlichkeit
tritt die Hüftgeleksdypiasie (HD) auf. Wenn ein
Kollektiv von Hunden zur Zucht ausgewählt wird,
werden davon betroffene Tiere herausgenommen
und damit verhindert, daß die HD weiter vererbt
werden kann, denn diese Krankheit wird genetisch
übertragen. Sondert man alle von HD betroffenen
Tiere aus, so vermindert sich in dem Zuchtkollektiv
der Prozentsatz der betroffenen Tiere im Laufe
einiger Generationen.
Analog muß gefolgert werden, daß Homosexualität
auch nicht als Spielart der Sexualität genetisch be-
dingt sein kann.
Der wichtigste Angriffspunkt zur Klärung des Ur-
sprunges sind jedoch Beiträge der Hirnforschung,
einer medizinischen Anthropologie.
Leicht vereinfacht läßt sich hier folgendes aussa-
gen: Der Mensch besitzt Hirnpartien die typisch
menschlich sind. Es sind diese:
Stirnhirnes,
(knöcherne
a) das Orbitalhirn (Teil des vorderen
oberhalb der knöchernen Augenhöhle;
Augenhöhle = lat. Orbita)
b) Die Präfrontalrinde (vorderstes Stirnhirn)
Hirnpartien kommen bei Tieren nicht vor.
Diese
Zwischenhirn
Präfrontairinde^^;^
Orbital
hirn
Auge Hypophyse/ \
n •■ ^ . A Hirn- \
(l<nocherne Augen- \
höhle lat. Orbita) stamm
Kleinhirn
M-,]-
Ungefähre Lage der Präfrontalrinde und des Orbitalhirnes im menschlichen Gehirn. Schnitt zwischen den
beiden Hirnhälften gibt den Blick frei auf die rechte Gehirnhälfte mit den vielen Hirnwindungen,
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
21
Die Frage ist nun, welche Funl^tionen diese Hirn-
partien haben? Selbstverständlich können zur Lö-
sung dieser Frage keine Versuche am Menschen
gemacht werden. Jedoch gaben die Hirnverletzten
der beiden Weltkriege Aufschluß darüber. Es gab
hin und wieder Hirnverletzte, die diese Verletzung
überlebt haben. Bei einer beidseitigen Verletzung
z.B. der Präfrontalrinde kam es zu Antriebsverlust
und intellektueller Verflachung. Also ein Verlust der
Initiative. Bei Zerstörung des Orbitalhirnes kann
der betroffene Mensch nicht ethisch verantwortlich
handeln. Zwar kann er Zusammenhänge einsehen,
jedoch kann er nicht mehr sein Handeln danach
ausrichten. Er wird zum Spielball hemmungsloser
Triebe, vor allem von Aggression und Sexualität.
Es gibt einige Beispiele, wo Menschen nach Zer-
störung des Orbitalhirnes nicht mehr in der Lage
waren, Ihren Sexualtrieb unter Kontrolle zu halten,
und deshalb wegen sexueller Straftaten verurteilt
wurden.
Für unsere Betrachtungen wichtig ist nun die
Frage, wie das Orbitalhirn zu seiner Funktion
kommt.
Es gibt beim Menschen "plastische Perioden", in
denen gewisse Fähigkeiten gelernt werden müs-
sen. Z.B. kann ein Kind innerhalb einer gewissen
Zeit Laufen lernen. Wird es daran durch Krankheit
gehindert, hat es später eine ungleich größere
Mühe das Laufen noch zu lernen.
Die Erziehung des Menschen zur Liebesfähigkeit,
zum Vertrauen muß in den ersten Lebensjahren
geschehen. Gerade die ersten 3 Jahre entschei-
den viel für das weitere Leben des Menschen. Die
Fähigkeit des Menschen seinen Geschlechtstrieb
zu formen, muß ebenfalls in den ersten Lebens-
jahrzehnten erworben werden. Bei Tieren ist der
Geschlechtstrieb instinktgesichert, d.h. auf Grund
von Schlüsselreizen kann der Geschlechtstrieb ak-
tiviert werden. Die Instinkte werden vom Stamm-
hirn gesteuert. Beim Menschen kommt nun hinzu,
daß der Geschlechtstrieb vom Orbitalhirn "sozial
integriert" werden kann, werden muß. Penfield
macht die fundamentale Aussage: "Das Gehirn
des Menschen wird durch seinen Geist geformt";
und weiter "Das Gehirn erfährt eine Umbildung
durch den Unterricht, den ein Kind erhält und durch
die persönliche Anstrengung, die es macht." Damit
ist die unerhörte Möglichkeit ausgedrückt, daß die
Person ihr eigenes personales Organ, das Gehirn,
formen kann.
Letztlich wird also auch die Fähigkeit den Ge-
schlechtstrieb zu beherrschen durch Training des
Menschen erlernt.
Von hier her wird der Ursprung homosexuellen
Handelns deutlich. Der Geschlechtstrieb des Men-
schen wird durch das Lernen und den Umgang
geformt. So kann ein Mensch durch gleichge-
schlechtlichen sexuellen Umgang, oder Mißbrauch,
auf Gleichgeschlechtlichkeit festgelegt werden.
Ebenso kann der Mensch durch Askese, also be-
wusstes Verzichten, lernen den Geschlechtstrieb
(und auch andere Triebe) zu beherrschen. Richtig
beherrscht ist jeder Trieb etwas sehr positives, der
beherrschte Trieb führt zur Freiheit des Menschen.
Freiheit des Menschen ist ja nicht die Möglichkeit
unter 50 Zigarettenmarken und unter 300 alkoholi-
schen Getränken wählen zu können, sondern die
Fähigkeit darauf zu verzichten. Die Freiheit des
Menschen besteht darin, den Geschlechtstrieb so
zu nutzen, daß das eigentliche Ziel des Triebes,
die soziale Integration, erreicht werden kann. Das
beinhaltet auch die Fähigkeit, verzichten zu kön-
nen.
Geschlechtliches Verhalten wird gelernt. Wenn nun
gelehrt wird, daß homosexuelles Verhalten eine
normale Spielart menschlicher Sexualität sei, wird
die Zahl der Homosexuellen steigen. Je mehr eine
Kultur eine Sitte toleriert, desto mehr nimmt sie
überhand. Wenn Kinder in einer Umwelt aufwach-
sen, in der das Beherrschen des Geschlechtstrie-
bes nicht gelernt wird, ja sogar verpönt ist, in der
das Abreagieren jeder geschlechtlichen Spannung
möglichst bald und möglichst oft ermöglicht wird,
verlieren sie die Möglichkeit im späteren Leben ih-
ren Geschlechtstrieb zu beherrschen. Das Orbital-
hirn kann mangels Übung die Integration des Ge-
schlechtstriebes nicht ausüben. Dies bezieht sich
auf alle Arten geschlechtlichen Verhaltens, nicht
nur auf Homosexualität.
Erziehung nach einem christlichen
IVIenschenbild
Das Wort "Erziehung" beinhaltet das Wort
"ziehen". Bei einer Erziehung muß ein Ziel klar
sein, wohin ich den Menschen ziehe. Wenn das
Ziel unklar ist, kann ich keinen Menschen ziehen.
Bei der heutigen "Pluralität", in der alle Meinungen
als gleichwertig betrachtet werden, egal ob richtig
oder nicht, müssen wir uns in der Erziehung an ei-
nem Menschenbild orientieren. Das Menschenbild
des Materialismus bewertet den Menschen als
"denkende Materie". Von da her ist allein die Wei-
tergabe der Gene, des menschlichen Erbgutes,
wichtig. Hierbei kann alles als richtig angesehen
werden, was dem Menschen bequem ist. Ein
christliches Menschenbild sieht den Menschen als
Geschöpf Gottes. Die Weitergabe des Lebens
schließt Erziehung, (auch in religiösen Fragen) mit
ein. Aus dem vorher gesagten ergibt sich die
Wichtigkeit Kinder und Jugendliche im Umgang mit
der Geschlechtlichkeit zu erziehen. Die Frage, wo-
hin dabei erzogen werden soll, kann nur ein christ-
liches Menschenbild beantworten.
Literatur:
Dr. med. Josef Rotzer: Menschenbild, Sexualität
und Ehe, Grundriß einer evolutiven Anthropologie.
Theologische Brennpunkte Band 21/22. (Der Band
ist vergriffen. Ausleihen über die Landesbiblio-
theken möglich) . i
Dr. med. Josef Rotzer: Verantwortliche Elternschaft
im Lichte eines christlichen Menschenbildes. Vor-
trag vom Kongreß der Europäischen Ärzteaktion in
Meran. Mit ausführlichem Literaturhinweis zur me-
dizinischen Anthropologie. Zu erhalten bei: Euro-
päische Ärzteaktion, Postfach 1123, 89001 Ulm
22
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
s
Zum Tod eines
außergewöhnlichen l\/lenschen
Prof. Max Thürkauf starb am 2. Weihnachtsfeiertag
1993.
Vor einiger Zeit traf ich in einer westdeutschen
Stadt einen Kapuziner-Pater. Er fiel mir unter den
modern gel^leideten IVIenschen sofort auf. Denn er
trug das ordensübliche Kleid der franziskanischen
Ordensgemeinschaften, den braunen Habit, die
Kutte des Heiligen Franziskus. Er versteckte sich
nicht! Er zeigte Farbe! Farbe tragen, heißt Farbe
bekennen. Dieser Pater bekannte sich und legte in
der Gesellschaft ein öffentliches Bekenntnis ab.
Das machte Eindruck, auch auf mich. Respekt vor
diesem Mann, so dachte ich.
Daher ging ich auf den Pater zu und begann das
Gespräch mit ihm. Sein Gesicht strahlte genau das
aus, was man hinter ihm vermutete: Friede,
Freude, Glück, Güte, Menschenfreundlichkeit. Für
mich war klar: Von ihm bekomme ich keine
"Kapuziner-Predigt" zu hören! Danach sah der
Pater nicht aus. So spürte ich sofort, von ihm war
Verständnis für alles Menschliche, auch für alles
Allzumenschliche zu erwarten. Daher fragte ich
den Pater, woher er komme, wo er stationiert sei.
Seine Antwort war: Er komme vom Kapuzinerklo-
ster Frankfurt am Main. Dieses liege im Schäfer-
gäßchen Nr. 3, ganz in der Mitte der Stadt Frank-
furt, unweit der Hauptwache, dicht neben der Zeil,
der Hauptstraße der deutschen und wohl auch
bald der europäischen Finanz- und Wirtschaftsme-
tropole.
Als ich die Frage stellte, was er dort den ganzen
Tag mache, kam die spontane Antwort: Er sei dort
der Haupt- Beichtvater und sitze die ganze Woche
von morgens bis abends im Beichtstuhl. Auf mei-
nen Einwand: "Da bekommen Sie aber viel zu hö-
ren" kam sofort die zurechtweisende Entgegnung:
"Sagen Sie dies nicht! In Frankfurt und Umgebung
gibt es etwa 200 Heilige!" Darüber wunderte ich
mich, denn in den Seitenstraßen, die von der Zeil
abgehen, liegen die vielen Unterhaltungs- und
Vergnügungszentren der Stadt Frankfurt. Doch
dies wußte der Pater auch. Er mußte aber auch
wissen, daß trotz einer solchen Umgebung heilig-
mäßig lebende Menschen in Frankfurt ihrem Beruf,
ihrem Auftrag, ihrer Lebensaufgabe nachgehen
und dieses in einem besonders schwierigen und
gewiß nicht leichten Lebensumfeld.
Wenn es in Frankfurt 200 Heilige gibt, dann gibt es
Heilige auch in Köln, in Hamburg, in Berlin, in
Leipzig, in München, in Wien, in Zürich und sicher
auch in Basel. Einer dieser modernen Heiligen in
Basel war - das darf man annehmen und man liegt
damit sicher nicht ganz falsch in der Beurteilung -
der Physiker und Chemiker Professor Dr. phil. Max
Thürkauf.
1925 in Basel geboren wurde Max Thürkauf in sei-
ner Heimatstadt getauft und in die katholische Kir-
che aufgenommen. Doch sein Lebensweg war
nicht vorprogrammiert. Es war kein gerader, kein
kontinuierlicher. In seinem Leben gab es Umwege,
Abweichungen vom Ziel jedweden menschlichen
Lebens. Schließlich kam es, wie so oft bei Natur-
wissenschaftlern und bei Wissenschaftlern über
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
?
m.^.
i
'" 1
1
'{9
i
m
>,
■^
L^
^
p
^^^^^H
*A
i
^Mj-
m
1
% .'^1
m
L
•w-
L.
wM
■m
\i ■■;■■.-
haupt, zum Glaubensverlust, zum Bruch mit der
Kirche und zum Austritt aus der katholischen Kir-
che. Daran änderte auch der Schmerz, den er sei-
nen Eltern damit bereitete, nichts. Und auch die
Heirat mit der im benachbarten Freiburg i.Br. gebo-
renen Schauspielerin Inge Hugenschmidt ver-
mochte daran nichts zu korrigieren.
Wie so viele Wissenschaftler, insbesondere Na-
turwissenschaftler, glaubte auch Prof. Thürkauf nur
an das Beweisbare, das exakt Erklärbare, das
Meßbare. Er glaubte nur an den menschlichen
Verstand, dem allein die Erkenntnis der Wahrheit
und vor dem Erkennen dieser der Primat des Han-
delns zukomme. Prof. Thürkauf wurde und war
lange Zeit seines Lebens Pragmatiker. Ihn interes-
sierte nur das Machbare. Wie Max Scheler (1874-
1928) lehrte, war auch bei ihm neben dem Geist
der Drang zum Erreichen wissenschaftlichen Fort-
schritts ein Prinzip des Weltprozesses und der
menschlichen Lebensgestaltung, auch das seines
eigenen Lebens. Der Pragmatismus wurde und
war lange Zeit Inhalt seines Lebens. Sein For-
schen galt daher allein dem Nutzbarmachen, den
praktischen Anwendungsmöglichkeiten der For-
schungsergebnisse und des Erkennens physika-
lisch-chemischer Prozesse. Damit hatte Prof.
Thürkauf große wissenschaftliche Erfolge zu errei-
chen vermocht. So war er ganz befangen in seiner
Wissenschaft und ein Gefangener der Chemie und
der Physik. Darüber hinaus vermochte er nichts
mehr zu erkennen. In seiner Befangenheit strebte
er auch gar nicht danach. Er war wie geblendet, er
war blind für alles, was noch über Chemie und
Physik stehen konnte. Was Augustinus (354-430
n.Chr.), der größte christliche Platoniker und Be-
gründer einer großartigen und der ersten christli-
chen Anthropologie, schon im 4. Jahrhundert sa-
23
I
gen konnte "Immer, wenn ich nicht mehr verstehen
l<ann, ist Gott", das war für* Prof. Thürl^auf Jahr-
zehnte seines Lebens hindurch ein völlig fremdes
Denken. Zur Religion hatte er keinen Bezug. Doch
es sollte anders kommen.
Prof. Thürkauf fing ganz unten an in seiner berufli-
chen Laufbahn. Er verließ mit 15 Jahren die
Schule und trat als Laborgehilfe in eine der chemi-
schen Fabriken seiner Heimatstadt ein. Die Arbeit
als Laborgehilfe befriedigte ihn nicht. Er wollte
weiterkommen, sein Wissen erweitern und nicht
nur Routinearbeit leisten. Daher besuchte er die
letzten drei Jahre seiner immerhin siebenjährigen
Fabrikarbeitszeit ein Abendgymnasium und erwarb
sich die Hochschulreife. 1948 als 23-Jähriger be-
gann er an der Universität Basel das Studium der
Chemie und Physik. Doch als Student verlor erden
Glauben seiner Kinder- und Jugendzeit und - kon-
sequent, wie er war - trat er auch aus der Kirche
aus. Sein wissenschaftlicher und beruflicher Auf-
stieg ging aber rasch nach oben. Max Thürkauf
wurde nach seiner Promotion zum Dr.phil. und
nach seiner Habilitation Professor für physikalische
Chemie an der Universität Basel. Als solchem ge-
lang ihm die Herstellung von schwerem Sauerstoff,
was 1963 zur Verleihung des Ruzicka-Preises
führte.
Prof. Thürkauf war auch Miterfinder einer Anlage
zur Gewinnung von schwerem Wasser. Die Folgen
der Entwicklung dieser Anlage - sie half Frankreich
zur Entwicklung und zur Herstellung seiner ersten
Atombombe - waren es auch, die bei Prof. Thür-
kauf zu der Einsicht führten, daß es keine Wert-
freiheit, auch physikalisch-chemischer Forschung
gibt und daß es eine Mitverantwortung der For-
schung und des Forschers für mögliche bedrohli-
che Folgen ihrer Ergebnisse am Leben und an der
Gesundheit vieler Menschen gibt.
Als Frankreich in der Wüste Sahara seine erste
Atombombe zündete, an deren Entwicklung Prof.
Thürkauf maßgeblich beteiligt war, schlug auch für
ihn seine "Damaskus-Stunde". Wie einst vor Da-
maskus dem Saulus, dem Zeltemacher aus Tarsus
an der Südküste der heutigen Türkei, so fiel es
beim Aufblitzen der Sahara-Bombe auch Max
Thürkauf "wie Schuppen von seinen Augen, und er
sah wieder" (Apg. 9,18). Auch "er stand auf" (Apg.
9,18), glaubte wieder und bekehrte sich zum Glau-
ben seiner Jugend. Er kehrte um in einer Radika-
lität, wie sie nur Heiligen eigen ist, und gab alles
auf, was er besaß: Seinen Lehrstuhl an der Uni-
versität Basel, seinen materiellen Besitz, seine so-
ziale Absicherung. Wie aus dem Zeltemacher aus
Tarsus der größte Theologe aller Zeiten und der
Völkerapostel Paulus wurde, so wurde aus dem
Professor für physikalische Chemie an der Univer-
sität Basel ein Bekenner, ein Künder der Wahrheit,
daß es keine wertfreie Wissenschaft gibt, keinen
"Deus ex machina", daß es keine Technokratie
geben darf, sondern nur die moralische Verant-
wortung gegenüber Gott, die Verantwortung, die
nie abgeschoben werden kann und die nicht auf
andere delegiert werden darf. Wie Franziskus, dem
größten Heiligen aller Zeiten, war es von nun ab
Max Thürkauf klar, "daß er sein bisheriges Leben
auf Nichtigkeiten aufgebaut, daß er seine Jugend-
jahre spielerisch vertan hatte und sich schämen
müsse vor den Großen der Geschichte und vor
Gott (Hl. Franziskus von Assisi von Hans Hümme-
ler in "Helden und Heilige", Siegburg 1964). Max
Thürkauf kehrte daher nicht nur in äußerster Uner-
bittlichkeit um, er lebte von nun ab nur in aller-
größter Bescheidenheit, verzichtete wie Franziskus
auf alle Annehmlichkeiten des Lebens und bezog
eine karge Wohnung im Dachgeschoß eines ho-
hen Mietshauses in Basel, die er erst gegen Ende
seines Lebens, von schwerer Krankheit gezeich-
net, gegen eine nicht minder bescheidene Woh-
nung in Weil am Rhein auf der Basel gegenüber
liegenden Rheinseite vertauschte.
Max Thürkauf starb in Weil am Rhein am Tag des
Heiligen Stefanus 1993 nach einer langen und
schweren Leidenszeit in seinem neunundsechzig-
sten Lebensjahr. Er wird, dessen dürfen wir sicher
sein, weiterleben bei Gott, für den er die letzten
Jahre seines Lebens als unerschrockener Beken-
ner sich selbst verzehrte, er wird weiter leben in
den über zwanzig Büchern und sonstigen Veröf-
fentlichungen, die er rastlos geschrieben hat, er
wird weiterleben bei den unzähligen Zuhörern sei-
ner fast pausenlosen Vorträge in ganz Europa, er
wird aber auch weiterleben in den Herzen vieler
Freunde und Anhänger, die ihm ein dankbares An-
gedenken bewahren. Zu ihnen zählen ganz be-
sonders die Mitglieder der Europäischen Ärzteak-
tion in den deutschsprachigen Ländern.
Alfred Häußler
Die Europäische Ärzteaktion verlor mit unserem
verehrten Professor Max Thürkauf nicht nur einen
großen Wissenschaftler, sondern einen wahrhaften
Zeugen (Professor) für die ganze Wahrheit und
Wirklichkeit unserer menschlichen Existenz. Er
verkörperte jene Synthese des exakten Wissen-
schaftlers, der die materiellen Grundlagen unserer
Welt bis in die letzten physikalischen und chemi-
schen Gesetzmäßigkeiten von ihrer äußeren Er-
scheinung her "objektiv" wissenschaftlich erkannte
und der doch andererseits die Frage nach dem in-
neren Wesen der Schöpfung und des Menschen
mit ungewöhnlicher Vollmacht damit "komplemen-
tär" verbunden hat.
Er war deshalb ein wahrhafter Prophet für unsere
Zeit, für dessen Hilfe und Freundschaft wir nicht
genug danken können. Die Floskel, die man heute
gemeinhin gebraucht, "Wir werden ihm ein ehren-
des Andenken bewahren" trifft in seinem Fall für
uns nicht zu. Nein, wir alle sind mit verantwortlich,
daß sein Wort und seine Botschaft nun, nachdem
sie durch seinen Tod das Siegel des Unvergängli-
chen erhielt, nicht nur ein schönes Andenken wird,
sondern durch seine Bücher, Schriften, Tonband-
und Videokasetten erst zur vollen Wirkung kommt.
Für sein Sterben gilt jenes Wort aus der Offenba-
rung des Apostel Johannes im vollen Sinne:
"Und ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir
sagen: Schreibe: Selig sind die Toten, die in dem
Herrn sterben von nun an. Ja, spricht der Geist, sie
sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke
folgen ihnen nach. Off 14, 13"
Wir verneigen uns vor diesem großen Toten in
Dankbarkeit und Verehrung und nehmen teil an
dem Schmerz um den unersetzlichen Verlust, den
seine liebe Frau durch seinen Heimgang erlitten
hat.
Im Namen der Europäischen Ärzteaktion
Dr. med. Siegfried Ernst, I.Vorsitzender.
24
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Prof.Dr.med. Hans-Bernhard Wuermeling .^^t
Zusammenhang von Friedensgesinnung und Abtreibung
S
Mit seinem Anfang - und nicht erst durch seine
Geburt - ist ein IVIensch biologisch als Mensch ge-
kennzeichnet und von allem anderen Lebendigen,
sei es vormenschlich (z.B. Ei und Samenzelle), sei
es nichtmenschlich wie Pflanze und Tier, klar un-
terscheidbar. Er ist nicht mehr ein verfügbares Et-
was, sondern ein unverfügbarer Jemand. Natürlich
gewinnt er vorgeburtlich erst mit der Zeit die un-
verwechselbare Gestalt eines Menschen. Ebenso
bildet er ja auch nach seiner Geburt erst mit der
Zeit jene Besonderheiten aus, die den vollendeten
Menschen etwa mit Freiheit, Verantwortung oder
Kommunikationsfähigkeit auszeichnen: Aus der
bereits existierenden Person wird vor und nach der
Geburt immer mehr die erfahrene und erfahrbare
Persönlichkeit. Person aber ist bereits das Wesen,
hinter dem mehr steckt, als der erste Anschein
vermittelt, nämlich eben ein Jemand, der sich sel-
ber Zweck ist und damit niemandes anderen blo-
ßes Mittel sein darf.
Es gibt nun zwei innere Einstellungen, mit denen
Menschen andere Menschen töten. Oft gehen sie
ineinander über. Die eine versucht, das Töten zu
rechtfertigen. Die andere fragt gar nicht erst nach
Rechtfertigung.
Der Rechtfertigungsversuch besteht darin, den zu
Tötenden als Nicht-Menschen zu deklarieren. So
bezeichnete der Psychiater Hoche Geisteskranke
als "leere Menschenhülsen", um sie einer unerbe-
tenen, schönfärberisch als "Euthanasie" (= schö-
ner Tod) bezeichneten Tötung unterziehen zu kön-
nen. So bezeichneten die Nationalsozialisten die
Juden als "Untermenschen", um den an ihnen in-
dustriell vollzogenen Massenmord zu rechtfertigen.
So sprachen die europäischen Eroberer Amerikas
den dort lebenden Indios das Menschsein ab, um
sie rücksichtslos ausbeuten und ausrotten zu kön-
nen. Nach dem gleichen Muster wird noch nicht
geborenen Menschen unter Hinweis auf ihre Un-
vollkommenheit die Eigenschaft Mensch abge-
sprochen. Das geschieht mittels primitiver - und
besseres Wissen unterdrückender - Beschreibung
ihrer Gestalt ("himbeerähnliches Gebilde") oder
aber auch durch wunschgeleitete Deutung ihrer
Lebensphase ("reiner Bestandteil des weiblichen
Körpers").
Besonders raffiniert ist es, dem Ungeborenen die
Qualität Mensch deswegen abzusprechen, weil
und solange er noch nicht von Menschen akzep-
tiert sei. Auf diese Weise wird die Zugehörigkeit zu
dem geschützten Kreis der Menschen nicht mehr
ganz einfach vom Dasein abhängig gemacht, son-
dern von einer jeweils angeblich erforderlichen be-
sonderen Aufnahme in diesen Kreis von denen, die
sich schon darin befinden. Das kommt der Auslie-
ferung des Menschen an die Willkür derjenigen
gleich, die - wie auch immer - das Sagen haben.
In jedem Falle wird der Nicht-Mensch, der Noch-
nicht-Mensch oder der Nicht-mehr-Mensch zur
Disposition gestellt und zum Töten freigegeben.
Bei diesen Ausgrenzungsversuchen wird das Ver-
bot, Menschen zu töten, im Grunde immer noch
als gültig angesehen. Darum wird ja im Einzelfall
versucht, diese Gültigkeit unter Hinweis auf die
Nicht-Mensch-Eigenschaft des zu Tötenden zu be-
streiten. Daneben gewinnt immer mehr eine primi-
tivere Einstellung zum Töten an Bedeutung, die
besorgter Beobachtung bedarf.
Diese fragt einfach nicht mehr nach Menschsein
oder nicht, sondern sie folgt rücksichtslos eigenen
Interessen. Oft tarnt sie gewöhnlichen Egoismus
mit dem Wort Selbstverwirklichung.
Ausgangspunkt ist der Konflikt, den die Existenz
eines Kindes hervorruft, für den eigenen Lebens-
plan, wirtschaftlich oder auch in der Partnerbezie-
hung. Der Konflikt wird durch die Beseitigung des
Konfliktgegners erledigt. Das geht leicht, weil der
Staat Abtreibung nicht oder nicht nachhaltig ver-
folgt, gar ein Recht darauf verleiht, wie die ehema-
lige DDR, oder Abtreibung für Minderbemittelte
durch Sozialhilfe finanziert (wie gegenwärtig in der
Bundesrepublik). Das geht auch deshalb leicht,
weil viele Menschen so "kleine" und im mehr oder
weniger privaten Bereich sich vollziehende Tötun-
gen hinzunehmen bereit sind.
Im Grunde ist aber damit ein Handlungsmuster
gutgeheißen, das mit dem friedlichen Zusammen-
leben der Menschen unvereinbar ist. Es besteht
darin, Konflikte eben durch Beseitigung des Kon-
fliktgegners zu lösen. Da dies natürlich immer nur
dem Stärkeren gelingt, ist dieses Handlungsmuster
die Verwirklichung des Rechtes des Stärkeren.
Das Recht des Stärkeren wird mit dem Verweis auf
"die Natur" begründet, in der es ja auch herrsche -
und sogar zu einem Grundprinzip der Evolution
alles Lebendigen geworden sei: "Survival of the
fittest", das Überleben des Stärkeren, habe die
Selektion der Besten aus der allgemeinen Masse
ermöglicht. In der Form des Sozialdarwinismus,
also der primitiven Übertragung natürlicher Vor-
gänge auf das Sollen des Menschen, ist diese
Auffassung politisch umgesetzt und hat im Natio-
nalsozialismus organisiert Gewalt vor Recht ge-
setzt, was in millionenfachem Morden endete.
Von dem Augenblick an, in dem der Mensch nicht
mehr nur Bestandteil der Natur und ihr ausschließ-
lich unterworfen war, sondern darüber hinaus
(meta-physisch) zum Zweck seiner selbst wurde,
wie auch immer dies geschehen sein mag, gab es
mehr als das Recht des Stärkeren. Es gab die Er-
fahrung der Friedenssehnsucht und ihr entspre-
chend die Pflicht zum Frieden. Friedlich zu handeln
heißt nun aber zuallererst, Konflikte nicht durch
Beseitigung des Konfliktgegners zu erledigen.
Wollte man das nämlich zulassen, so wäre alle
Form menschlicher Gemeinschaft, ja jedes Zu-
sammenwirken von Menschen durch die Möglich-
keit sittlich vertretbaren Tötens vergiftet.
Weil das Tötungsverbot so grundlegend wichtig für
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
25
das Zusammenleben der Menschen ist, muß es
auch in echten oder vermeintlichen Grenzberei-
chen sorgsam hochgehalten werden. Wo sich
aber, wie in der Abtreibungsfrage, eine Gesinnung
breitmacht, aus der heraus Konfliktgegner, kleine
und deshalb schwache, einfach beseitigt werden,
neigt eine solche Gesinnung dazu, sich auch auf
andere Gebiete auszubreiten. Dem ist durch Er-
ziehung zur Friedensgesinnung und mit Mut zur
Ethik entgegenzutreten.
Die Praxis der Abtreibung und mehr noch ihre viel
weiter verbreitete Duldung erodiert aber heimlich
die lebensnotwendige Friedensgesinnung unter
den Menschen und eröffnet uns, wenn wir dies
nicht erkennen und aufklärend und erzieherisch
darauf antworten, geradezu unheimliche Aspekte:
den Krieg aller gegen alle.
Gerade die, die sich mit bestem Willen und allem
Engagement für den Frieden einsetzen, dürften für
diese Überlegung ansprechbar sein und sollten
damit angesprochen werden. Friede ist nicht Na-
turgegebenheit, sondern Kulturleistung und nicht
nur physisch, sondern auch intellektuell bedroht.
Prof. Dr. med. Hans Bernhard Wuermeling ist
Lehrstuhlinhaber für Rechtsmedizin an der Univer-
sität Erlangen - Nürnberg und Direktor des ge-
richtsmedizinischen Institutes dieser Universität
Zum BVG - Urteil vom 28.5.93
Am Recht Maß genommen -
aber Lebensschutz-wirksam?
Eine Besprechung des damals noch mit Spannung
erwarteten zweiten Urteils des Bundesverfas-
sungsgerichtes in Sachen Lebensrecht (nach sei-
nem eindeutigen, aber jahrelang unterlaufenen
Urteil vom 25.2.74) erfolgt erst mehr als neun Mo-
nate später, weil abgewartet werden sollte, ob es
denn im Ergebnis diesmal nicht als zweideutig ab-
getan werden muß. Jetzt nach der 1. Lesung der
erneut notwendig gewordenen Gesetzesentwürfe,
die noch aufgrund verbaler Disziplin an den Bun-
destagsausschuß "Schutz des ungeborenen Le-
bens" (vor den schon am 15.11.1991 ein Abtrei-
bungsmediziner sich berühmen konnte, er habe
seit 1980 zweiunddreißigtausend Schwanger-
schaftsabbrüche durchgeführt) zur Weiterberatung
überwiesen wurden, ist die Zeit gekommen für eine
ausreichend schlüssige Beurteilung der Lebens-
rechtssprüche vom 28.5.93 aus Karlsruhe.
Immerhin: Das Töten eines im Mutterleib nurmehr
heranwachsenden Kindes ohne den zureichenden
Grund einer noch so windigen Indikation ist
rechtswidrig und darf von der Gesetzlichen Kran-
kenkasse nicht finanziert werden. Zweitens ist das
vom BVG jetzt ermöglichte Nur-Beratungs-Modell,
nachdem vom Gesetzgeber das Beratungs- und
Indikationsmodell weder im Gesetz noch schon gar
in der Praxis nie ernsthaft in geltenes Recht um-
gewandelt wurde, diesmal ausdrücklich ein Modell
auf Probe. Das Gericht hat öffentliche Beobach-
tung durch das Statistische Bundesamt angeordnet
und erwartet im Versagensfall Nachbesserung.
Drittens lesen sich die Seiten 119 bis 129 (nach
dem vom Gericht verteilten Originalabdruck) weit-
hin als Ärzteschelte und fordern - nochmals her-
ausgehoben im Leitsatz 13 zum Urteil - eine ge-
setzliche Regelung, die sicherstellt, daß vom "Arzt"
eine Lebensschutzfunktion ausgeht, womit die der-
zeit herrschende Meinung, nunmehr liege die sog.
Letztverantwortung bei der Frau, so nicht richtig
ist, denn: "Der Arzt darf einen verlangten Schwan-
gerschaftsabbruch nicht lediglich vollziehen, son-
dern hat sein ärztliches Handeln zu verantworten"
(S. 119). Der Arzt ist also offiziell kein Erfüllungs-
gehilfe des Verlangens, ein nichtangreifendes indi-
viduelles Menschenleben im Mutterleib zu töten.
Kann ein Arzt, der in mehr als 25 Jahren von sei-
nen Kollegen immer wieder zu ihrem Interessens-
vertreter gewählt wurde und in dieser berufsent-
scheidenden Frage nicht nur immer Recht hatte,
sondern sogar vom obersten Gericht seines Lan-
des zweimal (1974 u. 1993) recht bekam, denn
noch eigentlich mehr verlangen? - Nein! - es sei
denn, es handelt sich um einen Deutschen, dessen
Landsleute seit nun bald 50 Jahren einer latenten
Kollektivscham, aber auch Schuld an tödlichen
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind und
von dem - wie von jedem verantwortlich Tätigen -
Zivilcourage verlangt wird bei elementaren Verstö-
ßen der Stärkeren gegen das Lebensrecht der
Schwächeren, noch dazu als Angehörigem eines
Berufsstandes, der einem Tötungsauftrag gegen-
über diametral entgegengesetzten Heilungsauftrag
verpflichtet ist und daher die Einbindung seines
Berufsstandes in ein gesetzliches Tötungssystem
nicht hinnehmen kann. Gerade an diesem Punkt
der Fremdbestimmung eines ganzen Berufsstan-
des entsteht m.E. die Pflicht für jeden berufsord-
nungsgemäß handelnden Arzt zum Widerstand,
denn aus den strafgesetzlich verankerten Verwei-
gerungsrecht des Arztes, bei einer ohne jede Indi-
kation verlangten Abtreibung mitwirken zu sollen,
folgt zwingend die Verweigerung der Kollegialität
mit dem berufsmäßigen Abtreiber, der nicht nur -
wie vom Bundesverfassungsgericht zutreffend so
qualifiziert - ständig rechtswidrig handelt, sondern
ausschließlich vom Töten lebt. Darüberhinaus
sollte die Ärzteschaft alles tun, daß die approbier-
ten Abtreibungsmediziner aus der verfassten Ärz-
teschaft entlassen und in einer staatlich konzes-
sionierten Berufsgruppe der Schwangerschaftsab-
brecher organisiert werden (Lebensbeendigerkam-
mer). Denn es beschränkt zwar in unserer eng
verflochtenen Gesellschaft die Erweiterung des
Freiraumes von A automatisch den Freiheitsraum
von B, aber dies darf doch nicht mit gleicher Kon-
sequenz zum ethischen Bankrott eines vormals
hochstehenden Berufsstandes führen können.
Nachlesenswert hat das Bundesverfassungsge-
richt am Recht auf Leben und den daraus folgen-
den Rechten Maß genommen, aber dann doch der
staatlichen Verpflichtung zum Lebensschutz der
26
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Schwächeren - woraus jeder Rechtsstaat seine ei-
gentliche Existenzberechtigung herleitet - keine
begehbare Brücke gebaut, sondern den staatlichen
Lebensschutz de facto ausgehebelt. Allein die
Feststellung des BVG auf S. 175 seines Urteils
vom 28.5.93...",daß der Staat zur Verwirklichung
des Schutzkonzepts für das Bereitstehen ärztlicher
Hilfe zum Abbruch der Schwangerschaft in einer
Entfernung zu sorgen hat, die von der Frau nicht
die Abwesenheit über einen Tag hinaus verlangt",
bedeutet realiter den Vorrang staatlicher Fürsorge
für flächendeckende Versorgung mit Tötungsein-
richtungen vor jeder staatlichen Lebensschutz -
Anstrengung, die zur Privatsache gemacht wird. In
diesem Zusammenhang ist die Auffassung des zu-
ständigen juristischen Sachbearbeiters der Bayeri-
schen Staatsregierung, Herrn Ministerialrat Ger-
hard Hoisl, von elektrisierendem Interesse, nach
dem der Freistaat den ausschließlichen Abtreibern
für die Einrichtung ihrer privaten Einrichtungen
noch dankbar sein müßte, weil der Staat sonst sol-
che Abtreibungsmühlen selber zu schaffen hätte.
Bei dieser Sachlage vermag die wohlmeinende
BVG - Kennzeichnung "Verwirklichung des
Schutzkonzeptes" nicht mehr zu beruhigen, denn
hier wird die staatliche Schutzpflicht doch an
pflichtvergesse "Ärzte" delegiert, die selbst nahe
am Wohnort der Schwangeren nun einmal ihren
Lebensunterhalt mit Töten am Fließband bestrei-
ten.
So wird man fragen dürfen, ob dieses Konzept
nicht viel mehr eine bevölkerungspolitisch wirk-
same Abtreibungs-Routine "schützt" als etwa
wehrloses Menschenleben vor seinen unwilligen
Eltern. Und nach den Erfahrungen aus totalitärer
Vergangenheit in West und Ost sind "Schutzkon-
zepte", an denen interessierte Mediziner mitwirken,
nun einmal zu fürchten.
Dr. med. Ernst Th. Mayer
aus: HLI Reports Gaithersburg, USA Februar 1994
In Deutschland Abtreibung auf Wunsch
i.
Eine Stellungnahme von P.Dr. Paul Marx OSB,
dem Präsidenten von Human Life International
zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über
die Regelung der Abtreibungsgesetzgebung und
seiner Beurteilung durch führende Vertreter der
Katholischen Kirche in Deutschland und USA.
Über die Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richtes zur Abtreibung vom 27. Mai 1993 habe ich
mindestens 20 falsche Urteile gelesen. Kardinal
John O'Connor nannte sie (in seiner Diözesanzei-
tung) "Catholic New York" prächtig (magnificent),
Prälat Philip J. Reilly, Geschäftsführer der "Helpers
of God's Precious Children" (eines sich ausbrei-
tenden Hilfswerks für den Schutz ungeborener
Der Benediktiner und Soziologieprofessor Dr. Paul
Marx stieg vor 40 Jahren von seinem Lehrstuhl an
der St. John's University in Collegevill, Minnesota,
herab und übernahm die Aufgabe, überall in der
Welt, bisher in 77 Ländern, die von der internatio-
nalen Hochfinanz finanzierte Verhütungs- und Ab-
treibungskampange der "International Planned
Parenthood Organisation" und ihre Mythologie der
"Bevölkerungsexplosion" zu entlarven. Er ist der
Gründer und Leiter der "Human Life International" -
Organisation U.S.A. mit Filialen in verschiedenen
Ländern. Über seine weltweiten Erfahrungen und
von ihm organisierten internationalen Kongresse
geben seine Bücher "Confessions of a Prolife Mis-
sionary" und "Fighting for Life" sowie eine Reihe
periodischer Informationszeitschriften beredte
Auskunft. Papst Johannes Paul II. hat ihn gegen
alle Widerstände zur Fortführung des "guten
Kampfes" als der "wichtigsten Aufgabe der Ge-
genwart" ermutigt und bestärkt.
Kinder und ihrer Mütter in der Diözese Brooklyn),
pries sie (Vgl. Wanderer, S.Juli 1993). Der Heraus-
geber der (kath. Zeitschrift) "First Things" gab
ebenfalls einen falschen Bericht.
Ich möchte die Sache richtigstellen. Die kompli-
zierte 183-seitige Entscheidung läuft auf Abtrei-
bung auf Wunsch hinaus.
Kinder und ihrer Mütter in der Diözese Brooklyn),
pries sie (Vgl. Wanderer, S.Juli 1993). Der Heraus-
geber der (kath. Zeitschrift) "First Things" gab
ebenfalls einen falschen Bericht.
Mit einem Votum von 6 zu 2 hat das Gericht das
Abtreibungsgesetz von 1992, die sogenannte Fri-
stenregelung, teilweise für nichtig erklärt und eine
Übergangsregelung geschaffen, die bis zum Erlaß
eines neuen Gesetzes in Kraft ist. Danach wird
eine Abtreibung nicht bestraft, wenn sie innerhalb
der ersten 12 Wochen von einem Arzt vorgenom-
men wird, die Frau dies verlangt und mindestens
drei Tage zuvor eine Beratung stattgefunden hat,
die durch eine Bescheinigung nachgewiesen wird.
An der Fristenregelung kritisiert das Bundesverfas-
sungsgericht vor allem, daß Abtreibung unter den
vorgenannten Bedingungen "gerechtfertigt" sein
soll; sie könne dagegen nur "straffrei" sein. Das
Gericht stellt nun bereits zum zweiten Mal klar, daß
das menschliche Leben mit der Empfängnis be-
ginnt. Das allein sollte der deutschen Verfassung
entsprechend den vollen Schutz fordern
Die juristische Unterscheidung zwischen "gerecht-
fertigter" und "straffreier" Abtreibung ist beispiellos
in der Gesetzesgeschichte; sie ist vor allem for-
maler Natur und hat kaum einen Effekt auf die
hemmungslose Abtreibungspraxis. De facto be-
deutet sie Abtreibung auf Wunsch, denn für die
Schwangere und/oder den Arzt, der die Abtreibung
vornimmt, ist es entscheidend, ob sie Strafe zu er-
warten haben.
Das grundsätzlich Neue (weltweit) am Urteil des
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
27
L_
Gerichtes ist, daß es als verfassungsl^onform be-
zeichnet wird, die Schutzwirl^ung von Strafe durch
Beratung (und Hilfe) zu ersetzen. Damit hat das
oberste deutsche Gericht einen Paradigmenwech-
sel vollzogen: Beratung statt Strafe! Folgerichtig
müßte es dann verfassungsgemäß sein, die Eu-
thanasie aufgrund vorheriger Beratung straffrei zu
stellen. Prominente Juristen haben die Wider-
sprüchlichkeit und Einmaligkeit der Scharade des
Gerichts hervorgehoben.
Auch ist zu bedenken, daß wenn bei der Verlet-
zung des Höchstwertes Leben Strafe durch Bera-
tung ersetzt werden kann, dies prinzipiell auch bei
der Verletzung aller niedrigeren Güter und Werte,
z.B. Gesundheit, Eigentum, Ehe, Rede- und Ge-
wissensfreiheit, möglich wäre. Wenn ich z.B. ein
Auto stehlen möchte, könnte ich mir nach Beratung
eine Bescheinigung geben lassen, die mir einen
straffreien Diebstahl gewährt.
Da die Beratung die Strafe ersetzen soll, bestimmt
das Gericht, daß sie dem Schutz des Lebens zu
dienen habe. Darum muß der Berater für den
Schutz des Lebens eintreten, aber auch Methoden
der Geburtenkontrolle empfehlen. Der Bericht des
Beraters für den Arzt soll die Gründe für die ge-
wünschte Abtreibung enthalten und angeben, wel-
che Bemühungen zur Erhaltung des Lebens (Hilfe,
Information etc.) erfolgt sind.
Amtliche Beratungsstellen und Abtreibungsein-
richtungen dürfen weder organisatorisch noch wirt-
schaftlich miteinander verbunden sein. Personen
aus dem familiären Umfeld der Schwangeren, wel-
che die Schwangere zur Abtreibung zwingen oder
auch nur drängen, werden mit Strafe bedroht. So-
gar der abtreibende Arzt ist verpflichtet, alles zu
tun, was er kann, um die Schwangere zu überzeu-
gen (ihr Kind) nicht abtreiben zu lassen.
Der Schwangeren ist medizinische, soziale und ju-
ristische Information zu vermitteln. Es ist ihr be-
wußt zu machen, daß es sich bei der Abtreibung
um die Vernichtung eines menschlichen Lebens
handelt und dies Unrecht ist, jedoch "straffrei", falls
sie sich für Abtreibung entscheidet. Somit sagt das
Gesetz, "Nein, aber..."
Obschon die aufgrund der Beratung in den ersten
drei Monaten straffreie Abtreibung "Unrecht" bleibt,
wird der Frau die letztverantwortliche Entscheidung
und damit ein Herrschafts recht über das Leben
ihres ungeborenen Kindes zugesprochen.
Dementsprechend sollen die Beratungsstellen die
Beratung "ergebnisoffen" gestalten und die Ent-
scheidung der Frau in jedem Fall respektieren.
Sollte die Frau sich für die Tötung ihres Kindes
entscheiden, hat die Beratungsstelle ihr einen Be-
ratungsschein auszustellen, der das Kind zur
straffreien Tötung freigibt. Es ist offensichtlich, daß
eine solche gesetzlich festgelegte Straffreiheit
vermittelnde Beratung gegen christliche Grund-
sätze verstößt und von der katholischen Kirche
oder pro-life Gruppen nicht mitgetragen werden
kann.
Wenn der Arzt sich weigert, eine "unrechtmäßige"
Abtreibung, die durch eine mit Regierungsgeldern
unterstützte Beratung sanktioniert wird, durch-
zuführen, kann ihm gekündigt werden, wenn die
Klinik ihn nicht anderweitig beschäftigen kann.
Ferner erklärt das Gericht, gegen die Durchführung
der Abtreibung könne keine Nothilfe geleistet wer-
den. Somit hat auch der Vater kein legales Recht,
sein ungeborenes Kind vor der Vernichtung zu be-
wahren.
Das Gericht hat die normalerweise mit "unrecht-
mäßiger" Abtreibung verbundenen rechtlichen Fol-
gen beseitigt mit der Begründung, daß sie dem
Schutzkonzept der Beratung entgegenstünden.
Doch das Gericht hat nicht nur die von einem Arzt
in den ersten drei Monaten nach vorheriger Bera-
tung vorgenommenen Abtreibungen für "straffrei"
erklärt, sondern Abtreibungen aus folgenden
Gründen (sog. Indikationen) als "gerechtfertigt" be-
zeichnet:
aus medizinischen (Gesundheit und Leben),
kriminologischen (Vergewaltigung und Inzest) und
embryopathischen (genetischen Gründen). ^
Eine Beschreibung folgt: ■ b
Die "medizinische" Indikation
Falls nach dem Urteil des Arztes die schwangere
Frau in Gefahr einer schweren Beeinträchtigung
ihres körperlichen und seelischen Gesundheitszu-
standes oder ihres Lebens ist, darf der Arzt das
Kind abtreiben. Die Basis für die "medizinische In-
dikation" ist die Gesundheitsdefinition der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Gesund-
heit als "totales physisches, psychisches und so-
ziales Wohlbefinden" definiert. Wie die Erfahrung
zeigt, führt diese Indikation für sich allein bereits zu
Abtreibung auf Wunsch, weil es keinen objektiven
Maßstab für emotionale Gesundheit gibt. Falls eine
solche "medizinische Indikation" vorliegt, ist Ab-
treibung nach dem Gesetz nicht nur straffrei, son-
dern sogar "gerechtfertigt", und zwar vom Beginn
der Schwangerschaft an bis zu den Eröffnungswe-
hen. Der Arzt kann, wenn eine "medizinische Indi-
kation" vorliegt, die Abtreibung nur dann verwei-
gern, wenn er einen anderen Arzt findet, der bereit
ist sie durchzuführen. Natürlich kann man alle an-
deren Indikationen in diesen Gesundheitsbegriff
unterbringen.
Die "embryopathische" Indikation
Wenn ein ungeborenes Kind eine ernste Behinde-
rung hat, die durch medizinische Hilfe nicht geheilt
werden kann, darf eine Abtreibung bis zur 22. Wo-
che nach der Empfängnis durchgeführt werden.
Das wird "embryopathische Indikation" genannt. Es
ist die gleiche Indikation, die in dem vorherigen
Gesetz "eugenische" genannt wurde. Warum än-
derte man den Namen? Offenbar möchte man jede
Implikation oder Erinnerung an die eugenische Na-
zivergangenheit vermeiden, da die Deutschen in
dieser Beziehung höchst sensibel sind. Nach der
kürzlichen Entscheidung eines niedrigeren Ge-
richts ist ein Arzt, der eine Behinderung des Kindes
nicht entdeckt oder darüber die Schwangere nicht
informiert, finanziell verantwortlich für dieses
"fehlerhafte" Leben.
Das Bundesverfassungsgericht sagt weiter, der
Schaden des Kindes müsse ernsthaft sein, doch
entscheidend ist, ob die Frau glaubt, den vermute-
ten oder tatsächlichen Schaden des Kindes nicht
ertragen zu können. Das wirft die Frage auf:
Warum nicht auch töten nach der Geburt, wenn
das Kind einen Defekt hat, der vorher nicht festge-
stellt wurde? Die Zulassung dieser Indikation durch
das Gericht ist viel kritisiert worden.
28
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
1
)
J
Die "kriminologische" Indilotion
Wenn der Arzt davon überzeugt ist, daß die
Schwangere vergewaltigt wurde oder ein Opfer
von Inzest ist, darf eine Abtreibung vorgenommen
und natürlich von der Krankenkasse bezahlt wer-
den, jedoch nur während der ersten drei Monate.
Man kann sicher sein, daß in Deutschland ziemlich
leicht Vergewaltigung als Grund für Abtreibung an-
gegeben wird, wie es in Colorado geschah, als
dieser Staat als erster Vergewaltigung als Recht-
fertigung für die Abtreibung erlaubte.
Das Gericht erklärt, falls eine dieser Indikationen
vorliegt, ist Abtreibung nicht nur "straffrei", sondern
sogar "gerechtfertigt. Das ist unverhüllte Abtrei-
bung auf Wunsch und erinnert an die Erklärung der
Starabtreiberin aus Minnesota, Dr. Jane Hodge-
son. Als sie gefragt wurde, wann ein medizinischer
Grund für Abtreibung vorliege, antwortete sie:
"Jedwede Frau, die Abtreibung wünscht, hat einen
medizinischen Grund."
Bei der vorherigen Abtreibungsregelung war es
noch zweifelhaft, ob Abtreibungen aufgrund von
Indikationen "gerechtfertigt" sind. Doch nun gibt
das Gericht an, daß eine Abtreibung juristisch
"gerechtfertigt" sei, wenn eine der genannten Indi-
kationen vorliegt. Das Gericht begründet die
Rechtfertigung damit, daß dann die für die Frau
zumutbare Belastungsgrenze überschritten sei.
Auch wird auf die einzigartige Verbindung zwi-
schen der Mutter und dem ungeborenen Kind hin-
gewiesen und darauf, daß die Frau jahrelang für
das Kind zu sorgen habe.
Warum sollte eine erwachsene Tochter, die für ihre
alte und kranke Mutter zu sorgen hat, dann nicht
auch zwecks Euthanasie aus dem gleichen
Grunde auf die einzigartige Verbindung und die sie
erwartende jahrelange Belastung hinweisen kön-
nen?
Über alle Abtreibungen sollen Statistiken geführt
werden. Das Gericht ermächtigt den Staat, dafür
zu sorgen, das ausreichend und leicht zugängliche
und flächendeckende Kliniken und ambulante Ab-
treibungseinrichtungen vorhanden sind.
"Abtreibungsdienste" müssen innerhalb von 24 Ki-
lometern zur Verfügung stehen. Welche Möglich-
keiten für die deutsche Planned Parenthood, eu-
phemistisch "Pro Familia" genannt. Sie hat den
weitaus größten Anteil an bezahlter Beratung.
Die nationalen Gesundheitsdienste bezahlen für
Abtreibung nur, wenn eine der genannten
Indikationen vorliegt. Wenn eine bedürftige
Schwangere in den ersten 3 Monaten nach straf-
befreiender Beratung (ohne Vorliegen einer Indika-
tion) abtreiben will, kann sie Sozialhilfe in An-
spruch nehmen. Sie kann auch von ihrem Arbeit-
geber verlangen, daß er ihren Lohn weiterbezahlt,
falls sie arbeitsunfähig ist.
Es ist unglaublich, daß der Vorsitzende der Deut-
schen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann,
diese Entscheidung des Gerichts als ein "histori-
sches" und "wegweisendes" Ereignis begrüßt hat.
Der wahre Gewinner sei der Mensch, sagte der Bi-
schof befremdlicherweise (Deutsche Tagespost, 2.
Juni 1993).
Auch ist es unbegreiflich, daß Lehmann vorschlug,
die katholische Kirche solle im staatlichen
Schwangerenberatungssystem verbleiben. Er
sagte, die Kirche werde wohl, was die Vorschriften
für die Beratung angehe, "an einigen Stellen ei-
gene Wege gehen", doch "dies verbiete nicht, daß
die Beratungsstellen in dem (vom Bundesverfas-
sungsgericht) neu geschaffenen Rahmen ihre Tä-
tigkeit ungehindert und mit voller Kraft fortsetzen"
(DT. 19. Juni 1993). Demgegenüber ist zu bemer-
ken, daß die Kirche, wenn sie an der gesetzlichen
Schwangerenberatung teilnimmt, auf den oben an-
gegebenen Inhalt des Gesetzes verpflichtet ist.
Vor der Verabschiedung des Fristenregelungsge-
setzes am 1 1 . Juli 1992 hatte Lehmann sich ge-
genteilig geäußert: "Die Beratungsstellen können
sich nicht in ein Verfahren einbinden lassen, daß
die Ausstellung einer Beratungsbescheinigung zu
einer wesentlichen Voraussetzung für die straffreie
Tötung eines ungeborenen Menschen macht". Wo
bleibt die konsequente Reaktion? Auch die Präsi-
dentin des Zentralkomitees der deutschen Katholi-
ken (ZdK), Rita Waschbüsch, ist der Ansicht, daß
die Kirche auch nach dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts in dem staatlichen Beratungssy-
stem verbleiben solle. "Die Kirche versucht,
Frauen zu helfen und zu unterstützen, ohne deren
selbständige Entscheidung (gemeint ist für oder
gegen Abtreibung) zu beeinflussen " (DT
2.6.1993).
Die deutschen kirchlichen Beratungsorganisatio-
nen Caritas, Sozialdienst katholischer Frauen und
der katholische deutsche Frauenbund dürften
keine Schwierigkeiten haben, bei der vom Bundes-
verfassungsgericht vorgegebenen Beratung mit-
zuwirken und dadurch Straffreiheit für Abtreibung
zu vermitteln, denn es ist ihr Grundprinzip die selb-
ständige Entscheidung der schwangeren Frau zu
respektieren. Für sie ist König das ungeformte
"Gewissen".
Erzbischof Johannes Dyba von Fulda hat sich ge-
weigert, die neue Beratungsregelung mitzuma-
chen. Seine Diözese wird keine Bescheinigungen,
die straffreie Abtreibung ermöglichen, ausstellen.
Er hat sein eigenes Erziehungs-, Beratungs- und
Hilfs-programm zur Rettung von Babys errichtet.
"Wir werden beraten wie nie zuvor, aber (nur) für
das Leben" sagte er. Kein schizophrenes Gesetz
für ihn! Ungleich anderen deutschen Bischöfen,
lehnt er es absolut ab, in irgendeiner Weise an der
Strafbefreiung und Erleichterung von Abtreibung
teilzunehmen. Deswegen bezeichnete ihn ein ho-
her Kirchenfunktionär als "out of his mind" (von
Sinnen).
Falls die niedrigen Geburtenraten anhalten, wird es
in 100 Jahren kein Deutschland mehr geben.
Goodbye, Germany! .
ii.-W'i
=ö4.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
29
aus idea, 10/94
Ein Kommentar von Christa IVleves
Jf'"'.-]r'''in'.
"Wer ist eigentlich andersrum?"
Wie die Jugend durcli staatliclie Broscliüren
manipuliert wird
Das ist nun fast sclnon ein reichlich alter Hut, der
seit 25 Jahren jedem BCirger unserer Republik
überzustülpen versucht wird: daß es zwecks
Glücksfindung vor allem darauf ankäme, Sex zu
haben - von der Wiege bis zur Bahre und in wel-
cher Form auch immer. Es habe alles die gleiche
Gültigkeit, ob promiskuitiv, ob polymorph-pervers,
ob bisexuell oder was auch immer. Aber hat das
Trommelfeuer der "gleichen Gültigkeit" so viel
Gleichgültigkeit bewirkt, daß wir hinnehmen, daß
unsere Jugend seit kurzem mit Hilfe höchster amt-
licher Dienststellen einer lebensgefährlichen Mani-
pulation ausgesetzt wird? Da taucht Aids als eine
neue tödliche Geschlechtskrankheit auf. Zunächst
waren es zu 85 Prozent Homosexuelle, die daran
sterben. Nach einigen Jahren mehren sich dann
auch die Zahlen angesteckter Frauen und infizier-
ter Kinder. Die Seuche verbreitet sich, ohne daß
ein Großteil der Infizierten davon weiß, denn oft
bleiben über lange Zeit (oft sogar bis zu zehn Jah-
ren) Symptome aus. Aber in dieser Zeit, kann der
HlV-Infizierte in zahllosen Fällen zum Überträger
der tödlichen Seuche werden.
Aids: Gigantischer Feldzug zur
Beschwichtigung
Unbegreiflicherweise reagierte die Regierung der
Bundesrepublik (im Gegensatz zur DDR übrigens!)
nicht mit einer Einbindung der neuen Krankheit in
das Seuchengesetz. Die frühere Bundesgesund-
heitsministerin Rita Süssmuth (CDU) trat der Un-
ruhe in der Bevölkerung vielmehr mit einem gigan-
tischen Beschwichtigungsfeldzug entgegen. Spots,
in denen Aids-Kranke von ihren Freunden geküßt
werden oder mit ihnen aus einer Tasse trinken,
flimmerten per TV in die Wohnzimmer. Statt der
Jugend angesichts der neuen Situation eine Ab-
kehr von der ihr bis dahin geradezu aufgenötigten
vorehelichen Intimbeziehung zu empfehlen und sie
zu warnen, schlug das Ministerium befremdliche
Wege ein. Nicht nur, daß - wie auch den Erwach-
senen - das Kondom als Verhütungsmittel gera-
dezu aufgedrängt wurde, es wurde in zahllosen
Aufklärungsschriften betont auf die Sexfreuden im
Jugendalter fast werbend hingewiesen und große
Mühe darauf verwandt, in möglichst jugendnaher
Nonchalance nun noch besonders auf die gleiche
Gültigkeit aller verschiedenen "Spielarten der Se-
xualität" hinzuweisen. In keiner dieser Machwerke
fehlt deshalb eine ausführliche Erörterung der an-
geblichen "Gleichwertigkeit" der Homosexualität.
"Schwul sein ist normal"
"Wer ist hier eigentlich andersrum?" heißt zum
Beispiel eine Überschrift in dem Aufklärungsheft
der Gesundheitsbehörde der Landesregierung
(SPD/FDP) von Rheinland-Pfalz "Let's talk about
Sex", um dann über den Fotos, die zwei gleichge-
schlechtliche nackte Paare in Annäherung zeigen,
zu resümieren: "Zu lieben ist normal. Und schwul
sein ist dann auch normal, egal wen du liebst."
Dieses Beispiel ist kein Einzelfall, sondern durch-
gängige Tendenz in ähnlichen Postillen. So enthält
die Aufklärungsschrift für Jugendliche "Na-Nu" aus
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung,
die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeri-
ums erstellt ist, den Satz: "Man sollte nicht den
Fehler begehen und ohne Nachdenken zwischen
'normal' und 'anders' unterscheiden; denn schließ-
lich geht es hier um Gefühle, und da ist jeder
Mensch 'anders'." Und in der Aids-Mappe des
Bundesjugendrings heißt es entsprechend: "Jeder
Mensch ist - mehr oder weniger - zu homosexuel-
lem Verhalten fähig." In dieser Organisation haben
sich die bundesweit tätigen Jugendverbände - dar-
unter auch die evangelischen und katholischen -
zusammengeschlossen. Sie umfassen etwa fünf
Millionen Mitglieder.
Wie Jugendliche "umgepolt" werden
Man muß sich das ganz klarvor Augen stellen: Da
taucht eine Geschlechtskrankheit auf, bei der Ver-
letzungen am After durch Analverkehr eine beson-
ders häufige Eingangspforte der Infektion sind.
Und in dieser Situation bricht eine Kampagne der
für die Jugend zuständigen Behörden aus, die
dazu angetan ist, die Jugendlichen mit einer
Fehlinformation geradezu zur Homosexualität zu
ermuntern. Dieses Verhalten ist äußerst verant-
wortungslos. Nicht nur, daß Homosexualität hier
eher geradezu als das Besondere, das einst sogar
Geschmähte (und welcher Jugendliche möchte
sich nicht gern tapfer damit solidarisieren!) be-
schrieben wird. Es wird auf diese Weise durch
Desinformation mancher Jugendliche zum Irrtum
über sich selbst verführt.
In der sogenannten homoerotischen Phase im Ju-
gendalter neigen viele Jugendliche nämlich
zunächst zu einem gleichgeschlechtlichen
Schwärm. Sie verlieben sich harmlos erotisch in
eine besonders "tolle Type" des gleichen Ge-
schlechts, die sie eine Zeitlang schwärmerisch an-
himmeln. Fällt ihnen nun aber eins der Aufklä-
rungshefte in die Hände, so glauben sie häufig, sie
seien von Geburt an homosexuell, obgleich das -
wie eine Langzeitstudie des Batelle-Instituts in
Seattle (USA) gerade herausgefunden hat - extrem
selten ist (nur ein bis zwei Prozent sollen aus-
schließlich homosexuell sein). Die Hefte sind aber
darauf aus, gerade das zu suggerieren: "Die eige-
nen sexuellen Gefühle auf die Dauer zu verleug-
nen, ist die schlechteste Alternative", heißt es in
diesem Zusammenhang zum Beispiel in "Let's talk
about Sex", und das meint: Dann praktiziere doch
auch diesen so besonderen Sex, mit dem du dich
aus dem Gewöhnlichen, dem Üblichen, dem Hete-
rosexuellen heraushebst.
I
30
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Trendwende in den USA: Sex nur
mit einem Partner
Die mit Steuergeldern vom Staat und den Kirchen
finanzierte "Aids-Hilfe" verdient somit schauerli-
cherweise diesen Namen: Denn homosexuelles
Verhalten wird in Broschüren als erstrebenswert
hervorgehoben und gleichzeitig der häufige Part-
nerwechsel als normal dargestellt. So wird Aids
auch in die heterosexuellen Beziehungen der jun-
gen Generation hineingetragen.
Dürfen wir dem stillschweigend zusehen? In den
USA, wo Aids mit seinem schrecklichen, qual-
vollen, langwierigen Sterben nun schon viel mehr
als eine Bedrohung - auch gerade der Jugend - ins
allgemeine Bewußtsein getreten ist, hat nach jüng-
sten Meldungen eine Trendwende eingesetzt: Ju-
gendliche organisieren sich in Clubs, die sich für
das Sich-bewahren für den Lebenspartner einset-
zen.
Wer nicht sterben will, muß
enthaltsam sein '
"Was ist angesichts von Aids die Wahrheit?", fragt
der katholische Pater Otto Maier (Deidesheim/
Pfalz) in einem Aufsatz und antwortet: "Wenn du
nicht sterben willst, mußt du enthaltsam sein! Ent-
haltsamkeit ist jene Tugend der Jugend, die ge-
sunde und lebensstarke Völker in allen Kulturen
und unter allen Religionen immer besessen und
verteidigt haben." Und er schließt seinen Aufsatz
mit den aufrüttelnden Worten: "Stehen ganze Re-
gierungen der Völker vor dem Götzen Unzucht
samt seiner Pornographie stramm? Opfert man
unsere letzten Kinder und Jugendlichen, die dem
Feuerbrand der Abtreibung und Verhütung entron-
nen sind, diesem Pansexualismus, der mittels Aids
nun zum Totentanz geleitet?" Sind wir in der Lage,
aufzuwachen und die Verantwortlichen in ihre Ver-
antwortung für den Schutz der Jugend zu rufen?
Oder zerschellt auch dieser Aufruf am Tabu eines
Denkverbots, das den Warner medienweit nieder-
schreit, weil er es wagt, die Wahrheit auszuspre-
chen?
Die Autorin, Christa Meves (Uelzen),
und Jugendlichenpsychotherapeutin.
ist Kinder-
Prof.Dr. med. Gottfried Roth
Professor für Pastoralm edizin
Die Notwendigkeit der ethischen Reflexion seitens des Arztes
Der Hippokratische Eid und seine
Tradition
Zweifelsohne hat die antike Haltung und Gesittung
mit dem Gebot, niemals zu schaden und stets zu
helfen, mit den Verboten des Schwanger-
schaftsabbruches, der Beihilfe zum Selbstmord
und der Tötung eines Patienten, mit dem Gebot
der Schweigepflicht ein grosses normatives Ge-
wicht. Es bedarf solcher Leitsätze, damit in Ent-
scheidungskonflikten nicht erst alle Gegebenheiten
und Möglichkeiten jeweils neu durchdacht werden
müssen, damit unsichere Ärzte Sicherheit gewin-
nen und andere den rechten Maßstab.
Der Hippokratische Eid ist eingebettet in einen
griechisch-hellenischen Naturalismus, demzufolge
Krankheit aus der Gebrechlichkeit der Natur des
Menschen kommt. Dieser Auffassung steht auf-
grund des Personcharakters des Menschen ein
semitischer Personalismus gegenüber (Pedro Lain
Entralgo); zwei geistesgeschichtlich relevante Po-
sitionen, die im frühen Christentum integriert wur-
den, demzufolge Krankheit auf eigene oder fremde
Handlung des Menschen zurückgeführt werden
kann oder auf das Ungenügen der Natur des Men-
schen, pathogene Noxen unwirksam zu machen.
Das Fortwirken des Hippokratischen Eides in einer
integrierten Form zeigt sich symbolhaft in jenen
Manuskripten, in welchen der Text in Kreuzesform
geschrieben wurde und in der Präambel, in wel-
cher der Heilgon Apollo durch Christus medicus
ersetzt wurde. Die Lebendigkeit des Hippokrati-
schen Eides zeigt sich auch in der modernen
Transponierung des antiken Textes in die Genfer
Deklarabon von 1948 und vorher schon durch die
Jahrhunderte in der Tradition der Promotions-
gelöbnisse, die mehr und mehr aus Universitäts-
und Fakultätseiden sich in feierliche Gelöbnisse
wandelten, die die Pflichten des Arztes gegenüber
den kranken Menschen anführen.
Wenn heute vom Hippokratischen Eid gesprochen
wird, so geschieht dies meist im Sinne eines Ober-
begriffes; auch haben die einzelnen Texte in den
verschiedenen Ländern eine unterschiedliche juri-
stische Verbindlichkeit.
Die österreichische Situation ist heute durch eine
Verbindung des Promotionsgelöbnisses mit dem
Ärztegesetz (Pflichten gegenüber dem Patienten)
und dem Strafgesetz (Pflichten gegenüber dem
menschlichen Leben) gegeben.
In der jüngsten Vergangenheit zeichnen sich drei
Entwicklungstendenzen ab, die gegen die hippo-
kratische Orientierung der Medizin verstoßen (W.
Wieland). In der Anonymisierung wird der kranke
Mensch in seiner Individualität gefährdet; in der
Judifizierung, in der Verrechtlichung ärztlicher
Maßnahmen, die das ärztliche Risiko zu einer Mi-
nimalisierung zwingt (Defensivmedizin), wird der
mögliche Umfang der therapeutischen Maßnah-
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
31
men reduziert; in der Probabilisierung arztethischer
Überlegungen verstößt man allzu leicht gegen das
Interesse des kranken Menschen, statt dem Tutio-
rismus den Vorzug zu geben, z.B. bei Entschei-
dungen über das Leben des ungeborenen Men-
schen.
Die gegenwärtige Situation ist auch durch andere
Gewichtungen gekennzeichnet. Man muß gegen
eine wissenschaftspositivistische-pragmatische
Medizin um die Anerkennung der Personalität des
kranken Menschen ringen, aber auch den Bereich
des menschlichen Leibes, des gesunden wie des
kranken, gegen eine Mythologisierung der Medizin
verteidigen.
Es wird deutlich, daß der Hippokratische Eid in un-
serer Gegenwart sehr wohl ein Leitbild ist, daß
aber die Wirklichkeit sich nicht immer und überall
mit diesen arztethischen Konstanten deckt; daß
aber dennoch die Lebendigkeit einer deontologia
medici perennis gegeben ist, wie die Geistesge-
schichte der Medizin dies lehrt. Es ist gewiß, daß
diese ihre Gültigkeit haben wird, wenn die gegen-
wärtigen Forderugen der Gesellschaft durch an-
dere abgelöst worden sind; denn letztere können
niemals die Legitimität von arztethischen Kon-
stanten begründen.
Ethische Systeme in der IVIedizin
Im folgenden sollen nun ethische Systeme darge-
stellt werden, wie sie in der Medizin angewandt
werden, Auffassungen, die aller Diagnostik und
Therapie zugrunde liegen, freilich unterschiedlicher
Art, wie deutlich werden wird.
Die ethischen Systeme in der Medizin sind insofern
von ausschlaggebender Bedeutung, weil sie durch
ein je spezifisches Menschenbild bestimmt wer-
den. Die wichtigsten ethischen Systeme seien nun
angeführt.
Der ethische Skeptizismus leugnet, daß ethische
Fragen beantwortet werden könnten; es würde zur
ethischen Irrelevanz kommen. Der ethische Relati-
vismus leugnet überhaupt sittliche Werte und Nor-
men und nimmt nur umweltbedingte und milieube-
dingte Verhaltensweisen an. Der ethische Agnosti-
zismus schließt eine Erkenntnismöglichkeit norma-
tiver Motivationen aus. Zum ethischen Relativis-
mus gehören auch partielle Auffassungen wie die
Wiederherstellung von Arbeitsfähigkeit und Lustfä-
higkeit (Hedonismus) als Ziel ärztlichen Handelns.
Der Pragmatismus oder Utilitarismus sieht das
Prinzip der Sittlichkeit in der praktischen Nützlich-
keit und im praktischen Erfolg, eine Ethik, die
heute weit verbreitet ist und sich dem rechneri-
schen Nutzen ausgeliefert hat. Die US-amerikani-
schen Schulen neigen zu dieser Auffassung, wäh-
rend die europäische Arztethik sich mehr an nor-
mativen Leitbildern orientiert.
Eine evolutionäre Ethik geht von der Annahme
aus, daß der Mensch das Ergebnis der biologi-
schen Evolution darstellt, woraus sich Verhalten,
Neigungen und Fähigkeiten ableiten, zum guten
Teil genetisch determiniert und vorprogrammiert
und durch Erziehung und soziale Konditionierung
nicht beliebig überspielbar und variierbar.
Der dialektische Materialismus sieht im Wohl von
Gesellschaft und Klasse die absolute verbindliche
Norm.
Eine epistemologische Ethik postuliert das Ethos
des wissenschaftlichen Verhaltens. Das Ziel der
Wissenschaft ist Erkenntnis; diese Form kann allzu
leicht in einen Wissenschaftspositivismus abglei-
ten.
Alle diese ethischen Systeme erreichen nicht den
unabdingbaren Kern ärztlicher Aufgaben gegen
über dem gesunden und dem kranken Menschen;
diese Qualität und Quantität gewährleistet die Ver-
antwortungsethik.
"Im Unterschied zu den genannten Richtungen
wird hier eine Ethik zugrundegelegt, die einerseits
das Gelingen des lebenslangen Werde- und Rei-
fungsprozesses des Menschen im Blick hat, ande-
rerseits die personalen Relationen umfaßt, nämlich
die Beziehungen des Menschen zu sich selbst wie
zum Mitmenschen, aber auch zur geschaffenen
Natur, eine Ethik, die primär als Verantwortungs-
und Beziehungsethik bezeichnet werden darf, eine
Ethik also, die Würde und Schutz des menschli-
chen Lebens umgreifen muß" (M. Balkenohr).
Die Pastoralmedizin und neuerdings auch die Me-
dizinphilosophie zeigen inhaltliche Entsprechungen
eben zu dem ethischen System der Verantwor-
tungsethik. Die Medizinphilosophie zeigt nämlich
folgende Entwicklung und fuhrt zu einem Status,
von dem die Pastoralmedizin aufgrund ihrer Kon-
zeption a priori ausgegangen ist.
Um 1935 publizierte Rudolf Allers ein dreidimen-
sionales Menschenbild. Heilung sei möglich
sowohl bei körperlichen Krankheiten oder Män-
geln, bei Störungen im Verhalten zu den Mit-
menschen oder der Gemeinschaft wie (zu den
Gütern der Kultur oder auch) der Beziehung zu
den Glaubenswerten.
1952 folgt Hans Asperger sub specie sanitatis mit
einem gleichsinnigen Menschenbild, demzufolge
zur Gesundheit gehört: die innere Harmonie des
Menschen hinsichtlich seiner Geisteskräfte und
des Gemütes, die Fähigkeit, mit anderen Men-
schen zu sein, und die Verbundenheit mit dem Hö-
heren und Heiligen.
Eine ähnliche Dreiteilung postuliert Viktor E. von
Gebsattel: eine apersonale Dimension, einen mit-
menschlichen Bereich und Gottesebenbildlichkeit
des Menschen.
1957 nennt F. Büchner in einer Typologie humaner
Erkrankungen krankhafte Zustände, die aus der
mangelnden Erfüllung in der Kommunikation mit
dem Absoluten kommen.
Und 1987 kommt Christian Scharfener hinsichtlich
der heilenden Begegnung zwischen Arzt und Pati-
enten auf diese drei Dimensionen zu sprechen: in-
trapersonaler Bereich (Wissen um den eigenen
Leib, um die eigene, lebensgeschichtliche Ver-
knüpfung), interpersonaler Bereich (zwischen-
menschliche Bezüge in und außerhalb der Familie)
und transpersonaler Bereich (Beziehung zu Natur,
zum All, zu Gott).
Im Sinne christlicher, islamischer und hebräischer
Auffassungen, aufgrund des diesen Religionen zu-
grundeliegenden Monotheismus ist die
"Bezogenheit des Menschen nicht nur zur Schöp-
fung, sondern ebenfalls zu seinem Schöpfer zu
sehen, sodaß in diesem Betracht von einem vier-
fachen Beziehungs- und Verantwortungsbereich
gesprochen werden kann, nämlich von der Bezie-
hung des Menschen zu sich selbst, zum mit-
menschlichen Du, zu Gott, dem transzendenten Du
des Menschen, und zum geschaffenen Kosmos"
(M. Balkenohl).
Mit den Arbeiten Balthasar Staehelins hat sich
32
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
diese Position in der IVIedizinphilosophie verdichtet,
und man l<ann mit ihm rechtens von einer Ent-
wicl^lung in der IVIedizin sprechen, die ihren Weg
von der helfenden Naturwissenschaft zur heilen-
den Christuswissenschaft genommen hat, je mehr
mit dem alten Wort, daß Gott der Herr über Leben
und Tod ist, ernst gemacht wird (B. Staehelin).
Das Mittelalter hat den in ordo-Charakter der Ge-
sundheit des Menschen hervorgehoben. Ärztliche
Ethik bestimmt den Arzt, seinen Beruf ohne zu
schaden (primum non nocere - das erste Gebot:
nicht schaden), zum Wohl des Patienten (lex su-
prema salus aegroti - das oberste Gesetz ist das
Heil der Kranken), zum Heil und Trost der Kranken
(saluti et solatio aegrorum) zu verwirklichen: aus-
gerichtet auf die vorgegebene Ordnung im Men-
schen. Diese ist allerdings eine umfangreichere
und tiefere als eine rein somatische oder psycho-
somatische Gegebenheit. Ein wohldurchdachter,
den ganzen Menschen tatsächlich berücksichti-
gender Begriff der Gesundheit umfaßt auch die
heilsame Verbindung der Menschen untereinander
und die nicht minder heilsame, heilbringende Ver-
bundenheit mit Gott.
Dieses Menschenbild ist für die Pastoralmedizin
konstitutiv, die Medizinphilosophie hat, wie oben
gezeigt werden konnte, gleichgezogen, beide ha-
ben nunmehr gemeinsames Formalobjekt, gleiches
Anliegen und gleiches Ziel.
Priorität der ärztlichen Ethil<
Mit der Vermehrung und Intensivierung der medi-
zinischen Einzelberufe (Krankenseelsorge, Kran-
kenpflege, Diätetik, Gymnastik, Balneotherapie,
spezifische diagnostische und therapeutische
Verfahren) glaubte und glaubt man, es könne nun
nicht mehr rechtens von einer ärztlichen Ethik ge-
sprochen werden, sondern von einer medizini-
schen (umfassenden) Ethik.
Diese Überlegungen richten sich nicht gegen
Kompetenz und Seriosität einzelner Autoren, son-
dern gegen den drohenden und bereits vielfach
eingetretenen Verlust (existentieller) ärztlicher Er-
fahrung als Basis ethischer Überlegungen und Er-
örterungen in der Medizin. In einer notwendiger-
weise arbeitsteilig strukturierten Humanwissen-
schaft wie der Medizin, die ja unbestreitbar Natur-
und Geisteswissenschaft ist, kann letztlich die Un-
mittelbarkeit ärztlicher Erfahrung nicht zurückge-
drängt oder vernachlässigt werden, so sehr auch
die gemeinsame Diskussion zu verhindern vermag,
daß das unmittelbare Verhältnis von Arzt und ge-
sundem oder krankem Menschen völlig ausge-
schaltet würde. Wie immer, es besteht die Gefahr,
daß das Gewicht tatsächlicher ärztlicher Erfahrung
verringert wird, zugunsten (nicht unnotwendiger)
Überlegungen nicht-ärztlicher Provenienz.
Worin besteht nun die ärztliche Erfahrung, die man
nicht vermindern oder ausschalten kann, ohne den
gesamten Fragekreis oder Aufgabenbereich we-
sentlich zu verkleinern?
In der Anamnese erhebt der Arzt die Lebens- und
Krankengeschichte des Patienten, in der ärztlichen
Betreuung erlebt der Arzt diese Lebens- und Kran-
kengeschichte des Patienten mit, in der Objektivität
der medizinischen Wissenschaft und in der Sub-
jektivität mitmenschlichen "Mitleidens"; die Dia-
gnose einer akuten oder chronischen Erkrankung
vermittelt den Status praesens dieses einmaligen
menschlichen Lebens in aktueller oder langandau-
ernder Lebensbedrohung. Die Therapie ergibt ge-
stuft nach symptomatischer oder kausaler Wirk-
samkeit - einen gewichtigen Einblick in den Hei-
lungsprozeß, in die Wiederherstellung einer verlo-
ren gegangenen Ordnung oder aber in das Unge-
nügen der medikamentösen Maßnahmen oder
chirurgischen Eingriffe. Der Arzt erlebt unmittelbar
Heilung, aber auch (objektiv) mangelhaftes oder
(subjektiv) fehlerhaftes Bemühen um die Heilung.
Der Arzt erlebt alle subjektiven Reaktionen wäh-
rend der Krankheit seines Patienten mit, Hoffnung
und Verzweiflung, Schmerz und Leid, aber auch
Gesundung und Glück. Auch die mitmenschlichen
Begegnungen mit den Verwandten des Patienten
sind zu berücksichtigen - auch dann, wenn part-
nertherapeutische oder familientherapeutische
Gründe keine Rolle spielen sollten.
All diese ärztliche Erfahrung ist notgedrungen für
Nicht-Ärzte nicht so unmittelbar, vor allem deswe-
gen, weil dem Arzt die direkte Verantwortung zu-
kommt, die auch das Miterleben tiefer werden läßt.
Versagen und Vergeblichkeit der Therapie jenseits
der Grenze eines Kunstfehlers - prägen sich dem
tiefer ein, der aktiv den Krankheitsvorgang heilsam
beeinflussen wollte, als dem, dem diese Aktivität
kompetenterweise verschlossen ist.
In einer notwendigerweise arbeitsteilig strukturier-
ten Humanwissenschaft wie der Medizin, die un-
bestreitbar Natur- und Geisteswissenschaft ist,
kann letztlich die Unmittelbarkeit ärztlicher Erfah-
rung nicht zurückgedrängt oder vernachlässigt
werden, so sehr es auch einer interdisziplinären
Diskussion bedarf. Folgerichtig hat die ärztliche
Erfahrung Priorität, weil dem Arzt die direkte Ver-
antwortung zukommt. Er muß diagnostische und
therapeutische Entscheidungen treffen und per-
sönlich verantworten. Die These also, daß es in-
folge eines Verlustes ärztliche Erfahrung in der
arztethischen normativen Dimension der Medizin
zu einer Gefährdung des Menschen kommen
kann, besteht zurecht.
Arztliche Ethik und Pastoralmedizin
Was bisher im Rahmen einer medizinischen Ethik
zugunsten einer übergeordneten ärztlichen Ethik
gefordert wird, gilt gleicherweise auch für die Pa-
storalmedizin als Lehrfach.
Man unterteilt seit langem die Pastoralmedizin in
eine Pastoralmedizin im engeren Sinne als Dienst
der Medizin für Theologie und Seelsorge und in
eine ärztliche Ethik als Dienst der Theologie und
Ethik für Medizin und Arzttum; diese letztere kann,
wie eben ausgeführt, gefährlich vermindert und
eingeschränkt sein, wenn sie nicht von einem Arzt,
der theologisch versiert ist, gelehrt wird. In gleicher
Weise ist zu betonen:
Überall da, wo die Pastoralmedizin nicht von einem
Arzt gelehrt wird, wo sie sich in eine Pastoralpsy-
chologie verwandelt hat, ist zweifelsohne der Ver-
lust ärztlicher Erfahrung eingetreten, und damit die
erhebliche Gefahr einer einseitigen, verkürzten
Sicht des kranken Menschen gegeben. Dieser
Gefahr unterliegt auch die nicht-ärztliche Psycho-
therapie, da nicht wenige somatische Erkrankun-
gen oder psychosomatische Zustandsbilder im
Prodromalstadium oder im Bereich des Krank-
heitserlebens primäre psychische Störungen vor-
täuschen. In diesen Fällen ist eine Psychotherapie
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
33
keine kausale Therapie und verhindert bei Nichter-
kennen der wahren Krankheitsursache auch eine
wirksame ärztliche Therapie. Diese Gefahr besteht
auch für eine therapeutische Seelsorge, insofern
deren Vertreter vermeinen, ohne ärztliche Hilfe und
Beurteilung ihr Auslangen zu finden. Besonders
tragisch kann es im Rahmen von Heilungsbe-
mühungen mittels Gebet oder/und Gottesdienst
werden, wenn nur medizinisch heilbare Erkrankun-
gen übersehen oder vernachlässigt werden. _^
Am Schluß sei nochmals die These dieser Überle-
gungen wiederholt:
Die Gefährdung des Menschen durch den Verlust
der ärztlichen Erfahrung in der arztethischen nor-
mativen Dimension der Medizin.
Literaturhinweise: '•j.n
Rudolf Allers: Heilerziehung bei Abwegigkeit des Charakters,
Einsiedeln - Köln, oJ.
Hans Asperger: Grundlagen der Willensfreiheit, Arzt und Christ
(Wien) 2,1952.
Manfred Balkenohl: Ethische Aspekte der Gentechnologie und
der Fortpflanzungsmedizin. In: M. Balkenohl - H. Reis - C.
Schirrer, Vom beginnenden menschlichen Leben, Hildesheim
1987.
Franz Büchner: Vom geistigen Standort der Medizin, Freiburg
im Breisgau 1957.
Pedro Lain Eldralgo: Heilkunde In geschichtlicher Entschei-
dung, Salzburg 1950.
Gottfried Roth: Christliche Ethik in Medizin und Arzttum. In:
Christliche Ethik in Wissenschaft und Alltag, Freiburg Im
Uechtland 1991.
Gottfried Roth: Die monotheistischen Präambeln und Schluß-
formeln der ärztlichen Eide, Wissenschaft und Glaube (Wien)
1991.
Christian Scharfetter: Heilung und Wandlung, Schweiz. Ärzte-
zeitung 1987.
Balthasar Staehelin: Von der helfenden Naturwissenschaft zur
heilenden Christuswissenschaft, Lausanne 1987.
Wolfgang Wieland: Strukturwandel der Medizin und ärztlichen
Ethik, Heidelberg 1986.
I
1
Dr. Thomas Schirrmacher*
Die Abtreibung in der Antii^e
und ihre Ablehnung durch die
christliche Kirche
Abtreibung in der Antil^e
Wie in vielen Kulturen^ war die Abtreibung Inder
griechischen und römischen Welt eine Selbstver-
ständlichkeit und ebenso wie die Kindes-
aussetzung nach der Geburt weit verbreitet^ wo-
bei natürlich Mädchen häufiger zu den Opfern ge-
hörten^.
"Abtreibung, Kindestötung und Aussetzung ge-
hörten zu den Realitäten des antiken Alltags. '*
Plato forderte für seinen Idealstaat nicht nur die
"Aussetzung aller Kinder mit Körperfehlern"^ son-
dern auch den Einsatz von Abtreibung und Kindes-
aussetzung in großem Stil durch den Staat zur
Aufzucht von gesundem Nachwuchs^ Aristoteles
wollte durch eine staatliche Aufsicht und Durchfüh-
rung der Abtreibung die Bevölkerungszahl immer
gleich halten', beschränkte aber die Abtreibung
auf die Zeit "bevor (der Embryo) Empfindung und
Leben erhielt"^ also vorder Beseelung (beim Jun-
gen am 40., beim Mädchen am 90. Tag), eine Ein-
schränkung, die in vielen altkirchlichen und
mittelalterlichen Auffassungen eine große Rolle
spielte^
"Man hat hier sowohl in Griechenland wie in Rom
beschlossen, daß ein Kind erst dann zur Familie
und Gesellschaft als Mitglied gehörte, wenn es
Der Verleger Dr. Thomas Schirrmacher promo-
vierte 1985 in Theologie (Kampen, Niederlande)
und 1989 in Kulturanthroplogie (Los Angeles,
USA). Er lehrt an der Freien Evangelisch-Theolo-
gischen Akademie Basel (FETA) und am Philadel-
phia Theological Seminary der Reformierten Epi-
skopalen Kirche in Philadelphia, USA.
durch eine Zeremonie ausdrücklich anerkannt
worden war; erst dann bekam es Lebensrecht. "' °
"Kindertötung war somit eine Form der Familien-
planung ..."' , nahm also die Rolle ein, die heute
die Abtreibung einnimmt.
Aristoteles ging davon aus, daß der Mensch erst
spät seine Seele erhält und
"daß die Leibesfrucht am Anfang nur eine Art
Pflanzenleben führt.. Das ist in Wirklichkeit auch
die Annahme, die den modernen Abtrei-
bungsgesetzen zu Grunde liegt "'^
Auch der bis heute benutzte griechische
'hippokratische Eid', der oft zitiert wird, weil Ärzte
sich damit nach dem Wortlaut gegen die Abtrei-
bung verpflichten, ändert an diesem Bild nichts,
denn 1 . war der Eid in der Antike praktisch bedeu-
tungslos'^ und 2. war Hippokrates durchaus für
Abtreibung, hielt sie nur nicht für die Aufgabe der
Ärzte".
In der griechisch-römischen Welt war die Abtrei-
bung allerdings nicht generell freigegeben, son-
dern das alleinige Recht des Vaters' \ In Rom
"galt uneingeschränkt die hausväterliche Ge-
walt"' \ womit die eventuelle Bestrafung der Ab-
treibung auch der Gerichtsbarkeit des Vaters un-
terstand.
"Erst seit Septimus Severus (193 bis 211 n. Chr.)
gab es staatliche Strafen ... Geschütztes Rechts-
gut war aber nicht die Leibesfrucht die als Teil des
mütterlichen Körpers galt sondern die Hoffnung
des Mannes auf Kinder ...Im germanischen Recht
verhielt es sich ursprünglich ähnlich ... "^^
Die Ablelinung der Abtreibung in
der Antike durcli die cliristliclie Kir-
clie
Dem stand von Anfang an die christliche Ableh-
nung'* entgegen, die sich allerdings intern immer
wieder mit dem Einfluß der griechischen Philoso-
phen auseinanderzusetzen hatte.
In der Didache 2,2 (ca. 1 00-1 50 n. Chr.) heißt es:
"Du sollst nicht töten ein Kind durch Abtreibung
34
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
und sollst nicht töten das Kind nach seiner Ge-
burt.'''
Im Barnabasbrief 19,5 heißt es:
"Liebe deinen Nächsten mehr als deine Seele.
Töte ein Kind nicht durch Abtreibung, töte nicht das
Neugeborene. '^°
Ähnlich heißt es im Barnabasbrief 20,2:
"Auf dem Weg des Todes gehen neben Kindes-
mördern auch die Vernichter des Gebildes Got-
tes.'"
Die Apostolische Konstitution 7,3,2 (ca. 380 n.
Chr.) legt unter Berufung auf 2. Mose 21 ,23 fest:
"Du sollst nicht dein Kind durch Abtreibung töten
noch das Geborene umbringen. Alles Gebildete
wird, weil es von Gott eine Seele empfangen hat,
gerächt werden wie bei Mord. '^^
Die Petrusapokalypse 8,26 (ca. 300-350 n. Chr.)
schreibt nach der Darstellung der ewigen Qualen
von Mördern und anderen Sündern: "Das sind die,
welche ihre Kinder abtreiben und das Werk des
Herrn, das er geschaffen hat, verderben.""
Außerdem verurteilten die Synode von Elvira
(Kanon 63+68), die Synode von Levira (Kanon 2;
beide um 300 n. Chr.) und die Synode von Ancyra
(Kanon 21; 314 n. Chr.) die Abtreibung auch
kirchenrechtlich^V
Klaus Bockmühl schreibt darüberhinaus zu Recht:
"Bei allen großen Kirchenvätern finden sich Sätze,
die die Abtreibung verurteilen. '^^
Basilius von Caesarea und Chrysostomos
(344/354-407 n. Chr.) bezeichneten Abtreibung als
Mord^^
Athenagoras (2 Jh. n. Chr.) wehrt sich in einem
Schreiben an Kaiser Marc Aurel (121-180 n. Chr.)
gegen den Vorwurf, daß Christen Menschenfleisch
im Gottesdienst äßen, indem er darauf verweist,
daß doch die Christen selbst die Abtreibung als
Mord" bezeichnen (177 n. Chr.):
"Wie sollten wir, die das behaupten, daß jene
Frauen, die zur Herbeiführung eines Abortus Medi-
kamente anwenden, Menschenmörderinnen sind
und sich einst bei Gott darüber zu verantworten
haben, Menschen umbringen können? Es wäre
doch inkonsequent zu behaupten, auch der Em-
bryo sei schon ein Mensch und Gegenstand gött-
licher Fürsorge, und ihn dann, wenn er das Licht
der Welt entdeckt hat, zu töten; und die Ausset-
zung eines Kindes zu verbieten, weil Kin-
desausetzung einem Kindesmorde gleichkommt,
dasselbe aber dann, wenn es herangewachsen ist
zu beseitigen. '^®
Klemens von Alexandrien (ca. 155-220 n. Chr.)
schreibt:
"... und nicht das nach göttlicher Vorsehung ent-
stehende Menschengeschlecht durch verruchte
Künste töten. Diese nämlich bedienen sich zur
Verheimlichung der Unzucht verderbenbringender
Mittel, die ganz zum Verderben führen, und töten
so mit der Abtreibung des Embryos zugleich das
menschliche Gefühl' .
Auch Minucius Felix wehrt sich gegen den Vorwurf
des Kindermordes im Gottesdienst (Anfang 3. Jh.
n.Chr.):
"Euch allerdings sehe ich die neugeborenen Kinder
bald aussetzen, bald durch Erdrosseln auf jäm-
merliche Weise aus dem Leben schaffen. Manche
Weiber vernichten im eigenen Leibe durch einge-
nommene Arzneien den Keim künftigen Lebens
und begehen einen Kindesmord, ehe sie gebä-
ren.
,so
Tertullian (160/170-215-220 n. Chr.) schreibt in
Apologeticum 9,8:
"Wir aber dürfen, da der Mord uns ein für allemal
verboten ist, auch den Fötus im Mutterleibe, wäh-
rend noch das Blut zur Bildung eines Menschen
absorbiert wird, nicht zerstören. Die Geburt verhin-
dern ist nicht nur eine Beschleunigung des Mor-
des, und es verschlägt nichts, ob man ein schon
geborenes Leben entreißt oder ein in der Geburt
begriffenes zerstört. Was erst ein Mensch werden
soll, ist schon ein Mensch. '^ '
Tertullian hielt das Kind im Mutterleib für einen
Menschen und für unantastbar und berief sich
dazu - vermutlich als erster - auf Lk 1,41ff^^ In
'Über die Keuschheit' 12 bespricht Tertullian
darüberhinaus den Fall, daß das Kind nicht er-
wünscht ist:
"Willst du etwa das Empfangene durch Arzneimittel
beseitigen? Mich dünkt, es ist uns ebenso wenig
erlaubt, einen in der Geburt begriffenen Menschen
als einen schon Geborenen zu töten. "'^
Tertullian verwirft damit entschieden die aristoteli-
sche Sicht der Beseelung des Kindes im Mutterleib
nach 40 bzw. 90 Tagen * und läßt den Schutz des
Kindes im Mutterleib mit der Empfängnis be-
ginnend^.
Noch deutlicher ist das bei Basilius dem Großen
(329-379 n. Chr.) (Brief an Amphilochius 188,2)
der Fall:
"Eine Frau, die absichtlich die Leibesfrucht ab-
treibt macht sich des Mordes schuldig. Eine spitz-
findige Unterscheidung zwischen ausgebildeter
und gestalteter Leibesfrucht gibt es bei uns nicht
Denn solches Tun rächt sich nicht nur am kei-
menden Leben, sondern auch an der, die sich da-
mit selbst gefährdet, weil ja solche Versuche den
Frauen in der Regel das Leben kosten. Dazu
kommt aber noch die Vernichtung des Embryos,
ein zweiter Mord, beabsichtigt wenigstens von
denen, die solches wagen. '^^
Hippolyt von Rom (?- ca. 236 n. Chr.) bezeichnet
in seiner Schrift Elenchos 9,12 (Anfang 3. Jh. n.
Chr.) das Einschnüren des Bauches, um eine Ab-
treibung einzuleiten, ebenfalls als Mord."
Wo sich das christliche Recht durchsetzte, wurde
Abtreibung als Mord angesehen und damit die
Strafe für Mord auch für eine Abtreibung ange-
setzt. So wurde etwa durch Christianisierung im
gotischen Recht die Todesstrafe für Abtreibung
eingeführt^^
Allerdings gibt es hier keine gradlinige Entwick-
lung, zum einen, weil sich das christliche Recht oft
nur teilweise durchsetzte, zum anderen, weil die
christliche Ethik immer wieder mit dem Einfluß der
überlieferten Ethik der griechischen Philosophie
und des hellenistischen Judentums zu kämpfen
hatte.
"In unterschiedlicher Ausgestaltung stellten dage-
gen die christlich-germanischen Volksrechte den
Schwangerschaftsabbruch unter Strafe; auch die
Todesstrafe kam (vorbehaltlich einer Ablösung
durch Wergeid) vor ... Das Mittelalter kannte im
allgemeinen keine staatliche Strafe für Abtreibung;
die Ahndung blieb wohl der Kirche überlassen ...
Das Kirchenrecht betrachtete die Tötung des Un-
geborenen zwar als Mord. Nicht unangefochten,
aber herrschendS.8 war jedoch bis zum Ende des
19. Jahrhunderts der Satz, daß menschliches Le-
ben erst mit der Beseelung beginne. Als Zeitpunkt
der Beseelung galt der 40., bei Mädchen der 80.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
35
■ m:'
Tag. ... Die Gesetzgebung der deutschen
Partikularstaaten seit der Aufklärung folgte dem
nicht. Sie stellt die Abtreibung vom Beginn der
Schwangerschaft an unter Strafe, jedoch nicht
mehr als Totschlag oder Mord. '^^
Keine Geringeren als die Kirchenväter Hieronymus
(ca. 345-419 n. Chr.) und Aurelius Augustin (354-
430 n. Chr.), sowie später das Decretum Gratia-
num (12. Jh.) hielten zwar Abtreibung für mit der
Höchststrafe zu belegenden Mord, ließen al-
lerdings das Menschsein des Fötus erst beginnen,
wenn er seinen 'ungeformten' Status hinter sich
läßt", was einer Fristenlösung entsprach. Als
Zeitpunkt galten die genannten Zeitpunkte Piatos,
die allein schon deswegen ungeheuerlich sind, weil
sie das Mädchen erst später zum Menschen wer-
den lassen als den Jungen und damit zur Abtrei-
bung von Mädchen doppelt so viel Zeit zur Verfü-
gung stellten als für Jungen.
Piatos Behauptung der Beseelung am 40. bzw. 80.
Tag nach der Empfängnis wurde jedoch meist
durch die griechische Übersetzung des Alten Te-
stamentes, die Septuaginta, vermittelt, wie das
etwa bei Augustin ganz offensichtlich ist"". Die
Septuaginta übersetzt in Abweichung vom he-
bräischen Text 2Mose 21,22-25 nämlich so, daß
sich eine Fristenlösung ergibt. Darauf baute die jü-
disch-hellenistische Sicht auf, daß ein Embryo erst
zum Menschen werde und nicht mehr abgetrieben
werden dürfe, sobald er ein menschliches Gesicht
habe''^ Diese Auffassung wirkt bis heute nach, wie
der folgende Kommentar einer großen deutschen
Tageszeitung kritisch vermerkt.
"Gantes minutiöse Darstellung macht deutlich, wie
sehr im Kreis der Befürworter der Fristenregelung
alte Theorien, die man längst überwunden glaubte,
fortwirkten, so die römisch-rechtliche Auffassung,
wonach das ungeborene Kind ein 'den Eingewei-
den vergleichbarer Teil des mütterlichen Organis-
mus' sei und die auf Aristoteles zurückgehende
These der 'sukzessiven Beseelung' - obwohl man
längst wußte, daß in der befruchteten Eizelle das
vollständige genetische Programm eines Individu-
ums enthalten war!... Und Willi Weyer wies in der
Bundesratssitzung vom 10. Mai 1974 zur Begrün-
dung der Dreimonatsfrist der Fristenregelung auf
die 'alte philosophische und theologische
Unterscheidung von 'foetus inanimatus' und von
'foetus animatus' hin. Ein zähes Nachleben alter
Vorstellungen in vermeintlich fortgeschrittener
Epoche - zu einer Zeit als längst jedes Schulkind
wußte, was DNS, was der genetische Code be-
deutet."'"
.A3
Anmerkungen:
V3I. zur Geschichte des Abtreibungsstrafrechtes vor
ailem Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebens-
beginn: Kulturgeschichte des Abtreibungsverbots. IVle-
dizin in Recht und Ethik 17. Friedrich Erike Verlag:
Stuttgart, 1988. Jeder, der sich mit der heutigen Abtrei-
bungsproblematik intellektuell auseinandersetzt, wird
diese juristische Dissertation begrüßen und verwenden,
auch wenn Jerouschek das Thema rein historisch be-
handelt und keine Folgerungen für die Gegenwart zieht.
Der Autor verfolgt die juristische Einschätzung der Ab-
treibung von der Antike bis zur deutschen Strafprozeß-
ordnung von 1871. Mit Akribie werden die einzelnen
Ansichten zusammengetragen und nebeneinanderge-
stellt. Die griechische Antike, die kaum nennenswerte
Gründe gegen die Abtreibung hervorbrachte (auch der
Eid des Hippokrates wendet sich nicht gegen die Ab-
treibung an sich, S. 17-20) unterscheidet sich von der
römischen Situation, in der dem Vater die Ent-
scheidungsgewalt zustand und natürlich von der christli-
chen Sicht, die die Abtreibung stark zurückdrängte.
10
11
12
13
14
15
16
17
18
aber doch in sich starken Schwankungen unterworfen
war. Das Buch ist zugleich ein Lehrstück dafür, wie
stark religiöse Grundsatzentscheidungen zu allen Zei-
ten die Rechtsethik beeinflußt haben. Es ist illusorisch
zu meinen, jemals ein 'neutrales' Recht erreichen zu
können, weil das Recht nur der verlängerte Arm der
religiös begründeten Ethik ist. (Aus 2Mose 21 ,22-25
entnimmt der Autor [S. 28-29], daß das Alte Testament
nicht gegen Abtreibung gerichtet sei. Wir sehen den
Text jedoch als Beweis dafür an, daß der Totschlag ei-
nes Fötus mit dem Totschlag eines erwachsenen Men-
schen gleichgestellt wird und darauf die Todesstrafe
steht.) Vgl. zur Verbreitung der Abtreibung bei den sog
'Naturvölkern' Georg Devereux. A Study of Abortion in
Primitive Societies. Julian Pr. X.: New York, 1955394
S.Kopien, bes. die Tabellen S. 361-371
Vgl. zur Abtreibung in der antiken Welt Rousas J. Rus-
hdoony. Institutes of Biblical Law. Presbyterian and Re-
formed Publ.: Phillipsburg, 1973. S. 263-266 (mit
scharfer Verurteilung aus christlicher Sicht); Rousas
John Rushdoony. The One and the Many. Thoburn
Press: Fairfax (VI), 1978. S. 129-130; Günter Je-
rouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, a. a. O. S.
11-29; vgl. Emiel Eyben. "Family Planning in Graeco-
Roman Antiquity". Anclent Society 11/12 (1980/1981):
5-82; Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungebore-
nen Kindes und die Fruchtabtreibung in der Bewertung
der heidnischen und christlichen Antike". Antike und
Christentum 4 (1934) 1-61; Enzo Nardi. Procurato Ab-
orte Nel Monde Greco Romano: Milano, 1971; Achim
Keller. Die Abortiva der Römischen Kaiserzelt. Quellen
und Studien zur Geschichte der Pharmazie 46. Deut-
scher Apotheker Verlag: Stuttgart, 1988; Paul Carrick.
Medical Ethics in Antiquity: Philosophlcal Perspectiyes
on Abortion and Euthanasia. Philosophy and Mediane
18. Reidel: Dordrecht, 1985; Otto Steen Due. "Amores
und Abtreibung: Ov. Am. II 13 & 14". Classica et Me-
diaevalia (Kopenhagen) 32 (1971-1980): 135-150; Sa-
rah B. Pomeroy. "Infanticide in Helenistic Greece". S.
207-222 in: Averil Cameron; Amelie Kuhrt. Images of
Women in Antiquity. Croom Helm: London, 1983; J. H.
Waszink. "Abtreibung". Sp. 55-60 in: Thedor Klausner
(Hg.). Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 1.
HIersemann: Stuttgart, 1950. S. 55-59; Hartmann.
"Abtreibung". Sp 108 in: Georg WIssowa (Hg.). Paulys
Realencyclopädie der Classischen Al-
tertumswissenschaft. Bd. 1. J. B. Metzler: Stuttgart,
1894
So bes. Emiel Eyben. "Family Planning in Graeco-Ro-
man Antiquity". a. a. O.S . 16
Antje Krug. Heilkunst und Hellkult: Medizin in der An-
tike. Becks archäologische Bibliothek. C. H. Beck:
München, 1985. S. 189; vgl. Emiel Eyben. "Family
Planning in Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 12-19;
Otto Steen Due. "Amores und Abtreibung", a. a. O. S.
136-138
Ebd. S. 138; vgl. die Sammlung von literarischen Bele-
gen für die Aussetzung mißgebildeter und behinderter
Babys bei Emiel Eyben. "Family Planning In Graeco-
Roman Antiquity". a. a. O. S. 14-15
Plato, De re publica V,9; vgl. Joseph Dölger. "Das Le-
bensrecht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 7;
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn,
a. a. O. S. 11-13
Aristoteles, Politeia, VII, 14,10; vgl. ebd. S. 12-13; vgl.
Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen
Kindes ...". a. a. O. S. 7-10
Zitiert nach ebd. S. 7
Vgl. Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der Abtreibung
in der Frühzeit der christlichen Kirchen". Theologische
Beiträge 3 (1 972): 34-43, hier S. 35+41
Otto Steen Due. "Amores und Abtreibung", a. a. O. S.
137
Sarah B. Pomeroy. "Infanticide in Helenistic Greece". a.
a. O. S. 207
Otto Steen Due. "Amores und Abtreibung", a. a. O. S.
138
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn,
a. a. O. S. 17-20 (anders dagegen Antje Krug. Heilkunst
und Hellkult, a. a. O. S. 188-189)
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn,
a. a. O. S. 17-20; dem widersprechen Franz Joseph
Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ...".
a. a. O. S. 15-16 und Emiel Eyben. "Family Planning in
Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 43-46, die den Eid
für eine verbindliche Abfehnung der Abtreibung halten.
Vgl. 16+22+26-28
Jähnke. "Sechzehnter Abschnitt: Straftaten gegen das
Leben" (zu §§ 218-220). in: Hans-Heinrich Jeschek,
Wolfgang Ruß, Günther Wlllms (Hg.). Strafgesetzbuch:
Leipziger Kommentar: Großkommentar. Bd. 5: §§ 185
bis 262. Walter de Gruyter: Bertin, 198910. S. 7
Ebd.
Eine ausgezeichnete Darstellung zur Geschichte des
36
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
, ■;
19
20
21
22
23
24
25
25
27
28
christlichen Kampfes gegen die Abtreibung ist George
Grant. Third Time Around: A History of the Pro-Life IVIo-
vement from the First Century to the Present. Wolge-
muth & Hyatt: Brentwood (TN), 1991; vgl. vom selben
Autor die Kritik der Geschichte der modernen 30
Abtreibungsbefürworter George Grant. Grand lllusions:
The Legacy of Planned Parenthood. Wolgemuth &
Hyatt: Brentwood (TN), 1988. Vgl. außerdem zur Ge- 31
schichte der christiiclnen Ablehnung der Abtreibung
(jeweils mit Zitaten der Frühen Kirche): George Grant.
Third Time Around. a. a. O. S. 17-47; M. J. Gorman.
Abortion and the Early Church. InterVarsity Press:
Downers Grove (IL), 1982 (in Kurzfassung bei: Dolores 32
E. Dunnett. "Evangelicals and Abortion". Journal of the
Evangelical Theological Society 33 (1990) 2: 217-225, 33
hier 218-220); Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der
Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", a.
a. O.; Ernst Volk. "Vom Schutz des ungeborenen Le- 34
bens". Wahrheit für Heute: eine theologische Zeitschrift
(Freiburg) 17 (1989) 3: 8-124-16; Emiel Eyben. "Family 35
Planning in Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 62-74;
Günter Jerouschek Lebensschutz und Lebensbeginn,
a. a. O. S. 35-37+50-52; J. H. Waszink. "Abtreibung", a.
a. O. Sp. 59-60. Die wichtigste Untersuchung ist: Franz
Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen
Kindes ...". a. a. O. Dölger überschätzt allerdings - der
Zeit der Abfassung (1934) gemäß - das Germanische
(z. B. S. 1-2) und legt eine meines Erachtens falsche
Auslegung von 2Mose 21,22-23 (S. 6-7) zugrunde (vgl.
die Diskussion oben), so daß die jüdische Auffassung
plötzlich der griechischen entspricht. -V
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung --,
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen",
a. a. O. S. 36; vgl. Franz Joseph Dölger. "Das Lebens-
recht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 23
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen",
a. a. O. S. 36; vgl. Franz Joseph Dölger. "Das Lebens- 36
recht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 24
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen",
a. a. O. S. 36; vgl. Franz Joseph Dölger. "Das Lebens- 37
recht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 24, Anm.
86. Es muß allerdings offen bleiben, ob Gebilde das 38
Kind im Mutterleib ab der Empfängnis meint, oder erst,
vyenn es ausgebildete! ist. 39
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen". 40
a, a. O. S. 36-37
Übersetzung nach ebd. S. 37; vgl. Franz Joseph Döl-
ger. "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ...". a.
a. O. S. 49-51 41
Vgl. die Texte und die Diskussion im einzelnen in ebd.
S. 55-57 42
Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der Abtreibung in der 43
Frühzeit der christlichen Kirchen", a. a. O. S. 37
Vgl. zu allen M. J. Gorman. Abortion and the Early
Church. S. 66-69
Ebd. S. 54;
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen",
a. a. O. S. 37_
Zitiert nach: Franz Joseph Dölger. "Das Lebensrecht
des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 27
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen",
a. a. O. S. 37
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen",
a. a. O. S. 37-38; vgl. zu Tertullian: Franz Joseph Döl-
ger. "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ...". a.
a. O. S. 32-44
M. J. Gorman. Abortion and the Early Church. a. a. O.
S. 55
Übersetzung nach Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen",
a. a. O. S 38
Dies betont besonders: Ernst Volk. "Vom Schutz des
ungeborenen Lebens", a. a. O. S. 8
Bei Tertullian und Gregor von Nyssa (vgl. Günter Je-
rouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, a. a. O. S.
35-37) ist der Grund für diese Position der sog.
Tradizianismus', das heißt die Lehre, daß die Seele
des Kindes von den Eltern kommt und daher die Seele
bereits ab der Zeugung besteht. Der dem entgegenste-
hende 'Kreationismus', der lehrt, daß die Seele von Gott
ganz neu erschaffen wird, setzte diese Erschaffung
bisweilen unter dem erwähnten Einfluß der griechi-
schen Philosophie erst später als die Zeugung an, was
aber von der Bibel her nicht zu rechtfertigen ist. Franz
Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen
Kindes ...". a. a. O. S. 34-35 und Emiel Eyben. "Family
Planning in Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 68-71
gehen allerdings davon aus, daß auch Tertullian den
Menschen zwar von Anfang an beseelt hält, ihn aber
erst zum Menschen erklärt, sobald er eine menschliche
Form hat.
Zitiert nach Alfons Heilmann (Hg.). Texte der Kirchen-
väter. Bd. 3. Kösel-Verlag: München, 1964. S. 632; vgl.
zu Basilius Günter Jerouschek. Lebensschutz und Le-
bensbeginn, a. a. O. S. 35-37
Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der Abtreibung in der
Frühzeit der christlichen Kirchen", a. a. OS. 38
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn,
a. a. O. S. 56
Jähnke. "Sechzehnter Abschnitt: Straftaten gegen das
Leben" (zu §§ 218-220). a. a. O. S. 7-8
Vgl. zu allen M. J. Gorman. Abortion and the Early
Church. a. a. O. S. 66-69 und zu Augustin speziell
Franz Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungebore-
nen Kindes ...". a. a. O. S. 44-46+57-60
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn.
a.a.O. S. 41
Ebd. S. 33-34
Hans Maier. "Wenn sich Aufklärung verspätet: Ge-
schichte des Abtreibungsstrafrechts". Frankfurter All-
gemeine Zeitung vom 9.9.1991 über Michael Gante. §
218 in der Diskussion: Meinungs- und Willensbildung
1945- 1976. Droste: Düsseldorf, 1991
aus Augsburger Allgemeine 22/23.1 .94
Eher wie ein bestellter Killer
Zum Bericht "Mit diesem Urteil kann ich leben"
(Aus Schwaben und Oberbayem) vom 1 S.Januar:
36 vollendete Auslöschungen werdenden Lebens,
vier versuchte Tötungen und 18 Kinder, denen das
Licht der Welt zu erblicken versagt wurde! Mir er-
scheint dieser "verantwortungsvolle Arzt" eher wie
ein bestellter Killer. Durch eine Änderung des ge-
sellschaftspolitischen Denkens verhängte die Ju-
stiz eine Strafe von 18 Monaten auf Bewährung,
was einem Freispruch fast gleichzustellen ist. Eine
Überlebensangst erfaßt mich: Wehe den geistig
Behinderten oder den schwer Pflegebedürftigen,
wenn eine Änderung des gesellschaftspolitischen
Denkens in diesen Bereichen eintritt. Ihr Schrei
nach Leben wird ungehört verhallen, wenn Ange-
hörige oder die Gesellschaft dieser Menschen
überdrüssig ist. Warnung: Herr Atrott hat sich vor-
erst auch schon "freigekauft". Zudem sehe ich eine
gravierende Verletzung des Grundgesetzes, das
durch die Gewaltenteilung eine unabhängige Ge-
richtsbarkeit geschaffen hat. Dieses Urteil ist in
meinen Augen jedoch nicht der einzige Justizirr-
tum. Ich wünsche mir ein Umdenken hin zum Le-
ben.
Klaus Durz, Augsburg
Mir graut es!
Als Arzt schäme ich mich, demselben Berufsstand
anzugehören wie H. Theissen. Als Deutscher
schäme ich mich für einen Richter, der in seinem
Urteil einen Mediziner, der menschliche Embryo-
nen vernichtet, als "guten Arzt" bezeichnet, der
"gute Medizin geliefert und einwandfreie Arbeit
geleistet" habe. Offenbar hat die "Änderung des
gesellschaftlichen Denkens" jetzt auch die ethi-
schen Grundlagen unserer Richter und Staatsan-
wälte ausgehöhlt. Wir sind auf einem guten Weg!
Mir graut es!
Dr. med. Theo Regensburger, Dillingen
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
37
ll'l'
1 ■:;?
Gesund in vergifteter Umwelt
Von der Kunst des gesunden Lebens
In der antiken Medizin bestand die wichtigste Auf-
gabe der Ärzte nicht darin, Kranl^heiten zu heilen,
sondern die Kunst des gesunden Lebens zu leh-
ren. Die Diätetik, die Kunst gesunder Lebensfüh-
rung, umfaßte das konkrete Leben des einzelnen.
Sie lehrte die Menschen, ihr Leben so zu gestal-
ten, daß es ihnen gut tut, daß sie dadurch gesund
bleiben würden. Die frühe Kirche hat in der Tradi-
tion der griechischen Medizin auch das geistliche
Leben als Kunst des gesunden Lebens verstan-
den. Wenn Benedikt eine Regel für Mönche
schreibt, dann möchte er damit eine ganz konkrete
Form des Lebens anbieten, die dem Menschen gut
tut. Die Regel ist die Übersetzung der Heiligen
Schrift in das konkrete Leben hinein. Und ohne ge-
sunden Lebensstil gibt es für Benedikt kein wahres
geistliches Leben. Spiritualität ist für ihn erdhaft,
sie bezieht sich auf die Formung des Lebens auch
in seinen rein weltlichen Bezügen. Es berücksich-
tigt die Ordnung der Arbeit und des Betens, die Art
zu essen und zu trinken, zu schlafen und zu wa-
chen, und die Weise, miteinander zu leben.
Unser geistliches Leben kann nur dann gesundes
Leben sein, wenn es allen Bereichen unserer Exi-
stenz seinen Stempel aufdrückt und sie gestaltet
und formt. Zwei Wege sind mir dabei wichtig, eine
geistliche Kunst des gesunden Lebens zu lernen.
Da ist einmal das Hören auf Gottes Stimme in mir.
Und zum anderen die konkrete Gestaltung meines
Lebens, die spirituelle Formung aller Lebensvoll-
züge, die christliche Diätetik.
1 . Das Hören auf Gottes Stimme in
mir
Gott spricht zu mir nicht nur in der Heiligen Schrift,
nicht nur in der Feier der Eucharistie oder im per-
sönlichen Gebet, sondern gerade auch durch
meine Gefühle und Leidenschaften, durch meine
Träume und durch meinen Leib. Viele überhören
diese Stimme. Sie achten nur auf die Stimme
Gottes in der Offenbarung der Schrift. Aber da sie
verlernt haben, auf Gott zu hören, der in ihnen
spricht, verstehen sie die Worte der Schrift oft
falsch. Die Worte der Schrift fallen für sie vom
Himmel, sie stülpen sie sich über als moralische
Forderung, als zu glaubende Lehre. Weil das Wort
Gottes in der Schrift keinen Resonanzboden in ih-
rer eigenen Wirklichkeit hat, kann es auch seine
heilende Wirkung nicht entfalten.
Als Bild, wie wir auf die Stimme unserer Leiden-
schaften hören sollten, ist mir das Märchen von
den Drei Sprachen wichtig geworden. Dort lernt ein
Königssohn die Sprache der bellenden Hunde. Als
er in einer Burg übernachten will, kann ihm der
Burgherr nur den Turm anbieten, in dem wilde
bellende Hunde hausen, die schon viele zerrissen
haben. Aber er hat keine Angst davor. Er nimmt
etwas zu essen mit und spricht freundlich mit den
Hunden. Sie verraten ihm, daß sie nur deshalb so
wild sind, weil sie einen Schatz hüten. Und sie zei-
gen ihm den Weg zum Schatz. Ergräbt das Gold
aus und das ganze Land hat Frieden. Unsere Lei-
denschaften, unser Ärger, unsere Wut, unsere Ei--
fersucht, unsere Angst, sind oft solch bellende
Hunde. Wenn wir auf sie hören, dann weisen sie
uns den Weg zum Schatz in unserem Turm.
Wenn wir lange genug unsere Gefühle überhört
oder verdrängt haben, dann wirken sie sich oft
körperlich aus. Verdrängte Wut setzt sich im Kör-
per fest und äußert sich als Antriebslosigkeit, als
diffuse Unzufriedenheit. Verdrängter Ärger kann
sich in Magengeschwüren ausdrücken. Daher ist
es wichtig, auf den eigenen Leib zu hören. Wenn
ich taub bin gegenüber der Stimme Gottes in mei-
nen Gefühlen, so muß Gott eine lautere Sprache
sprechen, die Sprache der Krankheit.
Viele Überhören auch diese laute Stimme Gottes
in ihrem Leib. Sie wollen die Krankheit wieder in
den Griff bekommen. Sie wollen nicht die Botschaft
hören, die ihnen die Krankheit gibt. Die Psycholo-
gen meinen, die Krankheit sei oft die für den Au-
genblick günstigste Lösung. Wenn ich nicht krank
würde, würde ich vielleicht total zusammenbre-
chen. Die Krankheit zwingt mich, eine Pause zu
machen, für mich zu sorgen. Sie gibt mir einen
handfesten Grund, zu den Erwartungen der ande-
ren nein zu sagen. Ich soll dankbar sein, wenn der
Körper reagiert. Wenn er nicht reagieren würde,
würde ich irgendwann in die Katastrophe schlittern.
Gott spricht zu mir in meinem Leib. Die Kunst des
gesunden Lebens meint, daß ich auf meinen Leib
höre, daß ich von der Stimme meines Leibes lerne,
mein Maß zu entdecken, einen gesunden Umgang
mit meiner Zeit, mit meiner Kraft, mit meinen Ge-
fühlen, mit meinen Aggressionen. Dabei muß ich
mich vor einem neuen Leistungsdruck hüten. Man-
che haben Angst davor, ihre Krankheit könnte ih-
nen zeigen, was sie verkehrt gemacht, was sie
verdrängt und wo sie ungesund gelebt hätten. Sie
zerbrechen sich den Kopf über ihre Fehler und ihre
psychischen Probleme. Doch das hilft nicht weiter.
Ich soll liebevoll mit meiner Krankheit umgehen,
mich behutsam in meinen Körper hineinhören.
Vielleicht kann ich die Hand auf die schmerzende
Stelle legen und spüren, welche Bilder in mir auf-
tauchen. Dann verurteile ich mich nicht selber,
sondern durch die Krankheit komme ich in eine
neue Beziehung zu mir selbst. Durch den bellen-
den Hund der Krankheit entdecke ich den Schatz
in mir. Dort wo ich krank bin, liegt auch ein Schatz
in mir, der gehoben werden möchte. Ich begegne
in meiner Krankheit nicht nur meinen Problemen,
sondern auch neuen Möglichkeiten, einer neuen
Lebensqualität, dem Schatz auf dem Grund mei-
nes Lebensturmes.
Um gesund leben zu können, müssen wir auf die
Stimme Gottes in unseren Gefühlen und Leiden-
schaften, in unseren Träumen und in unserem Leib
hören. Es gibt kein Konzept von außen, das wir
uns überstülpen könnten. Unsere eigenen Gefühle,
unser Leib und unsere Träume geben uns die
Richtung an, wie wir gesund leben können. Jeder
hat sein eigenes Maß und jeder kommt an einer
anderen Stelle an seine Grenzen. Unsere Gefühle
zeigen uns unsere Grenzen an. Ich kann nicht ab-
strakt sagen, wieviel Beichtgespräche ich führen
sollte. Das kann ich nur erspüren, wenn ich auf
meine Gefühle höre. Wenn ich mich immer wieder
ärgere, dann ist das eben ein Zeichen, daß ich
mein Maß überschritten habe. Ich kann mir nicht
von einem anderen sagen lassen, wieviel ich ar-
38
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
■M
beiten soll. Das muß ich selbst spüren. Wenn mein
Leib immer wieder mit Krankheit reagiert, muß ich
mich fragen, ob ich das Maß meiner Arbeit reali-
stisch sehe, ob ich mich nicht zu wichtig nehme
und meine, die Welt könnte ohne meine Arbeit
nicht existieren. Meine Träume geben mir oft die
Themen an, die bearbeitet werden sollten. Nicht
meine Vorstellungen von einem gesunden Leben
sind maßgebend, sondern was Gott mir im Traum
sagt. Da kann er mich auf Seiten hinweisen, die ich
sonst nicht sehen würde. Wenn ich auf diese
Stimme Gottes höre, dann werde ich gesund le-
ben. Denn Gott ist ja der Arzt meiner Seele. Er
weiß, was für mich stimmt. Aber er spricht zu mir
nicht von oben herab, sondern von unten durch
meine Leidenschaften, durch meine Krankheiten,
durch meine Träume.
2. Christliche Diätetik
Die antike Diätetik, die "Regelung der Lebens-
weise" wurde von Herodikos von Selymbria im 5.
Jahrhundert vor Christus begründet und dann von
Hippokrates und Galenos weiter entfaltet. Nach
Galenos umfaßt die Diätetik sechs Bereiche: 1 .
Licht und Luft, 2. Speise und Trank, 3. Bewegung
und Ruhe, 4. Schlafen und Wachen, 5. Absonde-
rungen und Ausscheidungen, und 6. Leidenschaf-
ten der Seele, Gefühle und Emotionen. Hildegard
von Bingen hat versucht, die antike Diätetik für das
geistliche Leben fruchtbar zu machen. Unserer
Spiritualität täte es auch heute gut, wenn wir die
sechs Bereiche der antiken Diätetik beachten wür-
den, wenn wir unser konkretes Leben geistlich
prägen und formen könnten. Dabei ist zu beach-
ten, daß die meisten Bereiche polar gegliedert
sind. Gesund wird der Mensch nur, wenn er beide
Pole miteinander verbindet und ein Gleichgewicht
zwischen ihnen findet. Dabei ist es nie statisch,
sondern immer fließend. Die Kunst des gesunden
Lebens besteht darin, die sechs Bereiche so zu le-
ben, wie es der Natur des Menschen entspricht,
und die beiden Pole miteinander ins Gleichgewicht
zu bringen.
Der erste Bereich der Diätetik ist der von Licht und
Luft. Er bezieht sich darauf, daß ich genügend an
die frische Luft gehe, daß ich in der frischen Luft
auch genügend Bewegung habe. Zum Thema
Licht und Luft gehört aber auch eine gesunde
Wohnkultur. Habe ich auch in meiner Wohnung
genügend Licht und Luft? Fühle ich mich darin
wohl? Wer sich in seiner Wohnung nicht wohl fühlt,
muß ja auf Wanderschaft gehen und bei anderen
eine Heimat suchen. Geistliches Leben meint, daß
ich meine Lebensverhältnisse darauf hin an-
schaue, ob sie gesund oder krank machen, ob sie
bewußt oder unbewußt, geistlich oder geistlos
sind. Die äußere Gestaltung meines Wohnbereichs
kann eine dauerhaftere Verwandlung bewirken als
ständig neue Vorsätze für mein tägliches Handeln.
Der zweite Bereich von Essen und Trinken zieht
heute viel Aufmerksamkeit auf sich. Es geht aber
nicht nur darum, daß ich mich gesund ernähre,
daß ich auf die Auswahl der Lebensmittel achte,
sondern auch wie ich esse. Viele haben heute die
Kultur des Mahles verloren. Sie ernähren sich
schnell aus dem Kühlschrank und nehmen sich
kaum Zeit, miteinander Mahl zu halten. Im Essen
wird meine Beziehung zur Welt überhaupt deutlich.
Wenn ich Essen in mich hineinschlinge, werde ich
auch Bücher und Menschen verschlingen, und ich
werde die Schöpfung verschlingen und ausbeuten.
Viele haben heute Eßprobleme. Sie haben das
richtige Maß für das Maß von Speise und Trank
verloren. Manche lösen es dadurch, daß sie immer
wieder fasten. Fasten ist sicher gut sowohl für die
Gesundheit als auch für die Spiritualität. Denn es
kann mich innerlich frei machen und mich für Gott
öffnen. Aber wenn ich mich immer wieder mit Fa-
sten dafür bestrafe, daß ich zuviel gegessen habe,
werde ich ständig um das Thema Essen und Fa-
sten kreisen. Und es wird mir nicht gut tun. Statt
mein Essen nur mit Disziplin in den Griff zu be-
kommen, müßte ich vielmehr eine neue Genußfä-
higkeit lernen. Wenn ich wirklich genieße, dann
finde ich auch mein Maß. Wer genießt, verschlingt
nicht, der ißt von innen heraus nur soviel, wie für
ihn stimmt.
Der dritte Bereich bezieht sich auf Bewegung und
Ruhe. Es wäre das Thema ora et labora, bete und
arbeite, das für die benediktinische Spiritualität
kennzeichnend wurde. Der Mensch kann in die Ar-
beit fliehen, er kann aber auch vor ihr davonlaufen.
Arbeit und Gebet, Bewegung und Ruhe, müssen
ins Gleichgewicht kommen. Wer vor lauter Arbeit
keine Zeit zum Beten oder zur Stille findet, dessen
Aktionismus wird bald leer werden. Wer sich so
wichtig nimmt, daß er sich keine Zeit der Erholung
gönnt, wird bald körperlich krank. Um das rechte
Maß von Bewegung und Ruhe, von Gebet und Ar-
beit zu finden, muß ich meine Zeit gut ordnen.
Täglich zur gleichen Zeit aufstehen, Zeit zum Ge-
bet oder zur Meditation zu reservieren, mit der Ar-
beit zu beginnen und aufzuhören und zu Bett zu
gehen, sind da eine große Hilfe. Wenn ich jeden
Tag neu entscheiden muß, wann ich meditieren
möchte, brauche ich viel zuviel Energie. Eine gute
Tagesordnung wird mich innerlich in Ordnung brin-
gen und mir Zeit für die wichtigsten Lebensvoll-
züge sichern, für Gebet und Arbeit, für Einsamkeit
und Gemeinschaft, für Stille und Gespräch. Doch
nicht jeder wird so frei über seine Zeit verfügen
können. In der Familie sind viele durch den
Rhythmus der Kinder bestimmt. Dann wäre es oft
ein vergeblicher Kampf, sich jeden Tag Zeit zum
Meditieren zu nehmen.
Wenn ich in meinem Tagesablauf keine extra Zeit
für mich finde, dann kann ich zumindest darauf
achten, wie ich das tue, was ich sowieso tue. Wie
stehe ich auf, mit welchen Gedanken und Gefüh-
len, langsam oder hektisch? Welche Rituale habe
ich entwickelt, um meinen Tag zu beginnen und
abzuschließen? Für den hl. Benedikt gibt es kein
gesundes geistliches Leben ohne gesunden Le-
bensstil. Wenn ich eine gute Art habe, morgens
aufzustehen, mir Zeit zum Beten zu lassen und in
aller Ruhe zu frühstücken, dann kann vieles wäh-
rend des Tages dazwischen kommen, ohne mich
aus meiner Mitte zu werfen. Ich lebe, anstatt gelebt
zu werden.
Mein geistliches Leben taugt nicht viel, wenn es
nicht die Kraft hat, auch meine Arbeit zu prägen.
Es wird sich darin zeigen, daß ich konzentriert und
gleichmäßig arbeite, daß ich mich sachlich den
Problemen stellen kann, daß ich klug organisiere.
In meiner Arbeit drückt sich auch meine Seele aus.
Wenn ich chaotisch arbeite, äußert sich darin mein
inneres Durcheinander. Die Lustlosigkeit bei der
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
39
i
1
it
mt'.
Arbeit zeigt, daß ich nicht wirl^lich ja dazu gesagt
habe, daß ich von meinen Bedürfnissen oder von
inneren Zwängen bestimmt werde. In allem, was
wir tun, offenbaren wir anderen, wie es in uns aus-
sieht. Das fängt schon beim Autofahren an. Wenn
ich bei dem einen mitfahre, kann ich mich bequem
zurücklehnen, da fühle ich mich sicher. Beim ande-
ren muß ich dagegen innerlich ständig auf die
Bremse treten. Es ist nicht nur ein ganz bestimm-
ter Stil des Autofahrens, sondern auch ein Stil des
Lebens. Ich begegne darin der Seele des anderen.
Eine christliche Diätetik achtet darauf, daß die Ar-
beit von innen heraus geschieht, daß sie aus der
spirituellen Quelle herausfließt und nicht aus der
Fahrigkeit einer zerstreuten Seele.
Der vierte Bereich bezieht sich auf Schlafen und
Wachen. Damit ist einmal das gesunde Maß von
Schlafen und Wachen gemeint. Manche nehmen
sich so wichtig, daß sie meinen, mit möglichst we-
nig Schlaf auskommen zu müssen. Andere flüch-
ten in den Schlaf. Wieder andere fürchten sich vor
schlaflosen Nächten. Sie können nicht einschlafen,
weil sie nicht fähig sind, sich loszulassen. Die
Kunst des gesunden Lebens verlangt aber nicht
nur, daß ich mein Maß des Schlafes finde, sondern
daß ich auch darauf achte, was Gott mir während
des Schlafes im Traum sagen möchte. Die Mönche
haben das Silentium nocturnum, das nächtliche
Stillschweigen hochgehalten, weil sie noch ein Ge-
spür dafür hatten, daß wir im Schlaf eintauchen in
den göttlichen Wurzelgrund. Unsere Abende sind
oft sehr laut geworden. Viele kommen abends
enttäuscht und ermüdet von der Arbeit heim, sie
haben keine Kraft mehr zu einer Kultur des
Abends, zu einem gesunden Abendritual. Sie
stopfen ihre Frustration mit Essen und Trinken
oder mit Fernsehen zu. Wenn sie dann müde ins
Bett fallen, dann sind sie voll vom Ärger des Tages
und von den vielen Eindrücken, mit denen sie die
negativen Gefühle zugestopft haben. Die nicht
verarbeiteten Gefühle aberwirken im Unbewußten
weiter. Für die Alten war das gesunde Abendritual,
das Abendgebet, in dem ich mich Gott überlasse,
ein Stück Seelenhygiene. Das Abendgebet war
auch ein Gebet um gute Träume und eine Bitte,
mich vor Alpträumen zu bewahren.
Die fünfte Regel der Diätetik behandelt die Abson-
derungen und Ausscheidungen. Das scheint uns
zunächst ein nebensächlicher Bereich zu sein.
Doch zugleich weiß jeder, daß sich in seinen Aus-
scheidungen auch seine Seele äußert. Der eine
leidet an Verstopfung, weil seine Seele etwas zu-
rückhält, der andere an Durchfall, weil er nichts bei
sich halten kann. Andere schwitzen bei jeder klei-
nen Aufregung oder Anstrengung oder aus Angst
vor der Beurteilung der anderen. Anderen sind die
Ausscheidungen an den Schweißfüßen unange-
nehm oder ihre schwitzenden Hände. Sie spüren,
daß sie etwas über sich preisgeben, wenn die an-
deren ihr Schwitzen bemerken, und daß alles, was
sie ausscheiden, etwas über ihre Seele sagt. Das
Achten auf diesen Bereich ist also durchaus wich-
tig für das eigene Wohlbefinden.
Absonderungen und Ausscheidungen führen uns
aber auch zum Thema der Sexualität. Wer die Se-
xualität in den Turm einsperrt, sperrt sich selbst
vom Leben aus. Und er wird ständig um das
Thema der Sexualität kreisen, er lebt ständig in der
Angst, daß die bellenden Hunde der Sexualität
doch noch ausbrechen und ihn verschlingen
könnten. Die in oder außerhalb der Ehe gelebte
Sexualität ist nicht ohne weiteres eine Quelle des
Glückes. Hier geschehen vielmehr tiefe Verletzun-
gen und Verwundungen. Der andere wird miß-
braucht, damit man sich entspannen, damit man
seine Lust haben kann.
Die sexuelle Energie ist immer Energie des Le-
bens. Wird sie abgeschnitten, unterdrückt man ein
Stück Leben. Man verdorrt und wird starr und leb-
los. Doch umgekehrt ist auch die Fixierung auf die
Sexualität nur die Kehrseite der Angst vor ihr. Man
kreist ständig um sie, weil man meint, sonst zu
kurz zu kommen. Es gibt Menschen, die sich nur in
der Sexualität am Leben fühlen. Sie leben so we-
nig in Berührung mit sich, mit ihrem Leib, mit ihrem
Gefühl, daß sie den sexuellen Akt brauchen, um
sich lebendig zu erfahren. Dann aber verarmt das
Leben, und die Sexualität wird überfordert. Die
Kunst des gesunden Lebens möchte uns lehren,
die Sexualität zu verwandeln in Lebendigkeit im
Leib, in die Kultur des Eros, der dem Leben Bunt-
heit und Spannung schenkt, und in Sehnsucht
nach dem Numinosen, nach der absoluten Liebe
Gottes.
Dabei gibt es zwei Wege, die Sexualität in gesun-
der Weise zu leben: den Weg der Ehe und den
Weg der Ehelosigkeit. Auch der Ehelose darf seine
Sexualität nicht abschneiden. Seine Aufgabe ist es
vielmehr, sie in alle seine Lebensvollzüge zu inte-
grieren. Integrierte Sexualität zeigt sich in der
Fruchtbarkeit eines Menschen, wenn es um einen
herum sprudelt und blüht. Sie zeigt sich auch in
der Lebendigkeit des Leibes, in einem Präsentsein
im Leib, und in einer Spiritualität, in der Mystik und
Eros miteinander verbunden sind. Viele Mystiker
haben uns die Verwandlung des Eros in Gotteser-
fahrung und Gottesliebe vorgelebt, etwa Teresa
von Avila in ihrer Beziehung zu Gration, Franziskus
und Klara, Benedikt und Scholastika, Franz von
Sales und Frau von Chantal. Ihre Mystik war
durchdrungen von der Kraft des Eros, ihre Liebe zu
Gott war ganzheitlich und sprach alle Kräfte im
Menschen an, ihren Leib und ihre Seele, ihre Se-
xualität und ihren Geist. Sie haben die tiefste Be-
deutung der Sexualität gelebt: das Einswerden mit
Gott, in dem wir zugleich eins werden mit der gan-
zen Schöpfung.
Der sechste Bereich einer christlichen Diätetik be-
zieht sich auf die affectus animi, auf die Leiden-
schaften, Emotionen und Gefühle der Seele. Ge-
danken und Gefühle können uns krank machen.
Zu einem gesunden Leben gehört der rechte Um-
gang mit Gedanken und Gefühlen. Dabei ist wich-
tig, daß wir unsere Gefühle nicht bewerten. Alle
Gefühle haben ihren Sinn, auch die Angst, der Är-
ger, die Eifersucht. Aber ich muß bewußt damit
umgehen. Ich darf mich von den Emotionen und
Leidenschaften nicht beherrschen lassen.
Die frühen Mönche (3. - 6. Jahrhundert) haben
verschiedene Methoden entwickelt, mit den Lei-
denschaften umzugehen. Da ist einmal die Me-
thode, bei der man in die negativen Gedanken und
Gefühle ein Wort der Hl. Schrift hineinspricht. So
kann man in seine Angst den Vers aus Psalm 118
40
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
*■
sprechen: "Der Herr ist mit mir, icln fürclnte micln
nicht. Was l^önnen IVIenschen mir antun?" Es geht
nicht darum, damit die Angst zu vertreiben, son-
dern durch das Wort der Schrift den anderen Pol in
meiner Seele, den Pol des Vertrauens zu entdec-
ken und damit in Berührung zu kommen. Ein Wort
der Schrift kann meine negativen Gedanken und
Gefühle allmählich verwandeln.
Der zweite Weg, den uns die Mönche raten, ist der
Dialog mit den Leidenschaften. Wir sollten die Lei-
denschatten ruhig in unser Herz eintreten lassen
und uns mit ihnen vertraut machen. Wir sollen ih-
nen geben und von ihnen nehmen, dann werden
sie uns bewährter machen. Wir müssen mit den
bellenden Hunden unserer Leidenschaften ins Ge-
spräch kommen, dann werden sie uns den Weg
zum Schatz in unserem Innern zeigen. Dort, wo
uns die Leidenschaft am meisten zu schaffen
macht, dort liegt auch ein Schatz in uns, der geho-
ben werden möchte. Wir müssen uns nur in den
Turm unserer Leidenschaft hineinwagen, um den
Schatz zu finden.
Der dritte Weg, mit den Leidenschaften umzuge-
hen, ist für die Mönche das Gebet, nicht nur das
Gebet gegen die Gedanken, sondern das Gebet, in
dem ich die Gedanken und Gefühle übersteige und
zu dem Ort in mir vorstoße, der frei ist von allen
Emotionen und Leidenschaften. In diesem Ort der
Stille erfahre ich Gott als den, der mich befreit von
der Macht der Menschen und auch von der Macht
meines eigenen Über-Ichs, das mich oft genug mit
-■■ ■ i^fe '*.«' ;;^i^. ' :■','■ "^-y'
Vorwürfen überhäuft. Dort ist es ganz still, dort bin
ich wirklich frei, heil und gesund. Das Gebet führt
mich in das innerste Heiligtum, von dem die Bibel
spricht, in dem ich heil bin. In mir ist schon ein
Raum, der ganz gesund ist. Ich muß die Gesund-
heit nicht schaffen. Doch oft genug ist dieser Raum
verschüttet, ich habe die Beziehung dazu verloren.
Im Gebet kann ich mit diesem Ort der Stille und
des Heils in mir in Berührung kommen. Dann wird
sich die Gesundheit auf dem Grund meiner Seele
in meinen Leib und in alle Bereiche meiner Exi-
stenz hinein ausbreiten und entfalten können.
Schluß
Das waren nur einige Gedanken, wie wir die Kunst
des gesunden Lebens, die uns die antike Medizin
lehrt, in eine christliche Diätetik hinein fruchtbar
machen können. Für die Kunst des gesunden Le-
bens sind weniger Ideale hilfreich, denen ich nach-
eifere, sondern vielmehr eine klare und gesunde
Lebensweise. Eine christliche Diätetik zeigt uns die
therapeutische Dimension unseres Glaubens. Der
Weg des Glaubens ist nicht zuerst ein moralischer
Weg, sondern ein Weg des Lebens, ein Weg der
Gesundheit und Freiheit, der Lebendigkeit und der
Liebe.
(Aus: Anselm Grün, Die Kunst des gesunden Le-
bens. Eine christliche Diätetik, in: Lebendiges
Zeugnis)
Dr. Thomas Schirrmacher
Das Alte Testament contra
Abtreibung
"Die Worte der Gottlosen sind auf das Blutvergie-
ßen gerichtet; aber der Mund der Aufrichtigen ret-
tet sie." (Spr 12,6)
Weltweit 50 Millionen Abtreibungen
pro Jahr
Seit 1945 wurde ein mehrfaches an Kindern abge-
trieben, als im 2. Weltkrieg insgesamt an Men-
schen ums Leben kamen. Aus einem in Washing-
ton veröffentlichten Bericht des Forschungsinstitu-
tes 'World-Watch' geht hervor, daß jährlich fast
ebenso viele Kinder abgetrieben werden, wie
im 2.Weltkrieg insgesamt an Menschen umka-
men. Während im Weltkrieg 55 bis 60 Millionen
Menschen starben, werden jährlich 50 Millionen
Kinder im Mutterleib ermordet, wobei zusätzlich
200.000 Frauen ihr Leben lassen. Die Zahlen sind
nicht übertrieben, sondern dürften eher die eigent-
liche Dunkelziffer noch immer nicht vollständig
erfassen.^
In Japan und Frankreich wird die Hälfte aller Kin-
der im Mutterleib getötet, in der BRD und den Nie-
derlanden ein Viertel. In den USA wurden zwi-
schen 1973 und 1982 10 Millionen Kinder abge-
trieben.
Längst geht es bei diesem massenhaften Töten
selbst verbal nicht mehr darum, einzelnen Müttern
in Not zu helfen. Ein Lexikonartikel deckt kom-
mentarlos, aber realistisch die wahre und brutale
Ursache der hohen Abtreibungszahlen auf:
"Die eingeleitete oder künstliche Abtreibung ist
eine der Hauptmethoden der Geburtskontrolle
„."2
Dies wird schon daran deutlich, daß die weltweit
wirkende und enorm einflußreiche Organisation
'International Planned Parenthood Federation'
(IPPF; in den USA 'Planned Parenthood'; deut-
scher Zweig und Gründungsmitglied^ 'Pro familia')
zugleich weltweit die meisten Abtreibungsbe-
ratungszentren unterhält und sich massiv für das
Recht auf Abtreibung einsetzt. Diese Koppelung
findet sich bereits bei der Gründerin dieser Orga-
nisation der amerikanischen Schriftstellerin Marga-
ret (Higgins) Sanger (1883-1966). Sie ist die
"Vorkämpferin der amerikanischen und internatio-
nalen Bewegung für Geburtenkontrolle. Margaret
Sanger redigierte 1917-1929 die Zeitschrift 'Birth
control review', begründete die erste Klinik für
Geburtenkontrolle in den USA und gründete 1921
die amerikanische Liga für Geburtenkontrolle ...
1927 organisierte sie in Genf die erste Weltbe-
völkerungskonferenz und wurde erste Präsidentin
des 1953 gegründeten internationalen Bundes für
Familienplanung. '"^
Sanger setzte sich spätestens seit ihrer später
aufgegebenen engen Verbindung zur nationalso-
zialistischen Familienplanung, in der die Ab-
treibung eine große Rolle spielte, nicht nur für Ge-
burtenkontrolle, sondern auch für die Praxis der
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
41
i
M3':
nmi
Abtreibung ein. Neben dem angeblichen Recht der
Frau spielte dabei auch die Beschränkung der
Überbevölkerung eine große Rolle^. Selbst
Abtreibungsbefürworter sprechen von "dem rassi-
stisch-eugenischen Gedankengut der IPPF-In-
itiatorin Margareta Sanger"^
Von 1000 Amerikanern, die ihre Partnerin zur Ab-
treibungsklinik begleiteten - dies sicher schon eine
besondere Auswahl - gaben 60 % an, sie hätten
keine oder sehr schlechte Verhütung vorgenom-
men, 93 %, "sie würden in Zukunft alles tun, um
eine Abtreibung zu verhindern, doch waren 30 Pro-
zent nicht zum ersten Mal in der Abtreibungsklinik",
26 %, sie "hielten Abtreibung für die Tötung eines
Menschen"/
Daß die Abtreibung längst zum Verliütungsmit-
tel geworden ist, mit dem die sexuelle Begierde
über das Lebensrecht von Menschen gestellt
wird, macht auch jede Abtreibungsstatistik deut-
lich. Nach den statistischen Angaben der Medical
Tribüne' sind im Jahr 1988 in der BRD 83.000
Abtreibungen gemeldet worden, natürlich bei
weitem nicht alle tatsächlich durchgeführten. 54 %,
also über die Hälfte, entfallen auf Frauen im Alter
zwischen 18 und 30 Jahren. Fast die Hälfte der
Frauen (48 %) war verheiratet, ein Anzeichen da-
für, wie viele Ehemänner an der Abtreibung
mitbeteiligt sind. 9 % der Abtreibungen wurden
aufgrund einer allgemeinmedizinischen Indikation,
je 1 % aufgrund psychiatrischer und eugenischer
Indikation durchgeführt. 87 % der Abtreibungen je-
doch wurden mit einer 'sonstigen schweren Not-
lage' begründet - und das in einem der reichsten
Länder der Erde!
"1990 sind beim Statistischen Bundesamt 78.808
Abtreibungen für das Gebiet der alten Bundeslän-
der gemeldet worden. Dies stellt ungefähr ein
Drittel der wahren Zahl dar, wie sie z. B. durch die
Abrechnung bei den Krankenkassen ermittelt wer-
den kann. Trotzdem können die Zahlen des stati-
stischen Bundesamtes ein grobes Bild von den
Verhältnissen widerspiegeln. 89, 1 % der gemel-
deten Abtreibungen sind der sogenannten sozialen
Indikation zuzuordnen. In 65 Fällen lag eine
kriminologische Indikation vor, d. h. das Kind war
bei einer Vergewaltigung gezeugt worden. Un-
gefähr die Hälfte (47,7 %) der Frauen, die
abgetrieben haben, sind verheiratet 43, 1 % ledig,
der Rest verwitwet oder geschieden. Die meisten
von ihnen (53,0 %) haben noch keine Kinder. Un-
ter 18 Jahre waren nur 2,2 % der abtreibenden
Frauen. '^
Ebenso kommentarlos wie die wahren Ursachen
offenlegen ist eine andere Aussage in einem der
bedeutendsten deutschen Strafrechtkommentare:
"Eine Individuelle und gesellschaftliche Hal-
tung, die Kinder nicht mehr als Segen be-
trachtet, den Schwangerschaftsabbruch viel-
mehr als Mittel der weiblichen Selbstentfaltung
ansieht, nahm der Tat in den Augen Vieler die
Verwerflichkeit.'"
Es ist über die Welt hereingebrochen, was der
Prophet Jesaja über die zum Gericht über Israel
kommenden Feinde sagt: "und der Leibesfrucht
werden sie sich nicht erbarmen" [oder "die Leibes-
frucht werden sie nicht schonen"] (Jes 13,18).
Franz Delitzsch kommentiert unter Verweis auf
2Kön8,12; 15,16:
"Die Leibesfrucht schonen sie nicht, indem sie die
Säuglinge tödten und sogar Leiber Schwangerer
aufschlitzen ..."
Doch heute benötigen wir keinen Krieg, in dem
Feinde die kommende Generation ausrotten. Die
Eltern besorgen mit Hilfe des Staates und der
Ärzte diese Aufgabe selbst.
Die anhaltende Abtreibungsdebatte ist jeden-
falls das Ende des Mythos vom weltanschau-
ungsneutralen Staat, der ohne Religion aus-
kommen kann. Die evolutionistische Ethik be-
stimmt mehr und mehr unseren Staat, für die 1.
der Mensch sich erst allmählich zum Menschen
entwickelt - obwohl auch dies längst widerlegt ist'^
-, 2. der Trieb zur freien sexuellen Betätigung min-
destens ebenso wichtig ist, wie der Schutz des Le-
bens und 3. das behinderte Kind nur ein einge-
schränktes Lebensrecht hat, weil unausgesproch-
en immer noch der Kampf ums Überleben als Fort-
schritt der Biologie Pate steht. Wenn Christen nicht
erkennen, daß der Staat entweder nach Gottes
Gesetz entscheidet oder aber eine andere Religion
oder Weltanschauung zum Ausgangspunkt macht,
nie jedoch 'neutral' sein kann, werden sie in der
Abtreibungsdebatte nicht mehr viel auszurichten
haben.
Abtreibung ist l\/lord
Der gegenwärtigen Situation steht die biblische
Ethik radikal entgegen. Dietrich Bonhoeffer faßt die
traditionelle christliche Position, daß Abtreibung
Mord ist, gutzusammen'^
"Mit der Eheschließung ist die Anerkennung des
Rechtes des werdenden Lebens verbunden als ei-
nes Rechtes, das nicht in der Verfügung der Ehe-
leute steht Ohne die grundsätzliche Anerkennung
dieses Rechtes hört eine Ehe auf Ehe zu sein und
wird zum Verhältnis. ... Die Tötung der Frucht im
Mutterleib ist Verletzung des dem werdenden Le-
ben von Gott verliehenen Lebensrechtes. Die Er-
örterung der Frage, ob es sich hier schon um einen
Menschen handele oder nicht, verwirrt nur die
einfache Tatsache, daß Gott hier jedenfalls einen
Menschen schaffen wollte und daß diesem wer-
denden Menschen vorsätzlich das Leben genom-
men worden ist. Das aber ist nichts anderes als
Mord."^'^
Jede noch so problematische Situation im einzel-
nen vermag daran für Bonhoeffer nichts zu ändern:
"Daß die Motive, die zu einer derartigen Tat füh-
ren, sehr verschieden sind, ja daß dort, wo es sich
um eine Tat der Verzweiflung in höchster men-
schlicher und wirtschaftlicher Verlassenheit und
Not handelt, die Schuld oft mehr auf die Ge-
meinschaftals auf den Einzelnen fällt daß schließ-
lich gerade in diesem Punkt Geld sehr viel Leicht-
fertigkeit zu vertuschen vermag, während gerade
bei dem Armen auch die schwer abgerungene Tat
leichter ans Licht kommt, dies alles berührt un-
zweifelhaft das persönliche und seelsorgerliche
Verhalten gegenüber dem Betroffenen ganz ent-
scheidend, es vermag aber an dem Tatbestand
des Mordes nichts zu ändern. " ' '
Es gibt christliche Ethiker und Abtreibungsgeg-
ner' , die den Begriff 'Mord' für Abtreibung ableh-
nen und lieber von 'Totschlag' sprechen wollen. Ob
dies möglich ist, entscheidet sich jedoch daran,
welcher Definition von 'Mord' und Totschlag' man
dabei folgt. Folgt man der äußerst engen Mord-
definition des deutschen Strafgesetzbuches, die
wesentlich enger als die alttestamentliche ist.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
w
dürfte Abtreibung von deutschen Richtern fast im-
mer als Totschlag eingeordnet werden, da
niederträchtige usw. Motive gefunden werden
mijssen. Folgt man dagegen der alttestamentli-
chen Definition von 'Mord' und 'Totschlag' handelt
es sich bei Abtreibung immer um Mord, da Abtrei-
bung praktisch nie im unberechenbaren Affekt oder
als ungewollte Folge eines Unfalls stattfindet^^.
Im übrigen sind auch die Zeiten vorbei, wo die
Frage, ob durch eine Abtreibung menschliches Le-
ben getötet werde, noch diskutiert wird, weitge-
hend vorbei. Im Gegensatz zu den 60ger Jahren
gestehen dies heute die meisten Abtreibungs-
befürworter zu. Barbara Ritter schreibt darüber er-
bost - auch wenn sie zurecht andeutet, daß die
Wissenschaft ihre religiösen Wurzeln leugnet:
"Die Definitionsmacht über Lebensbeginn und Tod
haben nach der Kirche die Medizin und Biologie an
sich gerissen. Die Wissenschaft drückt nun mit ih-
rem Schein von Exaktheit die Religion beiseite und
macht abtreibenden Frauen genauso den Vorwurf
der Tötung. "'^
Tatsächlich sind sich meist eher die Abtreibungs-
befürworter bewußt, daß die meisten Abtreibungs-
gegner de facto vom in der Bibel offenbarten Ge-
setz Gottes ausgehen, das für sie in der Theorie
meist keine Bedeutung mehr hat, wie die folgende
Polemik zeigt:
"Offensichtlich gibt es viele, die die von Gott per-
sönlich überreichte Tontafel der 10 Gebote mit der
Geschichte des Strafgesetzbuches gleichset-
zen.^^
Wenn dem doch so wäre! Jedenfalls ist der Um-
stand, daß viele Abtreibungsbefürworter akzeptie-
ren, daß Abtreibung Tötung menschlichen Lebens
ist, auch ein Musterbeispiel für das Versagen aller
Versuche, mit einem vermeintlichen Naturrecht zu
argumentieren. Wer ohne christlichen Bezug ge-
gen die Abtreibung argumentiert, hat vielleicht
einen Etappensieg errungen, indem seine Gegner
nun das Kind für menschliches Leben halten^".
Doch nun sehen die Gegner nicht ein, daß dieses
Leben bewahrt werden muß. Was hilft da nun au-
ßer der Berufung auf den Schöpfer, sein Gesetz
und sein Gericht?
Kardinal Josef Ratzinger hat darauf hingewiesen,
daß nur eine "theonome Auffassung"^' (im Gesetz
Gottes begründete Auffassung) des Rechts die
Unantastbarkeit der Person unter allen Umständen
garantieren kann, nicht aber der Wille der Allge-
meinheit. Auch hier sieht man mehr und mehr, daß
eine naturrechtliche oder wissenschaftliche Argu-
mentation nicht genügt.
Die christliche Ablehnung der Abtreibung und die
Gleichstellung des Tötens eines ungeborenen mit
dem Töten eines geborenen Menschen stützt sich
vor allem
1) auf das allgemeine Mordverbot der Zehn Ge-
bote;
2) darauf, daß die 'Leibesfrucht' als Segen gilt;
3) darauf, daß die Bibel Menschen im Mutterleib
als Menschen - sogar mit einer Beziehung zu Gott
- betrachtet;
4) auf 2Mose 21,22-25.
Das Mordverbot der Zehn Gebote
In den Zehn Geboten heißt es: "Du sollst nicht tot-
schlagen [oder: morden]." (2Mose 20,13; 5Mose
5,17; Mt 5,21 )^^ wobei jedes unrechtmäßige Töten
gemeint ist. Ausnahmen für das Mordverbot der
Zehn Gebote gibt es nur, wenn Gott selbst das
Töten ausdrücklich verordnet oder zugelassen hat,
wie das etwa bei der staatlichen Todesstrafe
(IMose 9,5-6; 2Mose 21,12; Rom 13,3-4; Apg
25,11), der Selbstverteidigung des einzelnen
(2Mose 22,1-2) oder der Selbstverteidigung des
Landes der Fall ist (Neh 4,8+14; Rom 13,4). Nir-
gends hat jedoch Gott irgendeiner Instanz das
Recht verliehen, ungeborene, vor jedem staat-
lichen Gericht unschuldige Kinder zu töten.
Eltern haben im Alten Testament noch nicht einmal
das Recht, über ihre Kinder zu Gericht zu sitzen.
So mußten Kinder, die etwa die Eltern tätlich be-
drohten und bei denen das "Züchtigen" nichts
mehr half, von den Eltern dem örtlichen Gericht
übergeben werden und durften nicht von den El-
tern selbst bestraft werden (5Mose 21,18-21 )".
Das elterliche Recht geht eben nicht über die
Züchtigung hinaus (Spr 19,18). Echte Srafgewalt
darf nur der Staat anwenden.
Bei den Römern hatte dagegen der Vater unbe-
schränkte Gewalt über seine ungeborenen und
geborenen Kinder und konnte sie deswegen auch
durch den Tod bestrafen. ^^ Oehler schreibt dage-
gen über das Alte Testament: "Auch das menschli-
che Recht der Eltern über die Kinder ist - ein
bemerkenswerter Unterschied zu den Rechtsord-
nungen anderer alten Völker - beschränkt; na-
mentlich hat der Vater kein Recht über Leben und
Tod der Kinder, wie es das römische Recht enthält
...; sondern die Eltern haben ... den ungehorsamen
lüderlichen Sohn vor die Obrigkeit zu bringen"^\
Viele andere Völker kannten ebenfalls das Recht
der Familie, ihre eigenen Mitglieder hinzurichten^^
Es ist unbegreiflich, wie sich oft dieselben Men-
schen darüber aufregen können, daß das Alte Te-
stament angeblich den Eltern das Recht gibt, ihre
Kinder der Todesstrafe zu übergeben (5Mose
21,18-21) - obwohl dies doch vor allem bedeutete,
daß Eltern nicht das Recht haben, nur dem Staat
zustehende Strafen über ihre Kinder zu verhängen
- gleichzeitig für die Abtreibung einsetzen, in der
die Eltern ihre Kinder sogar völlig grundlos, ohne
Nachweis irgendeiner Schuld und ohne ordentliche
Gerichtsbarkeit zum Tode verurteilen. Ja über-
haupt ist es meines Erachtens eine Bankrott-
erklärung des Humanismus, wenn seine Verteidi-
ger einerseits gegen jegliche, auch die von Gott
geforderte, Todesstrafe im Namen der Menschen-
rechte Sturm laufen, gleichzeitig aber das Recht
auf die von Gott verbotene Abtreibung einfordern.
Ein solcher Humanist ist eben nicht grund-
sätzlich gegen das Töten, sondern will nur
selbst an der Stelle Gottes bestimmen, wann
Töten 'human' und erlaubt ist und wann nicht.
Kinder sind ein Segen
Nicht erst das geborene Kind, sondern schon die
"Leibesfrucht" gilt dem Psalmisten Salomo als
"Belohnung" (Ps 127,3; vgl. V.3-5) von Gott:
'"Kinder sind eine Gabe des Herrn und die Lei-
besfrucht eine Geschenk,' In Ps 128,3+6 zählen
Kinder und Enkel zum besonderen Segen Gottes.
Jakob spricht deswegen von den "Segnungen der
Brüste und des Mutterleibes" (IMose 49,25). Es
gilt als etwas Besonderes, wenn Gott "die Frucht
des Leibes segnen" will (5Mose 7,13; vgl. V.14).
Dies gilt ausdrücklich als eine der Folgen des Hal-
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
43
r
ii
tll:
ten des Gesetzes (5Mose 28,4). Wer den Eltern
das Recht auf Abtreibung zugesteht, muß
zunächst alles leugnen, was die Bibel über die
Aufgabe und Bedeutung der Elternschaft lehrt.
Es ist Gott allein, der Kinder schenkt. Dies wird im
Alten Testament gerade an der Kinderlosigkeit
deutlich. Die Erzmütter Sara, Rebekka und Rahel
waren alle zunächst unfruchtbar und wurden erst
durch Gottes gnädiges Eingreifen schwanger. Als
Rahel vordem an ihr geschehenen Wunder zu ih-
rem Mann sagt "Schaffe mir Söhne oder ich
sterbe!", antwortet ihr Jakob: "Stehe ich denn an
Gottes Statt, der dir die Leibesfrucht versagt hat?".
Dasselbe gilt für die Kinderlosigkeit Hannas, der
Mutter Samuels, (1Sam 1-2), die nach der Geburt
Samuels den Herrn überschwenglich lobt (1Sam
2,1-10). In Ps 113,9 wird Gott gelobt, "der die Un-
fruchtbare im Haus zu Ehren bringt, so daß sie
eine fröhliche Kindermutter wird, Hallelujal". Kinder
sind dabei in Ps 113,9 "Ehre", Freude und das
Glück der Eltern (vgl. Ps 144,12).
Die Aufforderung "sei fruchtbar und mehre dich"
(IMose 35,1 1 ; an Jakob) ergeht eigentlich an das
Volk Gottes. Nach 2Mose 1,7 war Israel sehr
fruchtbar, weil es Gottes Volk war, und Jes 48,18-
19 verspricht, daß das Volk Gottes so viele Nach-
kommen haben wird, wie es Sandkörner am Meer
gibt, wenn es Gott gehorcht. Es gilt als Segen, so
wie Hiob "seine Kinder und seine Kindeskinder,
vier Generationen" zu sehen (Hiob 42,17). Ge-
meindewachstum beginnt in der Bibel immer damit,
daß sich das Volk Gottes durch Vermehrung ver-
größert, und Gott hat die Sexualität als wun-
derbares Mittel zur Zeugung von Kindern geschaf-
fen, die in gottesfürchtigen Familien Gottes Liebe
und Gesetz kennenlernen.
Daß Kinder ein Geschenk Gottes sind, bedeutet
auch, daß die Eltern nicht die Schöpfer ihres Kin-
des sind, was der Kirchenvater Aurelius Augustin
besonders betont hat^^, sondern ihr Kind vom
Schöpfer empfangen. Auch deswegen haben bei-
spielsweise Eltern im Alten Testament kein Recht,
über ihre Kinder zu Gericht zu sitzen.
Hier offenbart sich auch die ganze Widersprüch-
lichkeit des Feminismus. Auf der einen Seite wird
behauptet, Frauen seien weniger gewalttätig. Da-
mit hat der Feminismus natürlich recht. Er über-
sieht dabei jedoch einerseits, daß deswegen
Frauen noch lange nicht 'gut' sind und leugnet
auch, daß Männer die Aufgabe der Verteidigung
haben, weswegen auch nur sie Wehrdienst leisten,
was zugleich die letzte vom Feminismus weit-
gehend unangetastete Bastion ist. Gerade diese
gewaltloseren Frauen werden nun aber erzogen,
ihr 'Recht' einzufordern, daß sie allein über das
Lebensrecht des ungeborenen Kindes zu be-
stimmen haben, wodurch sie millionenfach
schrecklichste Gewalt ausüben oder durch Männer
(Ärzte) ausführen lassen.
Kinder im IVlutterleib haben eine Be-
i28
Ziehung zu Gott
In der Bibel geht es längst nicht nur um die engbe-
grenzte biologische Frage, wann denn das men-
schliche Leben beginnt^^ Vielmehr ist der
IVIenscii im IVlutterleib ein Mensch mit einer
Beziehung zu Gott^".
Das gilt im Guten wie im Bösen. Die Erbsünde als
Trennung von Gott betrifft den Menschen bereit:
im Mutterleib, denn "in Sünde hat mich mein<
Mutter empfangen" (Ps 51,7;^' vgl. Ps 58,4; Jes
48,8). Jakob hat seinen Bruder bereits im Mutter
leib hintergangen (Hos 12,4).
Gleichzeitig ist der Mensch im Mutterleib eine per-
sönliche Schöpfung Gottes (Ps 139,13-16; Hiob
31,15; Jes 44,2; 44,24). Propheten und Gottes-
männer werden bereits im Mutterleib berufen und
geheiligt (Jeremia in Jer 1,5; Simson in Ri 13,5+7;
Jesaja in Jes 49,1; Johannes der Täufer in Lk
1,15+41; Jesus in Lk 1,41-44; Paulus in Gal 1,15).
Johannes der Täufer war bereits im Mutterleib
"vom Heiligen Geist erfüllt" (Lk 1,15) und "hüpfte
im Mutterleib" und - so Elisabeth - "hüpfte in mei-
nem Körper vor Freude" (Lk 1,41+44), als Jesus im
Leib seiner Mutter Maria hereinkam (Lk 1,41-44)!
Nicht zuletzt ist Jesus wahrer Mensch und wahrer
Gott vom Augenblick seiner Empfängnis an, da er
vom Heiligen Geist gezeugt wurde. Jesus war
schon im Mutterleib der Messias des jüdischen
Volkes und der Heiland der Welt.
Das Kind im Mutterleib hat eine Beziehung zu
Gott: Beispiele aus dem Alten und Neuen Te-
stament
Glauben an Gott im Mutterleib;
Ps 71,6: "Auf dich habe ich mich gestützt von
Mutterschoß an, vom Mutterleib hast du mich ent-
bunden."
Ps 22,1 1 : "Auf dich bin ich vom Mutterschoß her
geworfen, vom Leib meiner Mutter an bist du mein
Gott."
Berufung und Heiligung im Mutterleib:
Jer 1,5: (Gott zu Jeremia.) "Ehe ich dich im Mutter-
schoß gebildet habe, habe ich dich erkannt, und
ehe du aus dem Mutterleib hervorkamst, habe ich
dich geheiligt: zum Propheten für die Nationen
habe ich dich eingesetzt."
Rom 9,11-13; IMose 25,22-26: Jakob und Esau
haben im Mutterleib weder Gutes noch Böses ge-
tan. Jakob wird im Mutterleib berufen. ^^
Lk 1,15: (Ein Engel zu Zacharias über dessen
Sohn Johannes, dem Täufer:) "und schon vom
Mutterleib an wird er vom Heiligen Geist erfüllt
werden."
Lk 1 ,41-44: Johannes der Täufer begrüßt im Bauch
der Elisabeth Jesus im Bauch der Maria: "Und es
geschah, als Elisabeth den Gruß der Maria hörte,
daß das Kind in ihrem Körper hüpfte. Und Elisa-
beth wurde mit dem Heiligem Geist erfüllt und rief
mit lauter Stimme und sprach: Gesegnet bist du
unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht dei-
nes Leibes! Und woher kommt mir dies, daß die
Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe,
als die Stimme deines Grußes an mein Ohr drang,
hüpfte das Kind vor Freude in meinem Körper."
(Elisabeth war im sechsten Monat schwanger,
V.36;vgl. V.36+39)
Ri 13,5=7: (Ein Engel über Simson.-) "Ein Geweih-
ter Gottes soll der Knabe von Mutterleib an sein."
(in Ich-Form: Ri 16,17)
Jes 49,1: (Jesaja über sich:) "Der Herr hat mich
von Mutterleib an berufen, hat vom Schoß meiner
Mutter an meinen Namen genannt."
Gal 1,15: (Paulus über sich.-) "der mich vom Leib
meiner Mutter an auserwählt und durch seine
Gnade berufen hat."
44
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Im Mutterleib erschaffen:
Hiob 10,8-12: "Deine Hände haben mich ganz ge-
bildet und gestaltet durch und durch ... Bedenke
doch, daß du mich wie Ton gestaltet hast. ... Hast
du mich nicht wie Milch hingegossen und wie Käse
gerinnen lassen? Mit Haut und Fleisch hast du
mich bekleidet und mit Knochen und Sehnen mich
durchflochten. Leben und Gnade hast du für mich
gewirkt, und deine Obhut bewahrte meinen
Geist."^^
Ps 139,13-16: "Denn du hast meine Nieren zube-
reitet und hast mich im Mutterleibe gebildet. Ich
danke dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin.
Meine Seele erkennt, daß deine Werke wunderbar
sind. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als
ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebil-
det wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen
mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage
waren in dein Buch geschrieben, die noch werden
sollten und von denen keiner existierte."^*
Hiob 31,15: "Hat nicht er, der mich im Mutterleib
gemacht hat, ihn [gemeint ist der Knecht, V.13]
gemacht, und hat nicht einer uns im Mutterschoß
bereitet?"
Jes 44,2: "So spricht der Herr, der dich geschaffen
und dich von Mutterleib an gebildet hat, der dir hilft
Jes 44,24: "So spricht der Herr, dein Erlöser, der
dich von Mutterleib an gebildet hat..."
Sünde im Mutterleib; Erbsünde:
Hos 12,4: (Über Jakob:) "Im Mutterleib hinterging
er seinen Bruder"
Ps 51,7: "Siehe, in Schuld bin ich geboren, und in
Sünde hat mich meine Mutter empfangen. "^^
Ps 58,4: "Die Gottlosen sind von Mutterschoße an
abgewichen, die Lügenredner irren vom Mutterleib
an."
Jes 48,8: "Denn ich wußte, daß du völlig treulos
bist und daß man dich 'von Mutterleib an abtrünnig'
genannt hat."
Kinder im Mutterleib haben allerdings noch nicht
durch Taten gesündigt, denn Rom 9,11 sagt aus-
drücklich über Jakob und Esau im Mutterleib:
"Denn ehe sie geboren wurden und [damit] sie we-
der Gutes noch Böses getan hatten ..." (vgl. Rom
9,1 1 -1 3; 1 Mose 25,22-26 oben)
Weitere Stellen:
Hiob 3,11: "warum starb ich nicht im Mutterleib?"'^
(Im Mutterleib 'stirbt' man!; ähnlich Hiob 10,18)
Hiob 10,19: "Wäre ich doch vom Mutterschoß zum
Grab geleitet worden ..."; ähnlich auch Jer 20,17-
18
IMose 49,25: "... Segnungen der Brüste und des
Mutterleibes ..."
Man hat eingewandt, daß der Ausdruck "vom
Mutterleib an" bedeutet 'von Geburt an', also nur
die Zeit nach der Geburt meint. Im Fall von Lk 1,15
wird dies von bedeutenden Exegeten abgelehnt,
die in diesem Ausdruck nicht nur auch die Zeit im
Mutterleib mit eingeschlossen, sondern diese ge-
rade besonders betont sehen". Entsprechendes
gilt für den alttestamentlichen Ausdruck, wie be-
sonders Jer 1,5 deutlich macht^'.
In der Bibel sind im Menschen Leib und Seele un-
trennbar miteinander verbunden. Es gibt daher
keinen Zeitpunkt, zu dem die Seele erst in den
Leib schlüpft, wie dies für die griechisch-römische
Sicht ebenso grundlegend war, wie für die von ihr
beeinflußte hellenistisch-jüdische und die Sicht
mancher Kirchenväter. Die Frage, wann der Körper
denn seine Seele erhält, die vom Christentum
schließlich überwunden zu sein schien, erlebt
heute durch die Fristenlösung oft eine Neubele-
bung, sofern diese davon ausgeht, daß der bereits
als Embryo existierende Körper im Mutterleib zu ir-
gendeinem späteren Zeitpunkt zum eigentlichen
Menschen wird.
2Mose 21,22-25
Es gibt nur einen Gesetzestext im Alten Testa-
ment, der die juristische Seite der Abtreibung be-
leuchtet, nämlich 2Mose 21,22-25." In ihm geht
es nicht um eine gewollte Abtreibung, sondern um
die Tötung eines Ungeborenen durch unvorsichti-
ges Verhalten gegenüber der Mutter. Wenn jedoch
in diesem Fall die Tötung des Ungeborenen als
Tötung eines Menschen angesehen wird, ist die
Übertragung auf die Abtreibung durchaus be-
rechtigt.
Leider ist die Auslegung des Textes jedoch um-
stritten. Während die einen nämlich in dem Text
die Gleichsetzung der Tötung eines Kindes im
Mutterleib mit der Tötung eines Erwachsenen se-
hen, verstehen die anderen diesen Text gerade
umgekehrt als Beleg dafür, daß die Tötung eines
Erwachsenen die Höchststrafe nach sich zog, die
Tötung eines ungeborenen Kindes jedoch nur eine
Geldstrafe. (Als falsch gilt die Tötung des
ungeborenen Kindes also in beiden Fällen.)
"Wenn Männer miteinander raufen und dabei eine
schwangere Frau stoßen, so daß [Fall 1:] ihre Kin-
der herauskommen [oder: abgehen], aber [sonst]
kein Schaden entsteht, so muß dem Schuldigen
eine Geldstrafe auferlegt werden, je nachdem,
wieviel ihr Ehemann ihm auferlegt, und er soll es
nach dem Ermessen [oder: durch die Hand] von
Schiedsrichtern geben. [Fall 2:] Falls aber ein
Schaden entsteht, so sollst du geben Leben um
Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um
Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal,
Wunde um Wunde, Strieme um Strieme." (2Mose
21,22-25).
Die zwei Auslegungen hängen im wesentlichen
daran, ob in 2Mose 21,22 die Kinder der Frau a)
"abgehen" (im Sinne einer Fehlgeburt) oder b)
"herauskommen" (im Sinne einer lebensfähigen
Frühgeburt).
a) Geht es um das 'Abgehen' einer Fehlgeburt, so
muß in Fall 1 eine Geldstrafe für den Tod des un-
geborenen Kindes bezahlt werden. In Fall 2 kann
sich dann der "Schaden" nur auf die Mutter be-
ziehen. Kommt die Mutter körperlich zu Schaden,
wird das Strafmaß gemäß des 'lex talionis'" nach
dem Schaden bemessen und dies bis hin zum
höchsten Schaden, "Leben für Leben", also der
Todesstrafe für Mord. In diesem Fall wird der Tod
des Kindes mit einer variablen Geldstrafe belegt,
der Tod der Mutter jedoch mit der Höchststrafe.
b) Geht es dagegen um ein 'Herauskommen' einer
Frühgeburt, so muß in Fall 1 eine Geldstrafe dafür
bezahlt werden, weil eine Geburt zu früh ausgelöst
wird, wobei dann aber glücklicherweise das Kind
doch gesund zur Welt kam. In Fall 2 geht es dann
um einen möglichen körperlichen "Schaden" an
der Mutter oder dem Kind. In beiden Fällen gilt das
'lex talionis'. Im Falle des Todes der Mutter oder
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
45
1 .
des Kindes (oder beider) gilt die Höchststrafe nach
dem Satz "Leben für Leben". Der Schaden am
Kind wird genauso bemessen, wie der Schaden an
der IVlutter.
Die letztere Auslegung war lange Zeit unter Chri-
sten ein deutliches Argument gegen die Abtrei-
bung. Wegen der zentralen Bedeutung des Textes
konnte es jedoch nicht ausbleiben, daß besonders
im historisch-kritischen Bereich die erste Ausle-
gung aufkam, die die Aussage des Textes auf den
Kopf stellte. Meines Erachtens sprechen genügend
zahlreiche schwerwiegende Gründe für die 2.
Auslegung, so daß die traditionelle Sicht nicht nur
mit vielen Wenn und Aber vertreten, sondern als
Gottes Gesetz verkündigt werden kann'^V "Es gibt
absolut keine linguistische Rechtfertigung dafür,
V.22 so zu übersetzen, daß er sich auf eine
Fehlgeburt bezieht.""
Daran ändert auch nichts, daß viele Bibelüberset-
zungen die 1. Auslegung zugrunde legen und ihr
nachhelfen, indem etwa 2Mose 22,21 übersetzt
wird "ihr die Leibesfrucht abgeht"43. Hier ist näm-
lich nicht von "Leibesfrucht" die Rede, sondern von
"Kindern" und die Übersetzung "abgehen" macht
jede andere Auslegung unmöglich, was bei der
Übersetzung "herauskommen" o. ä. nicht der Fall
wäre.
Die Syndode der Presbyterian Church of America
argumentiert in ihrer Begründung, weshalb 2Mose
21 ,22-25 gegen Abtreibung spricht*\ folgenderma-
ßen:
1. Der Ausdruck "Kind" (Hebr. 'yeied') bezieht sich
nie auf das Kind im Mutterleib, sondern immer auf
das bereits geborene Kind. Es kann im ersten Fall
also nur davon die Rede sein, daß ein Kind ge-
boren wird.
2. Der Ausdruck "herauskommen" (Hebr. 'y^tza')
bezeichnet nicht den Tod eines Kindes, sondern
beschreibt immer die normale Geburt* (1Mose
25,26; 38,28-30; Hiob3,1 1 ; 10,18; Jer 1,5; 20,18),
nie jedoch eine Fehlgeburt. (In der einzigen Aus-
nahme 4Mose 12,12 geht es nicht um eine Fehl-
geburt, sondern um eine Totgeburt, die bereits im
Mutterleib starb.)
3. Das Wort "Schaden" (Hebr. 'ason'), bezieht sich
offensichtlich auf Mutter und Kind.
Walter C. Kaiser verweist zudem darauf, daß das
Hebräische ein Wort für Fehlgeburt bzw. Abtrei-
bung ('meschalet') kennt, das hier bezeichnender-
weise nicht verwendet wird (auf Menschen bezo-
gen: 2Mose 23,26; Hos 9,14; 2Kön 2,21 ; auf Tiere
usw. bezogen: 2Kön 2,19; IMose 31,38; Hiob
21,10)".
Diese Sicht war auch die Sicht, zu der Martin Lu-
ther und Johannes Calvin in ihren Auslegungen
kamen. Calvin schreibt:
"Diese Bestimmung würde höchst befremdlich und
unvernünftig sein, wenn man sie dahin deuten
wollte, daß der Tod des schwangeren Weibes,
nicht aber auch des noch ungeborenen Kindes
gerächt werden sollte. ""
Für die vorgeschlagene Auslegung spricht auch,
daß den vorchristlichen Juden anerkanntermaßen
die Abtreibung wohl unbekannt war*' .
Die oben erwähnte Übersetzung bzw. Auslegung
der Septuaginta kann hier außer Betracht bleiben,
weil sie ihre Aussage, daß es entscheidend sei, ob
das Embryo bereits Form habe oder nicht, man nur
durch eine Umarbeitung des hebräischen Textes
erreichen kann'*^.
Meredith G. Kline hat eine dritte Auslegung vorge-
schlagen". Er geht davon aus, daß "Schaden"
(Hebr. 'ason') (2Mose 21,22+23) immer einen sehr
schwerwiegenden, auch tödlichen Schaden be-
zeichnet und das letzte Wort von 2Mose 21,22
"Schiedsspruch" (Hebr 'bipeliliym') sich im Alten
Testament immer auf ein Urteil im Falle eines
Schwerverbrechens bezieht, also parallel zum 'lex
talionis' ("Auge um Auge ... ) in 2Mose 21,23 steht
In 2Mose 21,22 übersetzt er "und es entsteht
Schade" statt "aber es entsteht kein Schade'^ \
Dementsprechend geht er davon aus, daß 2Mose
21,22 (Fall 1) sich darauf bezieht, daß die Mutter
schwer zu Schaden kommt oder stirbt das Kind je-
doch gesund zur Welt kommt, 2Mose 21,23 (Fall
2) sich dagegen auf den umgekehrten Fall bezieht,
daß die Mutter gesund bleibt das Kind aber stirbt
In beiden Fällen muß das Auslöschen von Leben
bestraft werden, entweder mit dem Tod oder mit
einer gleichwertigen sonstigen Strafe.
Auch diese Auslegung bedeutet also, daß das Le-
ben der Mutter und des Kindes gleichwertig be-
handelt werden und auf die Tötung des Kindes die
Höchststrafe steht. Gegen die Auslegung spricht
allerdings, daß 1. in 2Mose 21,23 das Kind nicht
erwähnt wird und 2. sie nur dann richtig ist wenn
man in 2Mose 21,22 "es ensteht Schade" statt "es
entsteht kein Schade", wie der hebräische Text
eindeutig lautet, übersetzf^ , also ohne Begrün-
dung ein "nicht" oder "kein" ausfallen läßt
John J. Davis teilt mit Kline die Sicht daß der Aus-
druck "Schade" sich auf den Tod bezieht und be-
legt dies mit der Verwendung des Ausdrucks in
IMose 42,4+38; 44,2^\ In allen drei Fällen kann
der "Schaden" aber auch einen "Unfall" be-
zeichnen, der die Heimkehr nicht möglich macht
Wenn "Schade" mit Tod gleichzusetzen ist kann
man nur schwer erklären, warum das 'lex talionis'
genannt wird und nicht nur die Todesstrafe er-
wähnt wird. Da Davis Kline ansonsten nicht folgt
steht seine Auffassung der Auslegung nicht im
Weg, daß das Kind im ersten Fall überlebt ("kein
Schade"), im zweiten Fall jedoch Mutter und Kind
gleich behandelt werden.
Die christliche Ethik hat auch für das Verbot der
Abtreibung eine Ausnahme gesehen. Es handelt
sich dabei um einen echten Konflikt der Werte. Da
nur ein höher zu veranschlagender Wert eine Aus-
nahme für ein Gebot gestatten kann (z. B. Lüge,
um Leben zu retten), kann dem Gebot, das Leben
des Ungeborenen zu schützen nur eine andere Be-
drohung des Lebens, nie aber ein sonstiger Wert,
entgegenstehen. Schwierig ist die Entscheidung,
wenn das Leben des ungeborenen Kindes oder
das Leben der Mutter auf dem Spiel stehen, da
hier zwei gleiche Werte einander gegenüberste-
hen. (Nur in seltenen Fällen wird der Arzt aller-
dings überhaupt eine so eindeutige Prognose
stellen können). Eine offensichtliche Ausnahme
zum Abtreibungsverbot liegt jedoch eigentlich erst
vor, wenn entweder Mutter und Kind oder nur das
Kind sterben müssen". Dies ist in der Regel etwa
bei der Eileiterschwangerschaft der Fall. Gegen
eine Beendigung einer Eileiterschwangerschaft
und ähnlicher Fälle hat die christliche Ethik deswe-
gen nie etwas eingewandt. Allzuott wird jedoch
vergessen, die genaue ethische Begründung dafür
zu geben, so daß solche Entscheidung oft als in-
konsequent empfunden werden.
Im übrigen hat die Zahl der Eileiterschwanger-
46
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
I
I
schaffen wiederum aufgrund anderer Sünden und
Fehler enorm zugenommen (In der BRD kamen
1970 4,5, 1985 15,2 Schwangerschaften außer-
halb der Gebärmutier auf 1000 Schwangerschaf-
ten^^.) Zum einen werden nämlich die zunehmen-
den Geschlechtskrankheiten und durch ge-
schlechtlichen Verkehr übertragenen Infektionen
für Verklebungen des Eileiters verantwortlich ge-
macht, zum anderen liegt bei der sogenannten Spi-
rale das Risiko einer späteren Eileiterschwanger-
schaft bei 16 %. Dazu kommt das immer höhere
Alter der Schwangeren.^^
Anmerkungen:
Nach Zeitspiegel in Querschnitte 3 (1990) 4 {OI<t-Dez):
3
Ellinor E. N. Draper. "Birth Control". S. 1065-1073 in:
The New Encyclopedia Britannica. 30 Bd. Bd. 2. Eny-
clopedia Britannica: Chicago u. a., 198215/9, hier S.
1069 (Hervorhebung hinzugefügt). Henri van Straelen.
Abtreibung: Die große Entscheidung. Josef Habbel: Re-
gensburg, 1974. S. 32 schrieb bereits 1972 nach einer
Darstellung der Lage in Japan: "Die Tatsache, daß die
Abtreibung an die Stelle der Empfängnisverhütung ge-
treten ist, kennzeichnet auch die Lage in den anderen
Ländern."
Mechthild Bock. "Internationale Verbindungen". S. 182-
197 in: Frauen gegen den § 218 ... (Hg.). Vorsicht
'Lebensschützer'!: Die Macht der organisierten Abtrei-
bungsgegner. Konkret Literatur Verlag: Hamburg, 1991.
S. 185
"Sanger, Margaret". S. 678-679 in: Meyers Enzyklo-
pädisches Lexikon (in 25 Bänden). Bd. 20. Bibliographi-
sches Institut: Mannheim etc., 19779, hier S. 678
Vgl. dazu die ausgezeichnete Untersuchung von Ge-
orge Grant. Grand lllusions: The Legacy of Planned
Parenthood. Wolgemuth & Hyatt. Brentwood (TE), 1988
Mechthild Bock. "Internationale Verbindungen", a. a. O.
Bock bemängelt, daß Pro Familia bisher "zu diesen
Vorwürfen schweigt und sie bestenfalls verbandsintern
diskutiert" (ebd.).
Alles im Abschnitt "Die Verarbeitung einer Abtreibung
durch die Väter" in: Jochen Beuckers, Pantaleon
Fassbender (Hg.). Psychische Folgeschäden nach
Schwangerschaftsabbruch. Aktion Lebensrecht für alle:
Augsburg/Bonn, 1991. S. 76-77. Zu Recht wird dort
vermerkt, daß die letzte Zahl in Deutschland wesentlich
höher liegen dürfte. Klaus Bockmühl. Grundlagen
christlicher Sexualethik: Aussaat Verlag: Wuppertal,
1965. S. 12 schreibt dazu: "Freilich: Es ist leichter,
Empfängnisverhütung beizubringen als Enthaltsamkeit."
Ausgabe Nr. 38, 1989
Carsten Hobohm in: Zeispiegel in Querschnitte 4 (1991)
2 (Apr-Juni): 2
Jähnke. "Sechzehnter Abschnitt: Straftaten gegen das
Leben". S. 1-124 (zu §§ 218-220) in: Hans-Heinrich Je-
schek, Wolfgang Ruß, Günther Willms (Hg.). Strafge-
setzbuch: Leipziger Kommentar: Großkommentar. Bd.
5: §§ 185 bis 262. Walter de Grüyter: Berlin, 198910,
hier S. 9 (Hervorhebung hinzugefügt)
Franz Delitzsch. Jesaja. Brunnen Verlag: Giessen,
19844(18793). S. 184 (sie)
Vgl. sämtliche Arbeiten des Göttinger Embryoforschers
Erich Blechschmidt, z. B. Erich Blechschmidt. Die Er-
haltung der Individualität. Wort und Wissen 12. Hänss-
ler: Neuhausen, 1982; Erich Blechschmidt. Wie begann
das menschliche Leben?. Christiana Verlag: Stein (CH),
1976
Vgl. folgende theologischen Werke gegen Abtreibung:
Georg Huntemann. § 218: Um Leben oder Tod der Un-
geborenen. Brunnen: Giessen, 19711; 19722; Werner
Neuer. "Wann beginnt das menschliche Leben?". Fac-
tum 9/1982: 27-29; Kenneth L. Gentry. The Christian
Case Against Abortion. Footstool Publioations: Mem-
phis (TN), 19902; John Jefferson Davis. Abortion and
the Christian: What Every Believer Should Know. Pres-
byterian & Reformed: Phillipsburgh (NJ), 1984; Rousas
J. Rushdoony. The Qne and the Many. Thoburn Press:
Fairfax (VI), 1978. S. 130-138; Rousas J. Rushdoony.
Institutes of Biblical Law. Presbyterian & Reformed
Publ.: Phillipsburg (NJ), 1973. S. 263-269; Rousas John
Rushdoony. "Abortion". S. 20-23 in: The Encyclopedia
of Christianity. Bd. 1 . National Foundation for Christian
Education: Wilmington (DE), 1964; Rousas John Rush-
doony. Abortion is Murder. o. O., 1971; Kenneth L
Gentry. "The Christian Case Against Abortion". The
Journal of Christian Reconstruction 8 (1982) 2: Sympo-
8
9
10
11
12
13
sium on the Atonement. S. 118-157; Edward J. Murphy.
In Your Justice. Ross House Books: Vallecito (CA),
1982. S. 11-20; Gary North. When Justice Is Aborted:
Biblical Standards for Non-Violent Resistance. Domi-
nion Press: Ft. Worth (TX), 1989. Vgl. weitere christli-
che Literatur, in der weniger biblisch, als medizinisch-
biologisch argumentiert wird: Lothar Gassmann, Ute
Griesemann. Abtreiben?. Christiana-Verlag: Stein am
Rhein, 1985 (Kurzfassung: Lothar Gassmann, Ute
Griesemann. Abbruch. Hänssler: Neuhausen, 1986);
Martin Jost. Plädoyer für die Ungeborenen. Berneck,
1984; Francis Schaeffer, Charles Koop. Bitte, laß mich
leben!. Hänssler: Neuhausen, 1981; Helma Thielscher-
Noll, Hans Gerhard Noil. Ungeborene wollen leben.
Hänssler: Neuhausen, 1988
14 Dietrich Bonhoeffer. Ethik. Evangelische Buchge-
meinde: Stuttgart, o. J. S. 118. Vgl. zur Ablehnung der
Abtreibung durch Bonhoeffer und Karl Barth Henri van
Straelen. Abtreibung, a. a. Q. S. 70-71
15 Dietrich Bonhoeffer. Ethik, a. a. Q. S. 118-119. Bonho-
■. , . .. effer lehnt die Abtreibung selbst dann ab, wenn das Le-
'--■■■: ben der Mutter in Gefahr ist: ebd. S. 119, Anm. 6
16 Vgl. Renate Wilke, Barbara Ritter. "Von 'Mord' und
'fahrlässiger Tötung'". S. 198-206 in: Frauen gegen den
§ 218 ... (Hg). Vorsicht 'Lebensschützer'l: Die Macht
der organisierten Abtreibungsgegner. Konkret Literatur
Yerlag: Hamburg, 1 991, hier S 199-200
17 Ähnlich argumentieren auch Abtreibungsgegner ohne
Hinweis auf das Alte Testament, vgl. die Beispiele in
ebd. 198-199.
18 Z. B. Barbara Ritter. "Euthanasievorwurf und Definition
von 'Beginn und Ende des Lebens'". S. 207-211 in:
Frauen gegen den § 218 ... (Hg). Vorsicht
'Lebensschützer'!: Die Macht der organisierten Ab-
treibungsgegner. Konkret Literatur Verlag: Hamburg,
1991. hier S. 209. Ritter vertritt dagegen vehement die
nun wirklich überholte Position: "Die Trennung von Frau
und Leibesfrucht in zwei juristische Personen ist unzu-
lässig ..." (ebd. S. 210)
19 Renate Wilke, Barbara Ritter. "Von 'Mord' und
'fahrlässiger Tötung'", a. a. O. S. 202
20 So sehr deutlich auch Kenneth L. Gentry. The Christian
Case Against Abortion, a. a. O. S. 54-55
21 Lucio Brunelli. "Ratzingers Plan für die Enzyklika". 30
Tage und die Welt 2 (1992)5 (Mai): 28-31, hierS. 31
22 Zur Übersetzung "morden" statt "töten" ist wichtig, daß
das im sechsten Gebot gebrauchte Wort immer für
'rechtswidriges Töten' verwendet wird, gleich ob dies
absichtlich (4Mose 35,16-21; 5Mose 22,26) oder
unabsichtlich (4Mose 35,11+24-28; 5Mose 4,42; 19,1-
13; Jos 20+21) geschieht.
23 Vgl. Ray R. Sutton. Who owns the Family: God or the
State?. Biblical Blueprints Series 3. Dominion Press: Ft.
Worth (TX); Thomas Nelson: Nashville (NY), 1987. S.
40-50; Rousas J. Rushdoony. The Institutes of Biblical
Law. a. a. O. S. 185-191 u. ö.
24 Achim Keller. Die Abortiva der Römischen Kaiserzeit.
Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 46.
Deutscher Apotheker Verlag: Stuttgart, 1988300
S.Kopien. S. 23
25 Gustav Friedrich Qehler. Theologie des Alten Testa-
ments. J. F. Steinkopf: Stuttgart, 18913. S. 372
26 Carle G. Zimmerman. Family and Civilization. Harper &
Brothers: New York/London, 1947. S. 359-383
27 Aurelius Augustin, 'Über die Dreieinigkeit' 3,13+16, ab
gedruckt in Alfons Heilmann (Hg). Texte der Kirchen-
väter. 5 Bd. Bd. 3. Kösel: München, 1964. S. 652-653
28 Vgl. Bruce K. Waltke. "Reflections from the Old Testa-
ment on Abortion". Journal of the Evangelical Theologi-
cal Society 19 (1976) 3-13 und Kenneth L. Gentry. "The
Christian Case Against Abortion". (Aufsatz) a. a. Q. (S.
130-141 zu Ps 139; S. 141-143 zu Ps51 ; S. 143-146 zu
Hiob 3)
29 Vgl. dazu die ausgezeichnete Fragenbeantwortung in
John Ankerberg, John Weldon. When Does Life begin?.
Wolgemuth & Hyatt: Brentwood (TN), 1989, sowie das
Standardwerk Mrs. J. C. Willke. Handbook on Abortion.
Hayes: Cincinnati (OH), 19793 (in viele Sprachen über-
setzt)
30 Vgl. dazu Werner Neuer. "Wann beginnt das menschli-
che Leben?". Factum 9/1982: 27-29
31 Vgl. die guten Ausführungen zu Ps 51 als Argument
gegen Abtreibung in "Report of the Committee to Study
the Matter of Abortion". S. 83-122 in: John M. Frame.
Medical Ethics: Principles, Persons and Problems.
Presbyterian & Reformed Pub!.: Phillipsburg (NJ). 1988.
S. 94-95+106-107
32 Vgl. zu den Texten John Jefferson Davis. Abortion and
the Christian, a. a. Q. S. 46-47
33 Vgl. zum Text ebd. S. 44-45
34 Vgl. zum Text Kenneth L. Gentry. The Christian Case
Against Abortion (Buch), a. a. O. S. 24-43
35 Vgl. zum Text ebd. S. 44-47
36 Vgl. dazu ebd. S. 49-52
MEDIZIN & IDEOLQGIE April 94
47
37 Z.B. I.Howard Marshall. The Gospel of Luke. The New
International Greek Testament Commentary. Paterno-
ster: Exeter (GB), 1978. S. 58; Frederic Godet. Kom-
mentar zu dem Evangelium des Lukas. Brunnen Verlag.
Giessen, 1986 (Nachdruck von 18902); S. 58; Theodor
Zahn. Das Evangelium des Lucas. Brockhaus Verlag:
Wuppertal, 1988 (Nachdruck von 19204). S. 68
38 Dies betont bes. Zahn in ebd. S. 68 Anm. 61 . Daß mit
"vom" übersetzte hebr. mem ist ein mem, daß eine Be-
dingung beschreibt und wird deswegen auch im sinne
von "im.. Mutterleib" von der Septuaginta, der griechi-
schen Übersetzung des Alten Testamentes, wieder-
gegeben. "IWutterlelb" beschreibt also die Bedingung
und den Umstand, in dem sich die Person befindet; so
auch Kenneth L. Gentry. The Christian Gase Against
Abortion (Buch), a. a. O. S. 51
39 Vgl. Gordon Wenham. "Law and the Legal System in
the Old Testament". S. 3-23 in; Bruce Kaye, Gordon
Wenham (Hg). Law, Moralify and the Bible. Inter-Var-
sity Press: Leicester, 1978, fiier S. 33-34 (und die dort
genannte Literatur)
40 Es ist wichtig, daß das 'lex talionis' normalerweise nicht
wörtlich ausgeführt wurde, sondern die Höhe der Strafe
festlegte und beschränkte.
41 So auch Carl F. Keil. Genesis und Exodus. Brunnen
Verlag; Giessen, 19834 (Nachdruck von 18783). S.
525-526; Walter Kaiser. Towards Old Testament Ethics.
Zondervan: Grand Rapids (MI), 1978. S. 168-172-f102-
104; Gary North. Tools of Dominion: The Case Laws of
Exodus. Institute for Christian Economics: Tyler (TX),
1990 (Register); James B. Jordan. The Law of the Co-
venant: An Exposition of Exodus 21-23. Institute for
Christian Economics: Tyler (TX), 1984. S. 113-115;
Kenneth L. Gentry. The Christian Case Against Abor-
tion (Buch), a. a. O. S. 62-68; Jack W. Cottrell.
"Abortion and the Mosaic Law". Christianity Today 17
(1972-73): 602-605
42 Ebd. S. 604
43 Revidierte Elberfelder Übersetzung
44 Stellungnahme der Presbyterian Church of America, zi-
tiert in; Joe Morecraft. 'With Liberty and Justice for All:
Christian Politics Made Simple'. Onward Press: Sevier-
ville (TN), 1991. S. 182-184. Eine zum selben Ergebnis
kommende Exegese verabschiedete die Orthodox
Presbyterian Church 1971 ; "Report of the Committee to
Study the Matter of Abortion", a. a O. S. 95-102-h107-
108 (die beste mir bekannte Exegese und Diskussion
von 2Mose 22,21-25)
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
So auch Walter C. Kaiser. Towards Old Testament
Ethics. a. a. O. S. 170
Ebd. S. 170-171. Weitere Vertreter der Frühgeburts-
sicht nennt Bernard S. Jackson. "The Problem of Exod.
XXI 22-5 (lus Talionis)". Vetus Testamentum 23 (1 973)
272-304, hier S. 292, der die Sicht selbst aus historisch-
kritischerSicht vertritt (vgl. seinen Gegner Samuel W.
Loewenstamm. "Exodus XXI 22-25". Vetus Testamen-
tum 27(1 977) 352-360).
Johannes Calvin. Auslegung der Heiligen Schrift in
deutscher Übersetzung. 2. Bd. und 3. Bd.: 2.-5. Mose
(1 . und 2. Hälfte). Verlag der Buchhandlung des Erzie-
hungsvereins: Neukirchen, o. J., hier2. Bd. S. 629-630
So Emiel Eyben. "Family Planning in Graeco-Roman
Antiquity". Ancient Society 11/12 (1980/1981): 5-82
hierS. 11 unter Verweis auf zahlreiche andere Autoren
(ebd. Anm. 20 u. ö.)
Vgl. die Argumente in ebd. S. 103 und bei Carl F. Keil.
Genesis und Exodus a. a. O. S. 525, Anm. 1
Meredith G. Kline. "Lex Talionis and The Human Fe-
tus". Journal of the Evangelical Theological Society 20
(1977): 193-201
Ebd. S. 193
So auch Walter C. Kaiser. Towards Old Testament
Ethics. a. a. O. 171-172 nach Darstellung der These
Klines und John Jefferson Davis. Abortion and the Chri-
stian, a. a. O. S. 51-52
John J. Davis. Studies in Exodus. Baker Book House:
Grand Rapids (MI), 19862. S. 235
So John Jefferson Davis. Abortion and the Christian, a.
a. O. S. 71 und die von ihm genannten zahlreichen
evangelikalen Autoren
Ratgeber aus der Apotheke (Streck: Oberhausen) vom
1.3.1992. S. 27
Ebd.
4
Anmerkung der Redaktion: Die Eileiterschwanger-
schaft wurde in der Zeit der noch nicht möglichen
Ultraschalluntersuchungen in der Regel erst fest-
gestellt, wenn es durch Blutungen in die freie
Bauchhöhle zum akuten Abdomen kam. Heute ist
eine Frijhdiagnose möglich und damit der Versuch
einer Einpflanzung der Frucht in die Gebärmutter.
Buchhinweis:
Ivo Höllhuber, Der Todesschlaf Europas, mit einer
Einführung von Alfred Schickel, XXII, 634 Seiten.
ISBN 3-7758-1298-9, Mainz: v.Hase & Koehler
Verlag 1993.
Mit den Mitteln quellengestützter Geschichtsdar-
stellung werden der Wust von Lügen, Entstellun-
gen, Verschweigen und die Akteure und Hinter-
männer der Entwicklung in Europa aufgedeckt.
Eine Fülle von dokumentierenden Büchern, die
man sonst kaum genannt findet, werden herange-
zogen, zitiert, ausgewertet. Zahlreiche Tabus und
Dogmen der Neuzeit und Zeitgeschichte werden
gebrochen und aufgelöst. Es beginnt mit dem Völ-
kermord an den Armeniern, von den Türken - im
Schutz des 1. Weltkrieges - mit brutaler Grausam-
keit begangen. Dann folgt "Die Verfemung des
Volkes der Europäischen Mitte", jene Haß-, Lügen
- und Verleumdungskampagne der Westmächte
gegen Deutschland, die über Versailles bis zu
Potsdam und durch die Verewigung tatsächlicher
und angeblicher Schuld in aller - durch die heuti-
gen Medien potenzierter Primitivität bis heute fort-
lebt (z.B. in vielen ordinären, den Deutschenhaß
aufstachelnden Hetzfilmen in USA und England).
Man lese bei Höllhuber, wie es wirklich war und ist.
Auch das Dogma von der Alleinschuld Deutsch-
lands am 2. Weltkrieg ist nicht - geschichtlich
wirklich objektiv betrachtet - zu halten. Höllhuber
über einen Mit-Schuldigen: "Der Hochgrad-Frei-
maurer, Franklin Roosevelt ist somit als Vergewal-
tiger des Gewissens des amerikanischen Volkes
und als Totengräber Europas entlarvt." (S. 196)
Auch über Hitler, seine ihn verratenen (Bormann,
Himmler) Genossen, den sogen. Holocaust, den
"Nürnberger Prozeß - eine tragische Justiz-Komö-
die", zur Problematik und Korruption in der UNO
und dann wieder "Europa", werden keine Tabus
gescheut. Die zwielichtige Gestalt von Graf Cou-
denhove-Kalergi, weitblickende Europäer, der ethi-
sche und philosophische Todesschlaf... dies alles
wird innerlich zusammengehalten durch konzep-
tionelle Klarheit und ethisch-religiöse Tiefenschau.
Einem von dem Un-Sinn des "Monstrums
Maastrich" (Johannes Groß) mit Recht aufge-
schreckten Europa und endlich teilweise aufge-
wachten Deutschland, für das die Folgen - wie
manche nicht abwegig meinen - ein Super-Ver-
sailles bedeuten könnte, ist dieses Ausnahme-
Buch mit seinen vielen Augenöffnern eine wahre
Medizin. Es gibt wieder Fundament und Richtung
und entlarvt leeres, taktisch interessiertes Ge-
schwätz und bloße hohle Rhetorik.
"Europa hat das natürliche menschliche Gewissen
und seinen Sinn für "gut" und "böse" unter dem
Deckmantel angeblich "tabu"-freier Wissenschaft-
lichkeit eingeschläfert. (...)"
Entnommen aus Theologisches, Jan. 94 von
Prof.Dr. Joh. Bökmann.
48
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Dr.Peggy Morris:
Euthanasie durch Entzug von Nahrung und Flüssigkeit
Dr. Peggy Noms ist Ärztin und IVlitglied der "World
Federation of Doctors who respect Human Life". In
England gründete sie die ALERT, eine Bewegung
die sich gegen Euthanasie zur Wehr setzt.
Die im folgenden wiedergegeben Rede hielt
Dr.Norris anläßlich eines Symposiums zum Thema
"Euthanasie" im Europaparlament, das 1993 vom
"Straßburger Gesprächskreis" veranstaltet wurde.
Verfall der ärztlichen Ethik ' -
Zu Anfang möchte ich folgendes richtigstellen:
Euthanasie und Eugenik gab es schon lange vor
Hitler. Die Grundlage hierfür kann man wohl in
England finden.
Vor allem ist es wohl die Korruptheit unseres Me-
dizinerstandes, die für die Abwertung des men-
schlichen Lebens verantwortlich ist. Seit 1900 hat
sich eugenisches Gedankengut, das durch Darwin,
Malthus und dann vor allem durch das Galton-In-
stitut vorbereitet wurde, rasant verbreitet. - ,,.■ j
Die Projekte zur Erforschung des menschlichen
Genoms haben das Interesse an Eugenik neu be-
lebt; und da gilt es, sehr wachsam zu sein.
Der Psychiater Prof. Dr. Masrim aus Kanada er-
klärte bereits 1969, zwei Jahre nach der Legalisie-
rung der Abtreibung in England: "In 25 Jahren
werden wir die Euthanasie haben."
Der große deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufel-
and, der Leibarzt Goethes und Schillers, hat schon
1806 gewarnt: "Ein Arzt darf nichts anderes tun als
Leben bewahren. Ob es lebenswert ist oder nicht,
das geht ihn überhaupt nichts an. Wenn er einmal
solche Überlegungen zuläßt, die seine Aktionen
beeinflussen, dann wird der Arzt der gefährlichste
Mensch im Staat."
Diese Mahnung von 1806 ist ein wahrhaft prophe-
tisches Dokument. Einer unserer bedeutenden
Kinderärzte bestätigte Hufeland, als er zur Frage,
ob ein neugeborenes Kind mit Mißbildungen be-
handelt werden sollte oder nicht, erklärte: "Es geht
den Arzt überhaupt nichts an zu entscheiden, ob
das Baby eine gute oder schlechte Lebensqualität
hat. Das hat überhaupt nichts zu tun mit seiner
Ausbildung. Der Arzt hat nur als Aufgabe zu ent-
scheiden, ob Behandlung dem Kind helfen kann
oder nicht. Das ist seine eigene, enge Aufgabe,
und das dürfen wir niemals vergessen."
Die derzeitige Situation in Großbritannien ist sehr
ernst. Wir haben bereits das Tötungstabu gebro-
chen. Der britische Mediziner- und Ärzteverband
spricht praktisch mit gespaltener Zunge. Denn vor
kurzem hat man sich zwar bei der Jahrestagung
gegen die legalisierte Euthanasie ausgesprochen,
gleichzeitig aber entsprechende Leitlinien zur
"Behandlung" von Patienten in "resistentem, ve-
getativem Zustand" bestätigt. In diesen Leitlinien
heißt es; daß Ernährung und Wasserzufuhr
medizinische Behandlungen seien. Diese
"Behandlung" könne, wenn dadurch innerhalb von
12 Monaten der Patientenzustand nicht verbessert
werde - obwohl sie ihn am Leben hält - eingestellt
werden. Das heißt, man setzt damit den Patienten
dem Hungertod aus. Diese Leitlinien wurden vom
House of Lords - dem obersten Gesetzgeber - zur
Kenntnis genommen.
Menschliches "Gemüse"
Es ist erschreckend, daß man tatsächlich in der
Fachsprache und eben auch in den oben genann-
ten Leitlinien vom "vegetativem Zustand" spricht.
Menschen sind doch kein Gemüse (im englischen
vegetables). Diese Sprachwendungen sind eine
raffinierte Methode, Menschen zu entpersonifizie-
ren. In Großbritannien ist das Tötungstabu bereits
gefallen. Es wird genauso sein wie in Holland: Die
Gerichte werden Urteile fällen, die die Gesetze, die
"grundsätzlich" die Euthanasie noch verbieten,
umgehen, und wir werden so in der Tat die Eutha-
nasie legalisiert haben.
Tony Bland war ein 28jährigr Patient, bei dem in-
folge eines starken Hirnschadens, den erbei einem
Tribünenbrand in einem Fußballstadion erlitt, ein
'Persistent Vegetative State' (auch apallisches
Syndrom genannt) diagnostiziert wurde. Seine El-
tern und der ihn behandelnde Arzt stellten beim
Gerichtshof den Antrag, die Nahrungs- und Flüs-
sigkeitszufuhr einzustellen.
Solche Patienten befinden sich nicht im Koma. Sie
schlafen und sie wachen auf, aber sie können sich
nicht mitteilen. Sie können selbständig atmen, und
das Herz schlägt ohne künstliche Unterstützung.
In einer speziellen Abteilung im Royal Hospital in
Putney sind solche Patienten tagsüber nicht im
Bett. Man setzt sie in ihre Rollstühle und beugt so
u.a. Gelenkverkürzungen vor. Man ernährt sie
nicht über Infusion, sondern über Magensonde, so
werden u.a. Infektionen verhindert. Mit dieser Ma-
gensonde kann der Patient normal ernährt werden.
Bei der Betreuung solcher Patienten, die ja im ei-
gentlichen Sinne gar nicht krank sind, die eben le-
diglich sehr schwer behindert sind, liegt die eigent-
liche Schwierigkeit im wirtschaftlichen Bereich, da
sie oft über Jahre hinweg intensiver pflegerischer
Betreuung bedürfen.
Empfindungsfähige Patienten
Eine wichtige Frage im Umgang mit diesen Men-
schen ist die Frage nach dem, was sie in diesem
Zustand wahrnehmen.
Ein junger Mann, der in Putney eingeliefert wurde,
hatte in Südafrika einen Unfall erlitten. Seine Mut-
ter hatte darum gebeten, ihn in Südafrika besu-
chen zu dürfen. Die Antwort: "Kommen Sie lieber
nicht, Ihr Sohn wird bald tot sein." Dieser Junge
wurde später nach Putney verlegt und lernt
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
49
I
■
m
mittlerweile erneut laufen. Er erzählt von den Leu-
ten, die ihn damals besuchten. Dabei beschrieb er
auch einen Besucher in blauer Uniform; später
stellte sich heraus, daß die Beschreibung auf eine
Nonne paßte, die ihn besucht hatte, als er sich im
diesem angeblich nicht ansprechbaren Zustand
befand.
In einem anderen Fall berichtete ein Mann, der aus
diesem Zustand "erwachte", daß er mit der ihn
pflegenden Krankenschwester geredet habe, diese
aber nicht auf ihn eingegangen sei. Die von ihm
beschriebene Situation ließ sich rekonstruieren,
und die Krankenschwester konnte identifiziert wer-
den. Obwohl er der festen Überzeugung war, die
Schwester angesprochen zu haben, hatte sie keine
derartigen Bemühungen des Patienten bemerkt.
Wir können doch solche Menschen nicht einfach
abschreiben, so, als ob es sich hier nur um eine
"lebende Hülle", um Umenschliches Gemüse" oder
welche Begriffe wir da so in den Gerichtshöfen hö-
ren, handeln würde.
Ich selber habe zusammen mit einem Freund eine
Organisation gegründet, die ALERT heißt. Das ist
eine Anti-Euthanasie-Bewegung.
Wir möchten die Öffentlichkeit informieren. Wir
möchten aber auch diesen Menschen, z.B. auch
über ihre Verwandten, eine Stimme geben. Über
die Entscheidung der Lords im Fall Tony Blend wa-
ren viele Familien sehr empört. Die Lords hatten
bestimmt, daß man den behandelden Arzt, wenn
er dem Patienten die Flüssigkeits- und Nahrungs-
zufuhr entziehe, keines Verbrechens für schuldig
befinden werde. Wir haben ungefähr 1000 Patien-
ten, die sich im selben Zustand wie Tony Blend
befinden. Ihre Familien sind mehr als verärgert, sie
haben berechtigte Angst. Denn da gilt es nicht nur
die moralische Seite zu beachten. Sehen Sie sich
doch einmal die versicherungsrechtliche Frage an.
Wird künftig die Versicherung nur ein Jahr lang
zahlen und dann sagen: "Ihr könnt ja zum Ge-
richtshof gehen und den Antrag stellen, daß euer
Verwandter umgebracht werden darf?
Ärzte: Niemals Töten
Am 29. Mai 1993 wurde in einer medizinischen
Zeitschrift von Ärzten über 43 Patienten berichtet,
die sich im "Persistenten Vegetativen Zustand"
befanden. 11 dieser Patienten haben ihr
Bewußtsein innerhalb von vier Monaten wiederer-
langt, und es geht ihnen zunehmend besser. Nach
12 Monaten konnte ledlich bei einem Patienten
keine Kommunikation festgestellt werden. Sechs
Patienten konnten Ja und Nein sagen, und vier
haben die Fähigkeit zum Sprechen wiedererlangt.
Vier konnten selbständig essen, drei brauchten
Hilfe bei der Nahrungsaufnahme. Vier weitere wer-
den weiterhin durch eine Magensonde ernährt. Die
Ärzte erklärten, daß der Genesungsprozeß jah-
relang dauern könne. Es seien Fälle bekannt, bei
denen die Genesung des Patienten erst nach fünf
Jahren aufgetreten sei.
Drei Familien haben in unseren Konferenzen öf-
fentlich über ihre Erfahrungen gesprochen. Ihnen
war von Ärzten gesagt worden: "Vergessen Sie
doch Ihren Sohn, vergessen Sie Ihre Tochter, fan-
gen Sie mit einem neuen Leben für sich selbst an."
In einem der Fälle handelt es sich um eine Frau
von 47 Jahren, die bewußtlos im Bett gefunden
worden war. Sie sitzt heute im Rollstuhl und zeigt
trotz bleibenden Hirnschadens reges Interesse an
ihrer Umwelt. Der andere Fall: ein Junge nach
Autounfall. Der Pfarrer, der ihn regelmäßig be-
sucht, fragte die Mutter des Jungen, ob sie
möchte, daß James gefirmt würde. Als der Bischof
zu James kam, waren ca. 40 Freunde und Ver-
wandte anwesend. James wurde gefirmt und emp-
fing die heilige Kommunion. Am Ende der Zeremo-
nie hörten alle, wie James klar und für alle ver-
nehmbar "Amen" sagte.
.1
Ja, ich hoffe, daß wir die Familien weiter ermutigen
können, sich für den Schutz der ihnen Anvertrau-
ten einzusetzten; denn dieser Schutz ist in der Ge-
sellschaft verlorengegangen.
Wir haben die Unterschriften von 800 Ärzten, die
sagen, daß sie niemals absichtlich den Tod eines
Patienten verursachen werden. Sie verpflichten
sich auch, niemals einen Patienten an einen Arzt
zu überweisen, der bereit ist, Euthanasie anzu-
wenden. Diese Ärzte erklären: "Wir werden nie-
mals wissentlich - natürlich ohne Leiden zu verlän-
gern oder zur Behandlung ohne Hoffnung zu raten
- absichtlich das Leben beenden. Und wenn solche
Richtlinien zum Töten kommen und Rechtskraft
erlangen, dann lehnen wir es ab, den Tod durch
Nahrungs- oder Flüssigkeitsentzug herbeizuführen.
Wir lehnen es ebenso ab, andere Ärzte zu einer
solche Handlung zu veranlassen.
Karl Salier, Kempten
Offener Brief
Datum 17.03.1994
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit allen Mitteln bis an die Grenze des Unzumutba-
ren führte die Berichterstattung der Presse und
Medien mit einer Akzentverschiebung von der Eu-
thanasie zur sogenannten "Sterbehilfe".
Auch das Kemptener Schwurgericht dürfte mit sei-
nem "Im Namen des Volkes" (?) absolut milden
Urteil auf den Trick "Mitleidstötung" herein gefallen
sein. Man muß also das Töten dürfen nur richtig
interpretieren können und der tötende Veranlasser
wird dann noch zum "Helfer der Menschheit" er-
kannt. Welch zynische Entwicklung in unserer Ge-
sellschaft! Um so nachdenklicher stimmt mich die
Aussage von Dr. Leo Alexander, der im Rahmen
der "Nürnberger Prozesse" mit der Untersuchung
der deutschen Vergangenheit beauftragt wurde,
formuliert: "Welche Ausmaße die NS-Euthanasie
auch immer angenommen haben, am Anfang
50
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
M
1^
stand immer eine feine Al^zentverschiebung".
So wird die Zahl der Verantwortungsfühlenden und
- tragenden, die Zahl der Besorgten und Pflegen-
den um das Lebensrecht unserer behinderten,
kranken, einsamen und sonst unerwünschten
Menschen Legion.
Als vor 51 Jahren, am 18. Februar 1943 die Ge-
schwister Scholl ihre Flugblätter in den Lichthof der
Münchner Universität warfen, wurden sie darauf
hin verhaftet und vier Tage später am 22.02.1943
hingerichtet. Heute würden sie sich abermals wider
allen Zeitgeist und Opportunismus mutig für das
Grundrecht des Menschen auf Leben und körperli-
che Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) einsetzen!
Und wie bei der Diskussion um den § 218 wird das
deutsche Volk betäubt und wiegt es erneut in einen
dumpfen blöden Schlaf und gibt einer dekadenten,
liberalen Gesellschaft Mut und Gelegenheit weiter
zu wüten um den Euthanasie-Mord in einem Nebel
von Begriffen wie: Erlösungstod, Sterbehilfe, Gna-
dentod usw. zu verschleiern.
1
aus F.A.Z. vom 27.6.92
Frank Wedekind
Der Tantenmörder . .
Ich hab' meine Tante geschlachtet.
Meine Tante war alt und schwach;
Ich hatte bei ihr übernachtet
Und grub in den Kisten-Kasten nach.
Da fand ich goldene Haufen,
Fand auch an Papieren gar viel
Und hörte die alte Tante schnaufen
Ohn Mitleid und Zartgefühl.
Was nutzt es, daß sie sich noch härmel
Nacht war es rings um mich her.
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,
Die Tante schnaufte nicht mehr.
Das Geld war schwer zu tragen.
Viel schwerer die Tante noch.
Ich faßte sie bebend am Kragen
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch. -
Ich hab' meine Tante geschlachtet.
Meine Tante war alt und schwach;
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach
,h;:.n
Wulf Segebrecht
Gefährliches Paradestück
Der Tantenmörder spricht in eigener Sache. Er
wendet sich, wie sich am Ende herausstellt, an
seine Richter, die ihn verurteilen wollen. Seine
Rede vor Gericht beginnt mit einem uneinge-
schränkten Geständnis: Jawohl, er hat seine Tante
getötet, er hat sie sogar "geschlachtet", wie der
Metzger ein Tier schlachtet. Der Tantenmörder
scheut sich nicht, diesen Ausdruck auf seine ei-
gene Tat anzuwenden. Er will sich gar nicht vertei-
digen, obwohl er als Angeklagter vor Gericht steht,
er will seine Tat vielmehr rechtfertigen. Schließlich
war die besagte Dame "alt und schwach". Das
muß genügen. Denn schon das spricht, meint er,
gegen sie.
Es folgt die Beschreibung der Tatvorbereitung und
des Tathergangs. Die Tante war nicht nur hinfällig,
sondern auch reich, und auf ihre Wertpapiere und
ihr Bargeld hatte es ihr Neffe abgesehen. Mögli-
cherweise schon mit dem Vorsatz der Bereiche-
rung und unter Ausnutzung des Vertrauensverhält-
nisses zwischen Verwandten hatte er sich in der
Wohnung der Tante einquartiert und dort ihre
"Kisten-Kasten" "ohn Mitleid und Zartgefühl"
durchwühlt, wobei offenbleibt, ob diese Gefühls-
kälte nur von dem rücksichtslosen Neffen ausgeht
oder nicht auch von seiner schweratmenden
Tante, die, obwohl schon altersschwach, ihm von
ihrem Besitz nichts mitgeteilt hatte.
Erst jetzt, angesichts der entdeckten Reichtümer,
kommt es zum Entschluß, die Tante zu ermorden:
Nicht nur ihr Alter und ihre Schwäche, so argu-
mentiert der Täter, machten ihr das Leben schon
schwer genug; künftig würde sie auch noch den
Verlust ihres Besitzes zu verkraften haben, sie
müßte sich, würde er sie lediglich berauben, fortan
nur noch "härmen". Der Mord wird nun geradezu
als eine Erlösung für sie gedeutet. Selbstbewußt
und ohne Beschönigung seiner Tat kann er daher,
pathetisch stabreimend, bekennen: "Ich stieß ihr
den Dolch in die Därme."
Zum "erfolgreichen" Abschluß des Raubmords ge-
hört es, die Leiche zu beseitigen und die Beute zu
sichern. Das erfordert, selbst für einen jugendlich-
kraftvollen Täter, harte Arbeit. Bis an den Rand der
Erschöpfung hat er sich dabei verausgabt, so legt
er seinen Richtern dar, als wollte er sie fragen:
Verdient denn diese Mühe nicht auch Anerken-
nung?
Dann aber - und das gibt seinem Wort für Wort
wiederholten Geständnis die zusätzliche Pointe -
wendet er sich an seine Richter. Er bittet sie in sei-
nem Schlußwort nicht, wie das andere Angeklagte
tun, um ein mildes Urteil. Erfleht nicht um Gnade,
er greift sie an. Er wirft ihnen vor, sie trachteten
ihm nach seiner "Jugend-Jugend", nach seinem
"blühenden" Leben. Die Strafverfolgung, die sie
betreiben, wird als Jugend- und lebensfeindlich dis-
kreditiert. Statt zwischen den Interessen der maro-
den "Kisten-Kasten"-Besitzer und denen der vita-
len "Jugend-Jugend"-Inhaber abzuwägen - eine
Abwägung, die nur zugunsten der Jugend ausfal-
len dürfe -, mache sich die Rechtsprechung nach
Auffassung dieses jugendlichen Raubmörders ein-
seitig zum Instrument der Alten und Schwachen,
wenn sie zugleich reich sind; die Justiz wird als
Interessenvertreterin lebensunwerten Lebens at-
tackiert.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
51
Der ungeheuren Tat folgt damit ein ungeheuerli-
cher Vorwurf. Mit keiner Silbe enthält das Gedicht
auch nur die Andeutung eines Widerrufs der Amo-
ral, der es Sprache gibt. Der Raubmörder behält
das letzte Wort, er wird nicht widerlegt. Das Ge-
dicht entblößt schamlos die erschreckende sozi-
aldarwinistische Kehrseite des Jugend-, Kraft- und
Lebenskultes der Jahrhundertwende. Die Besu-
cher des Kabaretts "Die elf Scharfrichter" in der
Münchener TCirkenstraße schlugen sich verblüfft
und ungläubig auf die Schenkel, wenn Wedekind in
den ersten Jahren unseres Jahrhunderts dieses
(wie er selbst schrieb) "bedenklichste und gefähr-
lichste" Paradestück aus seinem Brettl -Repertoire
vortrug. Die Vorstadt-Bohemiens genossen die an-
tibürgerliche Attitüde des parodistischen Bänkel-
lieds, das so scheinheilig als Volkslied daherkam.
Erst dreißig Jahre später sollte ihnen das Lachen
in der Kehle steckenbleiben.
Frank Wedekind: "Ich hab' meine Tante ge-
schlachtet". Lautenlieder und Gedichte. Eingeleitet
und herausgegeben von Manfred Hahn, Insel Ver-
lag Frankfurt am Main 1982, 280 S.
f
iP ■
|i ■
¥
§
Buchhinweis:
Carol Greene: Mörder aus der Retorte - Der Fall
Charles Manson -
Neuerscheinung, 240 Seiten ISBN 3-925725-1 3X
Der 1971 von einem amerikanischen Gericht zum
Tode verurteilte Massenmörder Manson rühmte
sich 35 Morde begangen zu haben. Unter den
Opfern waren die Filmschauspielerin Sharon Täte
Polinski mit ihrem Ehemann und drei weiteren
Prominenten, die er 1969 mit seiner Mörderclique
auf bestialische Weise umbringen ließ, 1969 war in
den Vereinigten Staaten die jährliche Mordrate
etwa 10 000. Von einem beachtlichen Teil der Ju-
gendlichen in der USA wurde dieser Mörder als
Idol gefeiert. Er erhält Berge von Briefen in seine
Sicherheitszelle eines Gefängnisses in Kalifornien.
Manson selbst, der über seine Verbrechen keiner-
lei Schuldgefühl und Reue empfindet, glaubt fest
daran, daß er ein Vorreiter einer "Neuen Zeit"
("New age") und einer "Neuen Gesellschaft" sei.
Seine Morde gingen von einer Hippie ("Blumenkin-
der") - Kommune aus, deren Parole lautet: "Liebe
statt Krieg". Es stellt sich die Frage, wer und was
hat Manson und seinen verbrecherischen Anhang
zu Killern gemacht? In diesem Buch erfährt man
bisher nicht veröffentlichte Tatsachen und eine
Schilderung von Experimenten, welche die Autorin
(sie studierte jüdische Theologie und Erziehungs-
wissenschaften) zu analysieren versucht. Die Le-
serinnen und Leser erleben bei der Lektüre dieses
Aufsehen erregenden Buches neben der Verherrli-
chung von Gewalt an Personen und Sachen, die
ganze Rauschgiftszenerie, Sexismus, Okkultismus,
Sektierertum, Satanismus, Extremismus, Terroris-
mus, lauter Abscheulichkeiten mit denen eine
"Antikultur in der Gesellschaft" errichtet werden
soll.
Kommentar:
Wie sind heute - im Jahre 1994 - Mansons schau-
rige Visionen zu werten? Sind sie zur Realität ge-
worden? Wer die täglichen Presseberichte liest
und die Nachrichten im Fernsehen hört und ver-
folgt, wird mit all den Abnormitäten, Aggressionen
und brutalen Verbrechen konfrontiert, die in Häu-
figkeit und bestialischer Grausamkeit sich manife-
stieren. Weltweit herrscht Gewalt mit seinen kör-
perlichen, seelischen und sexuellen Mißhandlun-
gen. Gewalt wird verübt an Behinderten und Kin-
dern, an Andersdenkenden, Andersfarbigen, Aus-
ländern mit seinen vielfältigen Menschenrechts-
verletzungen.
Es zeichnet sich heute eine fortschreitende Per-
version aller Wertvorstellungen ab, die auch poli-
tisch motiviert und inszeniert ist. Die Gewaltbereit-
schaft unserer Jugend ist bekannt. ■-' ■ '
52
Das zu Ende gehende 20. Jahrhundert ist - um nur
an das traurigste Kapitel unserer jüngsten Ge-
schichte zu erinnern, der Massenmord an unschul-
digen, wehrlosen Menschen, die das Licht der Welt
nicht erblicken dürfen. "Jeder" hat das Recht auf
Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2
des deutschen Grundgesetzes) Unter "Jeder" ist
nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom
25. März 1975 auch das noch ungeborene men-
schliche Wesen zu verstehen (Ende des Zitats).
Der Gesetzgeber macht also keinen Unterschied
zwischen "geboren" und "ungeboren" und doch
sieht die Realität ganz anders aus:
Wieviele Medizinische Kliniken sind zu Todesstät-
ten umfunktioniert worden. Das Ausmaß der Un-
geheuerlichkeit und Kaltblütigkeit kann man er-
messen, wenn man erfährt, daß ein einziger Arzt
nach eigenen Angaben 40 000 Kindstötungen auf
dem Gewissen hat, seitdem die Neuregelung des §
218 STGB in Kraft ist. Hat ein medizinischer Killer
(Tötung nach Vereinbarung und gegen Bezah-
lung), der seinen Lebensunterhalt professionell
durch Töten verdient, kein Gespür dafür, daß ein
Ungeborener bis zur 22. Lebenswoche Angst vor
einem qualvollen tödlichen Eingriff hat? Rührt der
"stumme Schrei" eines Ungeborenen sein Herz
nicht?
Wie ist es möglich, daß Jahr für Jahr, seit dem
Jahre 1976 sind es jährlich mindestens 200 000
Tötungen im Mutterschoß, in unserem Lande
"straffrei" durchgeführt werden können? Diese
Zahlen erfüllen einen Menschen mit normalem
Rechtsempfinden mit Grauen. Zu diesen Tötungs-
handlungen melden sich freiwillig medizinische
Killer, die niemals hinter Gittern sitzen werden, weil
sie ein Gesetz schützt, wenn sie nur den Tötungs-
schein einer abtreibungswilligen Schwangeren
vorweisen können.
"Der Fall Manson" ist wohl einmalig in der Ge-
schichte der Kriminalität. Er ist dokumentiert. Inder
bundesdeutschen Rechtsgeschichte werden bis
dato von 1976 bis 1993 mindestens 3,4 Millionen
Embryonalleichen lediglich registriert. Darüber hin-
aus ist die Todesstatistik lückenhaft infolge nicht
gemeldeter Abtreibungen und einer hohen Dunkel-
ziffer von vorgeburtlichen "Tötungen auf Verlan-
gen".
Wohin steuert unsere moderne Gesellschaft? Wir
erleben schon längst eine Neuauflage der Verer-
bungslehre. Früher war "rassistisch" und heute sie
"genetisch" begründet, was lebenswert ist.
So sieht ein Mensch in einer "neuen Zeit" und in
einer "Neuen Gesellschaft" aus, der gesetzesdie-
nerisch töten darf. Dr med. Georg Götz
I
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
m
Humor ist, wenn man trotzdem lacht!
Verhaltensforschung und Miniröckchen.
Unverfrorene Reflektionen von Medicus wider den tierischen Ernst nach einer Fernsehsendung am 9.3.1994
über die Abstammung des IVIenschen vom Urpavian und vom Australopitecus erectus.
Mädchen, willst mit Mini-Hosen
als "modern" Dich produzieren,
und mit einer beinah bloßen
Hinterfront uns imponieren, ' '"'■*
willst Du mit dem Röcklein "Mini"
seis beim Tanzsport, Eis und Tennis
und am Strande im Bikini
andeuten, was alles In is,
willst Du dann noch beim Verneigen
unter deinem Mini-Rocken
auch Dein Minihöschen zeigen,
um Verehrer anzulocken? , . .: ■
Denkt daran: Uralter Käse
ist diese Verhaltensmode . . ;.r .
und drum keine zeitgemäße
Gleichberechtigungsmethode!
Denn bereits vor Jahrmillionen
war das schon das Demutszeichen,
um die Zornesreaktionen
eines Männchens zu erweichen,
seinen Ärger zu entschärfen
und des Paschas hartem Willen
sklavisch sich zu unterwerfen,
seine Launen zu erfüllen.
Ja um Prügel zu vermeiden,
bückte sich die Affenahnin,
demonstriert die Hinterseiten
als gewitzte Pavianin!
Vielleicht war das auch schon Sitte
lange vor dem Schwäbschen Gruß
in des Tertiäres Mitte
beim Australopitecus!
I\/Iedicus wider den tierischen ERNST.
"Emma" keift zwar, daß "sexistisch"
man so etwas müsse heißen,
weil es eine Hinter-List isch,
statt zu kratzen und zu beißen!
Doch die Weibchen in der Tat
warn zum "Streik" nicht zu bewegen,
denn in dem Patriarchat
sind die Männchen überlegen!
Ach hätte die Süßmuth Rita
doch schon damals existiert,
dann hätte erfolgreich sie da
diese Männchen längst dressiert!
War zu der Zeit sie geboren,
macht sie heut uns keine Qual,
hätt die CDU verloren
nicht die Niedersachsen-Wahl!
Was hilft auch Schwarzers Alice
aller Feministenärger,
denn beim Vorzeigen der Füße
wirken auch noch heute stärker
in den weiblichen Genomen
die Impulse von Hormonen
aus den X X Chromosomen,
die vererbt seit Jahrmillionen!
Deutsche, Schwarze(r) oder Russin
gleichen drum der Ahnen-Alten ,i
der Australopitecussin,
gleiches Sozialverhalten:
Drum braucht man sich nicht bemühen
Damen zu emanzipieren.
Die, statt sich warm anzuziehen,
liebers Sitzfleisch sich abfrieren!
iC'.y; -
X;-/ir:;iliSri>--\j':i-.
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
53
Nach Redaktionsschluß erhielten wir die Nachricht, daß Frau Karin Struck in Hamburg und ihr 4 jähriger
Sohn bei einem Autounfall sehr schwer verletzt wurden. Beide befinden sich in einer Hamburger Klinik in
stationärer Behandlung.
Frau Struck geriet durch den erlittenen Unfall mit ihren 4 Kindern in eine schwere Notlage. Wer von unseren
Lesern die Möglichkeit besitzt, Frau Struck finanziell zu unterstützen, wird gebeten^ sich mit unserer Ge-
schäftsstetle in Ulm in Verbindung zu setzen.
Vergessen Sie nicht!
Die EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION ist auf Ihre Spende
und Mitgliedsbeiträge angewiesen!
Jeder Betrag, den Sie uns überweisen, hilft uns, den
Kampf für das Leben wirkungsvoller zu führen.
Postgiroamt Stuttgart Konto N.: 136 89-701 (BLZ 600 100 70)
Sparkasse Ulm Konto Nr.: 123 509 (BLZ 630 500 00)
ML
Beitrittserklärung
Der / die Unterzeichnete erklärt seinen / ihren Bei-
tritt zur EUROPÄISCHEN ÄRZTEAKTION und
bittet um laufende Zusendung des Informations-
materials und der Publikationen.
Name;
Vorname:
Geburtstag:
Beruf:
Wohnort:
Wir bitten unsere Mitglieder und Freunde in Anbe-
tracht der immer waciisenden Aufgaben und Ko-
sten, weitere Mitglieder zu werben, um die Last auf
mehr Schultern zu verteilen.
Straße:
Tel. Nr.:
Ich erkläre mich bereif einen Mitgliedsbeitrag von
10 DM monatlich (120.- DM jährlich) zu entrichten,
Unterschrift:
Medienliste:
Bücher:
Beckmann, Rainer;
Abtreibung in der Diskussion 1 4.80 DM
Blechschmidt, Prof.Dr. Erich;
Das Wunder des Kleinen 6.50 DM
Wie beginnt das menschliche Leben 13.50 DM
Cochlovius,J.:
Strategien für eine bessere Weit 13.80 DM
Ernst, Or.med. Siegfried:
Dein ist das Reich 20.00 DM
Sprechende Steine, lebendiges Glas,
Vermächtnis aus Holz, 4 farbig
Sonderpreis für unsere Leser 49.50 DM
Esser, Ruth
Der Arzt im Abtreibungsstraf recht 30.00 DM
Europäische Arztealction:
Alarm um die Abtreibung
Gassmann, Lothar:
Abtretben?
Giötz,Dr.med. Georg:
Ehe und Familie heute
Jacquinot, C1.:
Handel mit ungeborenem Leben
Kreybtg,Th. v.:
Ein gesundes Baby
Entstehung von Mi Bbildungen
Kuhn, Prof.Dr. Wolfgang:
Zwischen Tier und Engel
Lackmann, Pfr. Max :
Ein Mann schreit
25.00 DM
12.00 DM
9.80 DM
26.80 DM
19.80 DM
2.00 DM
18.00 DM
6.00 DM
54
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
Neuer, Dr. Werner:
Mann und Frau in christlicher Sicht
Rösler MdL, Roland:
Der Menschen Zahl
Rohstoff Mensch
Rdtzer, Prof. Dr.med.Josef:
Natürliche Empfängnisregelung
Sfegmund, Prof. Georg:
Sein oder Nichtsein
SIIvlo,Flavio d:
Das Ding
Simpfendörfer, Karl:
Verlust der Liebe
ThOtitauf, Prof.Dr. Max:
Christuswarts , :
Die Gottesanbeterin -■i^
Willke MD.,J.C.:
Abtreibung-diefragw. Entscheidung
World Federat:
Vortr. Weltkongreß Medizin u. Ideologie
v.Straelen, Henry:
Abtreibung die große Entscheidung
Vorträge:
als Kasetfen (falls erschienen);
Preis in Kursivdruck
als Druck (falls erschienen):
Preis in Normaldruck
Backhaus^Elisabeth:
Mitschuldig?
Berger, Dr.med. Heribert:
Die Problematik der Amniozentese aus
8.00
19.50 DM
14.80 DM
18.00 DM
19.80 DM
20.00 DM
5.00 DM
19.80 DM
14,00 DM
14.00 DM
14.50 DM
5.00 DM
10.00 DM
,00 DM
8.00 1.00 DM
2.00 DM
frei
der Sicht eines Pädiaters
Euthanasie als Bedrohung
des Menschen
Die Abtreibung aus der Sk;ht
des Kinderarztes
Bossle, Prof.Dr. Lothar:
Das Gesundheitswesen vor dem
Sozialisierungstod 5.00
Büchner, Bernward
Lebensrecht unter Gewissens vorbehält
V. Coelln, Herrn.
Schule, Grundgesetz und Elternhaus
Diözese Augsburg:
Herr was nun?
Does de WMIebois, Alex, v.d.:
Behen-schte u. integrierte Sexualität
Dolllnger, Dr.ingo
Medizinische Wissenschaft und
Moraltheologie 8.00
Ehmann, Dr.med. Rudolf
Probleme der Geburtenregelung 5.00
ab 50 Stk,
Ernst, Dr.med. Siegfried
Bescheinigungsbüro oder Rat und Hilfe
Denkschrift gegen gespaltenes Denken
Evangelische Gedanken zur Frage des
Pefrusamtes
Sexualaufklärung oder .
Geschlechtserziehung 16.00 1
Südafrika und die Menschenrechte
Student im Dritten Reich, Faust IV. Teil 5
als Radtoaufführung 8.00
eigens gesprochene Ergänzung
hierzu 8.00
Wissenschaft von gestern als ideotogischer
von heute 2
5.00 DM
.00 DM
.50 DM
.00 DM
2,00 DM
2,00 DM
,00 DM
50 DM
,00 DM
.00 DM
5,00 DM
.00 DM
.20 DM
.00 DM
Irrtum
,00 DM
1.00 DM
I.
Ki:l.i
SOS Südafrika (Hora Dokument) 5,00 DM
Die Unverfügbarkeit des
menschlichen Lebens 5.00 DM
Ulmer Denkschrift 2,00 DM
Ist die Sexualethik der Päpste zeitgemät3?3,00 DM
Europäische Ärzteaktion:
Tatsachen über "Pro Familia"e.V.
Furch, Dr.med. Magdalene:
Über die psychischen Folgen
der Abtreibung 5.00 2.00 DM
Furch, Dr.med Wolfgang
Abtreibung und ärztlicher Heilauftrag-
die Konfliktsituation des Arztes 5.00 2.50 DM
Geier,Erna M.
Die politische Diskussion um die
Abtreibungspraxis in der BRD
muß neu entfacht werden 8.00 2.00 DM
Götz, Dr.med. Georg
Ärztliche Gedanken zum Leitthema über die
Situation in d.BRD 8.00 3,00 DM
Götz/Norrts Amniozentese oder die moderne
Selektion 8.00 2,00 DM
Gunning, Dr.med. Karel :;
Die Komplementarität von Naturwissenschaft,
Glauben 5.00 2,00 DM
Die Euthanasie in Holland -
Das absichtliche Töten 8.00 2,00 DM
Günthör OSB, Prof.Dr. P. Anselm
Die Rolle der Moraltheologie im geistig- sittlichen
Niedergang Europas 8.00 3.00 DM
Habsburg MdEP, Otto von
Bekenntnis zu Menschenwürde, Leben und
Zukunft Europas 8.00 1,00 DM
Häußler, Dr.med. Alfred
Die natürliche Familienplanung 2,00 DM
Die Kontrazeption und ihre Folgen für die
Gesellschaft 8.00 2,00 DM
Die Pille, das Unheil des 20, Jahrhunderts 5.00 DM
Die Selbstzerstörung Europas 2,00 DM
Hoeres, Prof. Dr. Walter
Der Einzelne oder das größte
Glück der größten Zahl
Holzgartner, Hartwig
Die politische und soziale Lage im
Abtreibungsumfeld 8.00 1,00 DM
Jacob, Prof.Dr.med. Ruthard
Gedanken zur Problematik der
Abtreibungen... 8.00 2.00 DM
Kägl, Werner
Die Gefährdung der rechtlichen Grundlagen
Europas 8.00 2.00 DM
Kongr.f.d.kath.
Orientierung zur Erziehung in der
menschlichen Liebe
Kreybtg, Dr.med.Thomas von
Hormone und Schwangerschaft
Verhütung angeborener Behinderungen
Die Wirkung eines Östrogen/Gestagen
Präperates auf die vorgeburtliche
Entwicklung der Ratte
Maler, Pater Otto SAG
Katholische Moraltheologie in Deutschland ein '"
offenkundiges Desaster 800 2,00 DM
Das Ende einer Epoche fordert einen neuen
Denkansatz 5.00 2.50 DM
Motschmann, Elisabeth
Sind wir auf dem Weg in eine muttertose
Gesellschaft? 8.00 2.00 DM
8.00 2.00 DM
7.50 DM
0,20 DM
3,00 DM
0.20 DM
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94
55
'!,':■
Neuer, Dr.Werner:
Werner MdB, Herbert
1
idea Dokument. "Pro Jamitia "/Christen für das
Bestandsaufnahme
2.00 DM
Leben
8.00 DM
Westphalen, Johanna Gräfin von:
idea Dokument. "Chemischer Krieg" gegen
Abtreibungsfreigabe -
Kinder?
4,80 DM
Hilfe für Frauen oder., 5.00
2.00 DM
Papsthart, Alexander
wiiike,J.&E.
Zur rechtlichen Frage
Der Kampf um die geistig moralischen
im Abtreibungsumleld 8.00
1 .00 DM
Grundlagen der USA 8.00
2.00 DM
Das Abtreibungsrecht im "Vereinigten
Fluabtätter:
Abtreibung aus der Sicht eines
Deutschland"
2.00 DM
Phitbei1h,Karl:
Im Anfang schuf
Mediziners
0.10 DM
Gott Himmel und Erde 5.00
1.50 DM
abiOOOStk
0.07 DM
Philipp, Wolfgang;
Bevor Sie eine Abtreibung en^/ägen
0,10 DM
Abtreibung als öffentlich rechtliche
abfOOOStk
0.08 DM
KassenIeJstung
2.00 DM
Das sollte Sie nachdenklich machen
0.05 DM
Die Finanzierung der Abtreibungen
abiOOOStk,
0.04 DM
durch die Krankenkassen.
2.00 DM
Der tödliche Betrug
0.50 DM
Ramm, Walter:
ab 250 Stk
0.30 DM
Familienplanung in der
Der Irrtum Haeckels
0.50 DM
Bundesrepublik -'. •-- - 5.00
2.00 DM
ab 400 Stk,
030 DM
Röster, Roland:
Die Pille:"Das Ei des Kolumbus"-
Betrachtungen zur Herschaft durch
oder eine Zeitbombe
0.10 DM
Bevötkerungskontrolle 5.00
2,50 DM
abiOOOStk.
0.08 DM
Rotzer, Dr.med. Josef:
Ergebnis einer aussichtslosen Notlage
0.50 DM
Verantwortliche Elternschaft im Lichte eines
ab 100 Stk.
0.40 DM
christlichen f^/Ienschenbildes 2 x 8.00
6.00 DM
Für Lebensrecht und Zukunft Europas!
0.50 DM
Russischer Priester:
Gesundheitliche Folgen eines
Über die Giaubenssituation
Schwangerschaftsabbruches
0.15 DM
in der UdSSR 8.00
ab 1000 Stk.
0.10 DM
Schmidt, Prof.Dr.med. Magnus:
Leben oder Tod
0.15 DM
Abortus und Euthanasie
2.00 DM
ab 500 Stk
0.12 DM
Schöttler, Rudolf
abiOOOStk.
0.10 DM
Menschenrechte lür jeden oder "Sterbe-
Von A - Z unwahr
0.30 DM
hilfe" von Anfang bis zum Ende , ; .
5.40 DM
ab 650 Stk
0.20 DM
Serrettt, Massimo
Was ist Mord?
0.15 DM
Die Natur der menschlichen Person
2.00 DM
abiOOOStk
0.12 DM
Staehelin, Prof.Dr. Balthasar:
Vom naturwissenschaftlichen und vom
Verschiedenes:
christlichen Menschenbild
2.00 DM
Videokassette "Der stumme Schrei"
98.00 DM
Straaten, P. Weerenfried van:
Videokassette "Die frühen Phasen der
Predigt aus der Abschlußfeier
menschlichen Entwicklung"
160.00 DM
in St. Ulrich 3.00 DM
leihweise
10.00 DM
Süßmuth, Prof. Dr. Roland
Ton/Diaserie "Mensch von Anfang an"
75.00 DM
AIDS ' Mehr als eine Herausforderung
leihweise
10.00 DM
an die moderne Sozietät 5.00
3.50 DM
Füßchen Anstecknadel gold oder Silber
2.00 DM
Thürkauf, Prof.Dr. Max ^~^';:i v.;^"^ i>i-
ab 100 Stk.
1 ,80 DM
Dart die Wissenschaft tun
Emailleschild "World Federation of
was sie kann? 8.00
2.00 DM
Doctors who respect...
Erben des ewigen Lebens
2.00 DM
{Nur für Mitglieder) yr:-;:v?Ai
30.00 DM
Endzeit des Marxismus 5.00
2.50 DM
Aufkleber "World Federation of '
Trembley.E.; ^^^
Doctors who respect...
Die Affaere Rockefeller ;,
5.00 DM
(Nur für Mitglieder)
1.00 DM
Vilmar, Dr.med. Carsten
VHS Videocassette Ernst: Ist Gott ein
Bekenntnis zu Menschenwürde,
Konsumartikel?
60.00 DM
Leben... 8.00
2.00 DM
VHS Videocassette Ernst: Sexual-
Waldstein, Prof.Dr.jur. Wolfgang
aufklärung oder Geschlechtserziehung
60.00 DM
Lebensschutz und
Rechtsstaatlichkeit 8.00
3.00 DM
■ -..i. ■ 1
1
Impressum:
;!h.:;
Redaktion und Vertrieb: EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION, Postfach 1123, 89001 Ulm
Tel.: 0731/722933 Fax.: 0731/724237
Postgirokonto Stuttgart 136 89-701, Sparkasse Ulm 123 509
Verantwortlich für den Inhalt: Dr.med, Alfred Häußier, Neckarsulm ,, ;;
Satz: Europäische Ärzteaktion, Ulm Druck: INGRA - Werbung, Lindau ,..; ..(^ ,
Gedruckt auf chlorarm gebleichtem Papier
56
MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94